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Ein kurdischer Peshmerga-Kämpfer beobachtet aus der Ferne Auseinandersetzungen mit Dschihadisten des "Islamischen Staates" nordöstlich von Bagdad.

© dpa

Terror im Irak: Sympathie für die Extremisten ist erstaunlich weit verbreitet

Der Kalaschnikow-Islam der Dschihadisten des "Islamischen Staates" wird das Gesicht des Orients so verändern, dass er nicht mehr wiederzuerkennen ist. Und viele kämpfen dafür. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Martin Gehlen

Ihr blutrünstiges Credo haben die schwarz gekleideten Terroristen kürzlich irgendwo im Irak an eine Mauer gesprayt. „Unser Kalifat kennt keine Grenzen, sondern nur Fronten.“ Fast überall sind die Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) in Syrien und Irak auf dem Vormarsch. Als Nächstes haben ihre Strategen den Libanon, Jordanien und Saudi-Arabien im Visier. In ihrer Internetpropaganda inszenieren sie sich als der Furor Allahs auf Erden, in dessen Auftrag sie Falschgläubigen die Kehlen abschneiden und sie köpfen. Mit völlig enthemmter Gewalt wollen sie alle Andersdenkenden der Welt umbringen, um sich selbst einen Platz im Paradies zu sichern. Ihr Kriegshandwerk haben sie in drei Jahren Syrien-Dschungel gelernt. Und ihr Kalaschnikow-Islam wird das Gesicht des Orients so umkrempeln, dass er nicht mehr wiederzuerkennen ist.

"Islamischer Staat" profitiert von Zerstrittenheit der Gegner

Die Dschihadisten profitieren von der Zerstrittenheit und Schwäche ihrer Gegner. Praktisch alle Staaten im Nahen Osten sind diesen Angreifern militärisch nicht gewachsen, selbst wenn sie sich für Unsummen mit modernem Militärgerät hochgerüstet haben. Bei der irakischen Armee nahmen gleich mehrere Divisionen innerhalb von wenigen Stunden Reißaus. Die kurdischen Peschmerga-Soldaten können zwar Gebiete sichern, zu komplexen Militäraktionen aber sind sie nicht fähig. Die saudischen Streitkräfte, deren Regierung 2013 weltweit der viertgrößte Waffenkäufer war, schlugen sich zuletzt gegen einige hundert Houthi-Rebellen an der Grenze zu Jemen so erbärmlich, dass der alte König Abdullah wutschnaubend auf das Schlachtfeld eilte.

Hinzu kommt, dass klammheimliche ideologische Sympathie für die Extremisten in der ganzen Region erstaunlich weit verbreitet ist. Junge Araber erleben die Offensive des „Islamischen Staates“ als langersehnte Genugtuung – auch gegen den Westen und dessen permanente Dominanz in ihren Heimatländern. Aus Europa und den USA reist der sunnitische Nachwuchs scharenweise nach Syrien und Irak, um beim hyperradikalen Erwachen ihres Islam mit dabei zu sein.

Der polyglotte Charme des Orients liegt in Trümmern

Am schlimmsten jedoch sind die Kampfmuster, die die Dschihadisten-Brigaden den eingesessenen Nationen aufzwingen und die die Zivilbevölkerung in einem apokalyptischen Maße in Mitleidenschaft ziehen. Mit ihren Horrorvideos von Massenexekutionen jagten die Extremisten im Irak und Syrien praktisch über Nacht hunderttausende Familien von Kurden, Christen, Jesiden und anderen Minderheiten in die Flucht. Die krisengeschüttelten Staaten können ihre eigenen Minderheiten nicht mehr schützen. Der polyglotte Charme des Orients liegt in Trümmern. Und haben sich die Kämpfer erst einmal in den Wohnvierteln verschanzt, sind sie praktisch nicht mehr zu vertreiben – es sei denn um den Preis einer totalen Zerstörung der historischen Städte.

Und so beginnt die Geißel der Dschihadisten im Nahen und Mittleren Osten neue Koalitionen zu schaffen, die vor Monaten noch undenkbar waren und vor allem eins belegen: wie prekär und unabsehbar die Lage geworden ist. Im Irak ziehen der Iran, die USA und Russland jetzt bei der Militärhilfe an einem Strang. Syriens Machthaber Baschar al Assad genießt in Ägyptens Führungszirkel längst wieder unverhohlene Sympathie. Im Libanon kämpfen Armee und Hisbollah Seite an Seite gegen die Eindringlinge. Und eines nicht mehr fernen Tages könnte die Welt vielleicht sogar Zeuge werden, wie sich jordanische und israelische Einheiten gemeinsam zur Verteidigung von Amman den Kalifatskriegern entgegenwerfen.

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