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Fassungslos. Angehörige und Freunde trauern um die Opfer. 41 Menschen rissen die Attentäter mit in den Tod.

© Sedat Suna/dpa

Terror in der Türkei: Welche Folgen das Attentat von Istanbul hat

Der Anschlag am Istanbuler Flughafen schockiert die Türkei. Wie wirkt sich der Angriff auf das Land aus - und was folgt daraus für Präsident Erdogan? Ein Überblick

Es war eine klare Kampfansage. Die Türkei werde mit der „Eisenfaust auf die Köpfe der Terroristen“ einschlagen. Das hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan vor einigen Monaten angekündigt. Doch die Extremisten beeindruckte das wenig. Sie reagierten auf die Drohung mit Bomben in türkischen Metropolen. Der Angriff eines mutmaßlichen IS-Selbstmordkommandos auf den Flughafen in Istanbul passt in dieses Schema: Das türkische Tor zur Welt wurde attackiert. Dabei konnte die Regierung in Ankara gerade erst mit erfreulichen Nachrichten aufwarten. Nach Monaten der Krise nähern sich die Türkei und Russland wieder an. Mit Israel will sich Ankara aussöhnen. Der Anschlag könnte das alles in den Hintergrund treten lassen und Erdogan in Bedrängnis bringen. Denn sein Renommee im Land beruht nicht zuletzt auf wirtschaftlichem Erfolg. Und zu dem gehört der Tourismus.

Wie konnte es zum Angriff auf den Flughafen Atatürk kommen?

Es ist ein Sommerabend in Istanbul, am Atatürk-Flughafen kommen viele Maschinen aus dem Ausland an. Die Passagiere werden von Freunden oder Verwandten abgeholt, die über eine Zugangsschleuse in die Ankunftshalle des internationalen Flughafenteils kommen. Doch einige Polizisten werden misstrauisch, als sie an der Schleuse einen Mann in einem Mantel sehen – bei mehr als 30 Grad eine ungewöhnliche Kleidung.

Als die Beamten den Mann und seine Begleiter zur Rede stellen wollen, eröffnen diese das Feuer, kurz darauf sprengt sich einer der Täter in die Luft. Für viele Menschen, die an der Sicherheitsschleuse warten, gibt es kein Entrinnen. Ein zweiter Selbstmordattentäter läuft durch das Chaos, um in die Ankunftshalle zu gelangen, geht nach einem Schuss der Polizei zu Boden und zündet ebenfalls eine Bombe. Ein weiterer Angreifer eröffnet vor der Ankunftshalle das Feuer auf Passagiere an einem Taxistand. 41 Menschen kommen ums Leben.

Sind die Sicherheitsstandards am Atatürk-Airport ausreichend?

Nach Ansicht von Premier Binali Yildirim hat es keine Sicherheitsmängel am Flughafen gegeben – eine recht fragwürdige Aussage. Laut Medienberichten ergab die Auswertung von Sicherheitskameras, dass die Täter den Anschlagsort am Dienstagmorgen inspiziert hatten und am Abend mit einem Taxi zurückkehrten. Obwohl alle Fahrzeuge am Airport wie an anderen Flughäfen des Landes eine Polizeikontrolle passieren müssen, bevor sie an die Terminals gelangen können, blieben die Waffen des Terrorteams unentdeckt. Und: Nach der offiziellen Version ist kein Terrorist am Sicherheitspersonal vorbeigekommen. Doch Augenzeugenberichte sowie Beobachtungen von Reportern und Airport-Mitarbeitern deuten darauf hin, dass mindestens einem Angreifer dies eben doch gelang.

Was bedeutet der Anschlag für die Türkei?

Der vierte und bisher schwerste Terroranschlag in Istanbul in diesem Jahr wird den Tourismussektor in der Türkei noch stärker belasten, als es ohnehin schon der Fall ist. Bis Mai verzeichneten die Behörden bereits ein Drittel weniger ausländische Besucher als im Vorjahr um diese Zeit: 2,5 Millionen Touristen und Geschäftsleute blieben der Türkei fern. Im großen Basar in Istanbul oder an den Stränden am Mittelmeer herrscht an manchen Tagen große Leere. Die Hoffnung von Restaurant- und Hotelbesitzern auf eine Umkehr des Trends im Rest des Jahres ist nun dahin. Der Tourismus trug zuletzt mit zwölf Prozent zur Wirtschaftsleistung der Türkei bei.

Dennoch überrascht das Land mit seinem robusten Wachstum immer wieder die Ökonomen. Das könnte trotz Anschlägen auch dieses Jahr so sein. Für 2016 sagt der Internationale Währungsfonds 3,8 Prozent voraus. Doch Fakt ist auch: Die Gewalt hat das Land fest im Griff. Die Türkei führt nicht nur Krieg gegen den „Islamischen Staat“, sondern bekämpft auch mit allen Mitteln die PKK. Der Kurdenkonflikt weitet sich zu einem neuen Bürgerkrieg aus. Für Türken und Ausländer in den Metropolen schien das weit weg, bis die Gewalt auch nach Istanbul und Ankara übergriff. Dessen ungeachtet bemüht sich Erdogan den Eindruck zu vermitteln, der Anti-Terror-Kampf sei erfolgreich. Doch die Anschläge von kurdischen Terroristen und Dschihadisten zeigen ein anderes Bild. Ein Gefühl der Verunsicherung breitet sich aus.

Kann man in der Türkei überhaupt noch Urlaub machen?

Das Auswärtige Amt hat seine Reise- und Sicherheitshinweise nach dem Anschlag aktualisiert, aber keine Reisewarnung für die Türkei ausgesprochen. Reisewarnungen sind selten, gelten etwa für Afghanistan, Syrien und Libyen und enthalten den dringenden Appell, nicht in das jeweilige Land zu fliegen. Touristen in Istanbul, Ankara und anderen Großstädten der Türkei wird dennoch zu erhöhter Vorsicht geraten. Vor allem dort, wo sich viele Menschen ansammeln: auf öffentlichen Plätzen oder vor touristischen Attraktionen. Landesweit sei mit politischen Spannungen, gewalttätigen Auseinandersetzungen und Terror zu rechnen. Von Reisen in das Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak rät das Auswärtige Amt dringend ab.

Welche Folgen hat die Terrorgefahr für die deutsche Tourismusbranche?

Die großen Touristikunternehmen berichten, dass sich Kunden vermehrt über die Sicherheitslage im Ausland informieren. Deswegen wollen viele Reisebüromitarbeiter auch an Krisenmanagement-Seminaren des Deutschen Reiseverbandes teilnehmen. Dort lernen sie, wie sie bei politischen Unruhen in Urlaubsorten am besten reagieren. Die Buchungen in die Türkei und nach Nordafrika sind wegen der Angst vor Anschlägen eingebrochen.

Lieber wollen die Deutschen ihren Urlaub im Inland, in Italien, Portugal und vor allem in Spanien verbringen. Dort habe Tui für diese Sommersaison 26 Millionen Euro in zusätzliche Bettenkapazitäten investiert. Der Reiseveranstalter Thomas Cook senkt die Türkei-Preise zur Wintersaison um fünf Prozent. Alltours hat Istanbul vor gut einem Jahr aus dem Programm gestrichen. Dort sei es zu unsicher.

Was bedeutet der Angriff für Erdogan und seinen innen- wie außenpolitischen Kurs?

Der Hauptvorwurf, der von der Opposition und Teilen der Öffentlichkeit erhoben wird, lautet: Der Staatschef, der so viel Macht an sich gerissen hat, ist offenbar nicht in der Lage, seine Bürger und ausländische Besucher zu schützen. Der zweite Vorwurf, der regelmäßig laut wird, zielt auf Erdogans Syrienpolitik. Der konservativ-islamische Politiker habe mit der kompromisslosen Forderung nach einem Sturz von Machthaber Baschar al Assad den Krieg im Nachbarstaat angeheizt und bekomme nun Terror im eigenen Land.

Erdogan versucht, diese Vorwürfe abzuschütteln. Anschläge geschehen auf der ganzen Welt, argumentiert er. Terrorakte der Kurden nutzt Erdogan wiederum, um seine innenpolitischen Gegner auszuschalten, vor allem die prokurdische Partei HDP. Schwieriger ist die Korrektur der Syrienpolitik. Es zeichnet sich aber eine Annäherung an die russisch-amerikanische Position ab, Assad als Herrscher über ein Rumpf-Syrien zumindest vorübergehend zu akzeptieren.

Dafür spricht womöglich, dass Erdogan sich soeben für den Abschuss eines russischen Kampfjets entschuldigte. Ihm ist wohl daran gelegen, die Beziehungen zu Moskau zu normalisieren. Gleiches gilt für Versöhnung mit Israel. Die Isolation, in die sich Erdogan mit seiner unnachgiebigen wie rücksichtslosen Politik manövriert hat, soll ein Ende haben. Und Russlands Präsident Wladimir Putin kommt Erdogan einen Schritt entgegen: Die Sanktionen gegen die türkische Urlaubsbranche sollen aufgehoben werden. Nach dem Abschuss eines Flugzeugs hatte Russland Charterflüge in die Türkei eingestellt, die Besucherzahlen brachen ein.

Die Attentäter haben den Flughafen gezielt angegriffen. Der Tourismus als wichtiger Wirtschaftsfaktor soll Schaden nehmen.
Die Attentäter haben den Flughafen gezielt angegriffen. Der Tourismus als wichtiger Wirtschaftsfaktor soll Schaden nehmen.

© Ozan Kose/AFP

Was schlussfolgern deutsche Sicherheitsbehörden aus dem Anschlag?

Wie nach allen spektakulären Anschlägen seien „Impuls- und Resonanztaten“ zu befürchten, hieß es in Sicherheitskreisen. Salafisten könnten sich also bestärkt fühlen, eine Nachahmertat zu verüben. Das müsse nicht zwangsläufig einen Angriff von Selbstmordattentätern mit Waffen und Sprengstoff an einem Flughafen bedeuten. Nachahmer könnten auch versucht sein, mit kleinteiligen Aktionen den „Erfolg“ von Istanbul zu ergänzen. Ein Experte verwies auf den Anschlag, den der Kosovare Arid Uka im März 2011 am Frankfurter Flughafen verübt hatte. Der junge Salafist, der sich in der Nacht zuvor mit islamistischen Hetzvideos aufgeputscht hatte, erschoss mit einer Pistole zwei US-Soldaten und verletzte zwei weitere schwer.

Sicherheitsexperten warnen außerdem, nach dem Terrorangriff in Istanbul könnten in Deutschland auch die Konflikte zwischen Anhängern der PKK und nationalistischen Türken wieder aufflammen. Beide Lager seien angesichts der Spannungen in der Türkei hoch emotionalisiert und leicht erregbar. Da reichten schon Gerüchte, selbst wenn sie haltlos seien. „Wir müssen genau beobachten, wie die einzelnen Milieus auf den Anschlag reagieren“, betonte ein Experte.

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