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Tatort in Hanau: Eine Patrone auf dem Gehsteig

© Reuters/Kai Pfaffenbach

Terror in Hanau: Diese Tat kann niemanden mehr überraschen

Nach Kassel, Halle und nun Hanau kann man kaum mehr von Einzeltaten sprechen. Es gibt ein politisches Problem – und große Hilflosigkeit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Viel ist noch unklar, fest aber steht: In Hanau wurden zehn Menschen ermordet, niedergeschossen von einem Mann, über den bisher bekannt ist, dass er Tobias Rathjen heißt, Bankangestellter war und nun auch selbst tot ist.

Die Morde sind grauenvoll und furchtbar. Sie haben völlig unvermittelt Menschen aus dem Leben gerissen und Familien in Trauer und Verzweiflung gestürzt.

Die Motive von Rathjen liegen zwischen tief sitzendem Rassismus und Verschwörungswahn. Das legt sein Bekennerschreiben nah, in dem er Völker aufzählt, die es auszulöschen gelte, die minderwertig seien und sich zu Unrecht auf dem Boden „seines“ Volkes befänden.

Es ist für sich genommen schon schlimm, dass Menschen sich in so etwas hineinsteigern können. Aber man muss auch sagen – und das ist erst richtig entsetzlich –, dass die Tat von Hanau keine Überraschung mehr ist. Sie reiht sich vielmehr ein in eine Serie von Anschlägen und Anschlagsversuchen, deren Tatorte ein immer dichteres Netz über Deutschland legen.

Rassismus gewinnt an Boden

Wieder ging es gegen vermeintlich „Fremde“, gegen Menschen, die selbst oder deren Eltern oder Großeltern nicht aus Deutschland stammen, oder die andere Religionen haben, die in ihrer überwiegenden Mehrheit keine „Fremden“ sind, sondern Bürger des Landes, Nachbarn und Freunde. Damit fußt womöglich auch diese Tat auf dem immer unverhohleneren Rassismus, der in Deutschland an Boden gewinnt. Seit der Flüchtlingskrise von 2015 wurden „die Ausländer“ zum Thema von sehr harten und extrem polarisierenden politischen Auseinandersetzungen gemacht.

Der Grünen- Politiker Konstantin von Notz schrieb zu Hanau: „Das vergiftete gesellschaftliche Klima ist der Nährboden für die rechtsterroristischen Strukturen, mordende Einzeltäter und Terroranschläge wie in Halle, Kassel und nun Hanau.“ Nur, dass man – nach drei Mordanschlägen innerhalb von neun Monaten – kaum mehr von Einzeltaten sprechen kann. Es geht nicht nur um psychologische Verirrungen, es gibt hier ein politisches Problem. Zeit, das einzusehen.

Das Bekennerschreiben des Täters offenbart eine Sicht auf die Welt, in der die Ausländer, vor allem aus dem Süden, aus arabischen Ländern und der Türkei, an allem, was schlecht läuft, schuld sind. Das ist keinesfalls etwas, was Extremisten und Terroristen exklusiv behaupten.

Was tun? Wie das beenden?

Das ist etwas, was in Abstufungen bis in die Mitte der Gesellschaft hinein gedacht wird. Gift und Nährboden – beides ist da, und jede und jeder in diesem Land hat es mit in der Hand, ob die beiden zueinanderfinden und austreiben oder nicht.

Zweifellos gibt es in diesem Land eine Mehrheit von Menschen, ob deutscher oder nicht deutscher Herkunft, die Rassismus ablehnen, ja sogar aktiv bekämpfen. Diese Mehrheit steht zunehmend entgeistert am Rande, so fassungs- wie hilflos.

Was tun? Wie das beenden? Wie dafür sorgen, dass niemand, der sich rassistischen, rechtsextremistischen oder Verschwörungstheorien anschließt, glauben kann, er vertrete so eine zwar schweigende, aber existierende Mehrheit?

Kerzen anzünden, „WirsindHanau“ twittern wird nicht reichen. Helfen würde vielleicht schon, wenn da, wo öffentlich gesprochen wird, wieder Zivilität das oberste Gebot ist. Es wäre das Mindeste und ist zugleich von geradezu obszöner Nichtigkeit. Denn wahr ist auch: Die Toten werden davon nicht wieder lebendig.

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