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Angriff - ein Kampfjet im Anflug

© dpa

Terror in Paris: Hat Europa seinen Bündnisfall?

Frankreich fordert militärischen Beistand - doch ob die EU-Partner vertraglich dazu verpflichtet sind, ist zweifelhaft.

„Im Rahmen ihrer Möglichkeiten“, sollen die europäischen Partnerländer Frankreich militärische Hilfe leisten, fordert Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian. Dabei beruft sich die französische Regierung ausdrücklich auf Artikel 42 des EU-Vertrags (EUV), der die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu einem „integralen Bestandteil“ der gemeinsamen Außenpolitik der EU erklärt.  Absatz sieben enthält die so genannte „Beistandsklausel“, die Frankreich jetzt anführt: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“. Es ist das erste Mal, dass ein EU-Staat entsprechenden Beistand einfordert. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte, die EU habe dazu „einstimmig ihre Bereitschaft erklärt“.

Schon die Formulierung im EUV zeigt, dass die vertragliche Pflicht im Prinzip weiter reicht, als Le Drian es ankündigt. Nicht nur im Rahmen der Möglichkeiten, sondern „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“ sollen die Mitgliedsstaaten im EU-„Bündnisfall“ leisten.

Inwieweit die Beistandsklausel im Fall der jüngsten Anschläge allerdings tatsächlich zur – militärischen – Hilfe verpflichten würde, ist unklar. Denn fraglich dürfte sein, ob die Terrorakte von Paris tatsächlich eine Qualität aufweisen, die etwa mit den Angriffen gekaperter Passagiermaschinen auf New York vor 15 Jahren erreicht war. Am 11. September gab es Tausende Tote. Die Nato rief den Bündnisfall aus. Völkerrechtlich galt die Attacke damit als „bewaffneter Angriff“. In Paris dagegen gab es weit weniger Opfer, die kriegerische Qualität des Angriffs könnte daher zweifelhaft sein.

Hinzu kommt, dass im Nato-Bündnisfall von einem Angriff „gegen“ einen Partnerstaat gesprochen wird, während der EU-Vertrag einen Angriff „auf das Hoheitsgebiet“ eines Mitgliedsstaats verlangt. Gefolgert werden könnte daraus, dass damit jedenfalls dem Wortlaut zufolge Ziel des kriegerischen Aktes territoriale Gewinne sein und terroristische Einzeltaten ausgenommen werden sollen.

Umstritten ist darüber hinaus, ob die Beistandsklausel im EUV als echte Rechtspflicht für die Mitgliedsstaaten anzusehen ist. Die Vorschrift ist seit dem Lissabon-Vertrag neu. In ersten Entwürfen war noch eine ausdrückliche militärische Beistandspflicht enthalten, allerdings beschränkt auf diejenigen Staaten, die eine solche Zusammenarbeit zusätzlich ausdrücklich vereinbart haben oder in Zukunft vereinbaren würden.

Weil die Bündnisklausel jedoch alle EU-Staaten umfasst, ist man bei der Interpretation der Vorschrift vielfach zurückhaltender. Denn die EU-Partner wollten bei dem Projekt auch die neutralen Länder wie etwa Irland ins Boot holen. So formuliert auch die „Beistandsklausel“ einen Vorbehalt, der als „irische Klausel“ bekannt ist: Die Beistandspflicht lasse den „besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt“. Neutralen Staaten wäre es damit gestattet, Militärhilfe zu verweigern. Die Bündnisklausel verweist zudem auf die Zusammenarbeit im Rahmen der Nato, die für die darin eingebundenen Länder „weiterhin das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung (…) ist“. Damit ist ein Vorrang der Nato-Bündnispflichten klargestellt. Auch dies ist ein weiteres Argument dafür, die EU-Bündnisklausel eher als „weiche“ Vorschrift aufzufassen.

Das Bundesverfassungsgericht schließlich hat die Frage der rechtlichen Bindungswirkung offen gelassen. In ihrem Urteil zu Lissabon-Vertrag stellten die Richter fest, die neue EU-Pflicht sehe „nicht zwingend den Einsatz militärischer Mittel“ vor; den Staaten bleibe vielmehr, wie im Nato-Bündnisfall, ein „Beurteilungsspielraum“. Wohl auch aus diesen Gründen hat Frankreichs Verteidigungsminister eher zurückhaltend von einer Unterstützung der EU-Mitgliedsstaaten „Im Rahmen der Möglichkeiten“ gesprochen: Eine belastbare Rechtspflicht, in der aktuellen Krise militärische Hilfe bereitzustellen, lässt sich eher schwer begründen.

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