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Ein Touristenmagnet in Istanbul: die Blaue Moschee.

© Marius Becker/dpa

Terrorangst wegen IS und PKK: Istanbul wird zur "Stadt der Angst"

Seit die Türkei militärisch gegen den IS und die PKK vorgeht, warnen die Behörden in der türkischen Metropole Istanbul vor Anschlägen. Und die scharfen Töne von Staatspräsident Erdogan verstärken die Angst weiter.

Nachdem die türkische Regierung mit Luftangriffen und Massenfestnahmen gleichzeitige Offensiven gegen die Terrormiliz Islamischer Staat und gegen die Kurdenrebellen von der PKK gestartet hat, wächst im Land die Angst vor Terroranschlägen. Äußerungen von Spitzenpolitikern wie Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der am Dienstag den Friedensprozess mit den Kurden aufkündigte, heizen die Spannungen noch weiter an. Die Behörden in der Metropole Istanbul warnen vor Anschläge auf das U-Bahnnetz. Auch westliche Experten sehen eine erhöhte Gefahr.

Angst vor Anschlägen war ein Hauptgrund dafür, dass sich die Türkei lange Zeit aus dem Kampf des Westens gegen den IS in den türkischen Nachbarländern Syrien und Irak heraushielt. Seit dem Anschlag von Suruc, bei dem vorige Woche 32 Menschen starben und der laut Ankara vom IS begangen wurde, beteiligt sich die Türkei am militärischen Vorgehen gegen die Dschihadisten. Gleichzeitig ließ Erdogan mehrere Luftangriffe gegen PKK-Stellungen im Nordirak fliegen; die Kurdenrebellen beendeten darauf ihren seit drei Jahren geltenden Waffenstillstand.

Seitdem eskalieren Gewalt und politische Spannungen immer weiter. Die PKK tötete in der Nacht zum Dienstag einen Polizeioffizier in Ostanatolien.

 Erdogan: Strafprozesse gegen kurdische Abgeordnete ermöglichen

Erdogan verschärfte unterdessen erneut den Ton gegenüber den Kurden. Er forderte, das Parlament solle den Weg für Strafprozesse gegen kurdische Abgeordnete in der Volksvertretung von Ankara freimachen. Er gibt dem Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und den Kurden offenbar keine Chance mehr: „Mit jenen, die unsere nationale Einheit und Brüderlichkeit bedrohen, kann es keinen Friedensprozess geben“, sagte der Präsident in Anspielung auf die mit 80 Abgeordneten im Parlament vertretenen HDP.

In dieser höchst spannungsgeladenen politischen Lage befürchten viele Türken nun, dass eine neue Anschlagswelle beginnen könnte. Sowohl der IS als auch die PKK haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie vor Gewalttaten gegen Zivilisten nicht zurückschrecken; beide Gruppen setzen Selbstmordattentäter ein. Islamische Extremisten verübten im November 2003 die bisher schlimmste Anschlagsserie in Istanbul, als sie bei Selbstmordattacken gegen Synagogen und britische Einrichtungen fast 60 Menschen töteten.

In den vergangenen Jahren hatten sich die Istanbuler an eine gewisse Sicherheit gewöhnt - der jetzt unterbrochene türkisch-kurdische Friedensprozess hatte bewirkt, dass die türkischen Metropolen in jüngster Zeit von Terror größtenteils verschont blieben. Selbst in dieser Zeit wurde die Ruhe zwar hin und wieder durch Anschläge unterbrochen. So sprengte sich im Januar eine mutmaßliche Islamistin in einer Polizeiwache in unmittelbarer Nähe von Blauer Moschee und Hagia Sophia in der Istanbuler Altstadt in die Luft.

Selbst die heftigen Gezi-Unruhen von 2013 konnten die meisten Istanbuler nicht aus der Ruhe bringen, weil Unbeteiligte die umkämpften Stadtviertel um den Gezi-Park einfach meiden konnten. Verglichen mit den 1990er Jahren blieb die Situation einigermaßen entspannt.

Einige Istanbuler meiden nun die Metro  

Damit könnte es nun vorbei sein, und die Istanbuler treffen Vorsichtsmaßnahmen, die viele noch aus den schlimmsten Tagen des Kurdenkrieges kennen. Der Unternehmer Onur C. etwa sagt, er meide ab sofort öffentliche Verkehrsmittel und alle Teile von Istanbul, die er nicht genau kenne. Ein anderer Istanbuler meinte am Dienstag, auch er vermeide es so gut es gehe, mit der Metro zu fahren. Neue Anschläge in Istanbul wären keine Überraschung: „Aber ich werde mir mein Leben von diesen Bastarden nicht vermiesen lassen.“

Istanbul werde zur „Stadt der Angst“, meldete die Internetplattform „RotaHaber“. In sozialen Netzwerken verbreitete sich die Nachricht von einem Schreiben des Gouverneursamtes an alle Istanbuler Polizeidienststellen, in dem besonders gefährdete U-Bahnstationen aufgelistet wurden. Zudem war von fünf  angeblich mit Sprengstoff beladenen Fahrzeugen die Rede, die im Istanbuler Stadtgebiet unterwegs seien. „Die Leute trauen sich nicht mehr auf die Straße“, hieß es bei „RotaHaber“. Die Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ berichtete, viele Istanbuler wollten sich von belebten Plätzen fernhalten.

 Hinweise auf Selbstmordattentäter in sechs anatolischen Provinzen

Andere Gegenden des Landes müssen ebenfalls mit neuer Gewalt rechnen. Laut Presseberichten will der Geheimdienst MIT Hinweise auf mutmaßliche Selbstmordattentäter in sechs ostanatolischen Provinzen haben. Auch ausländische Touristen könnten ins Visier von Gewalttätern geraten. Eine Splitterpruppe der PKK schlug vor einigen Jahren mehrmals in türkischen Urlaubsorten zu. Die „aggressive Politik“ Ankaras gegenüber dem IS und der PKK habe das Risiko von Terroranschlägen und öffentlichen Unruhen in der Türkei erheblich erhöht, bilanzierte die Beraterfirma Teneo.

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