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Terroranschlag in Boston: Die Bombe bei Kilometer 42

„Bereit für den Heartbreak Hill!“ – sie waren für den Lauf angereist, voller Vorfreude. Und im Wissen, dass der Marathon ihnen alles abverlangen würde. Dann krachte es vor dem Ziel.

Sie gehörte zu den mehr als 20 000 Läufern, die am Montag in Boston am Start waren. Die 40-jährige Friederike Edelmann aus Frankfurt, die seit mehr als sieben Jahren in New York lebt und als Mitglied der New York Road Runners regelmäßig Straßenrennen und den berühmten New-York-Marathon läuft, war am Tag zuvor mit Freunden angereist. Auf ihrer Facebook-Seite informierte sie Freunde regelmäßig über jeden Schritt in Boston, schrieb von der traditionellen Marathon-Messe, wo Läufer ihre Startnummern abholen, dann aus dem Taxi („Noch etwas müde, aber bereit für Heartbreak Hill“) und schließlich aus dem Athletendorf, wo sie sich Stunden vor dem Start mit Plastiktüten und Decken warm hielt.

Das nächste Facebook-Foto zeigt Edelmann unmittelbar nach dem Zieleinlauf, vor Freude strahlend, eine Medaille um den Hals – da ahnte die Athletin noch nicht, das ihr der Boston-Marathon letztlich nicht wegen ihrer guten Zeit in Erinnerung bleiben würde: Die Läuferin überquerte die Ziellinie nach 3 Stunden 33 Minuten – rund zwanzig Minuten, bevor die erste von zwei Explosionen den Zielbereich ins Chaos stürzte und Läufer von den Beinen riss.

Die Grafik zeigt die Orte, an denen die Bombem beim Boston-Marathon explodierten.
Die Grafik zeigt die Orte, an denen die Bombem beim Boston-Marathon explodierten.

© TSP/Schmidt

Als sie die Bomben hörten, waren sie ein paar hundert Meter hinter der Ziellinie

„Wir waren schon ein paar hundert Meter hinter der Ziellinie“, erzählt Edelmann hinterher, „und hatten gerade unsere Taschen abgeholt, als wir plötzlich Explosionen hörten.“ Sie hätten zunächst nicht geahnt, was passiert war, und seien in Richtung U-Bahn gelaufen. „Wir hatten gerade eine Station erreicht, als Polizisten alles absperrten und wir umkehren mussten.“ Erst in einem nahe gelegenen Starbucks-Café erfuhren Edelmann und ihre Mitstreiter die ersten Details. Plötzlich waren die Schmerzen in den Beinen und die Pein von „Heartbreak Hill“ vergessen, jener unangenehmen Steigung, die Athleten in Boston bei Kilometer 33 erwartet. „Wir sind in Sicherheit“, schrieb Edelmann auf Facebook, um zunächst Freunde und Familie zu beruhigen.

Der Boston-Marathon ist nicht der größte Marathon der Welt, und wegen seiner abschüssigen Streckenführung zählen Bestzeiten aus Boston nicht einmal in der internationalen Wertung. Und trotzdem ist der Boston-Marathon der Klassiker, den sich viele Läufer als Lebensziel setzen. Der älteste Straßenmarathon der Welt wird seit 1897 gelaufen, und wer starten will, muss sich mit respektablen Zeiten in anderen Rennen qualifizieren.

Die Marathon-Strecke führte nicht zum Ausgangspunkt zurück

Die Strecke führt nicht, wie bei anderen Stadtmarathons üblich, in einer großen Schleife wieder zum Ausgangspunkt zurück. Sie "wurde gewählt, um dich zu erniedrigen“, schreibt der „New Yorker“. Wenn es Gegenwind gibt, dann quält er einen über die gesamte Distanz. Nachdem der Teilnehmer erst durch das stille Farmland gelaufen und das Wesley College passiert hat, an dem die Studenten für aufmunternden Lärm sorgen, erheben sich vor einem an Kilometer 30 mehrere Hügel. Es sei just der Zeitpunkt, „da dir die Zuckerreserven ausgehen“, wie ein Läufer sagt. „Die Strecke raubt dir die Zuversicht in dem Moment, in dem es auch dein Körper tut.“

Jedes Jahr am „Patriot Day“ führt der Marathon durch das koloniale Herz Amerikas, durch die engen Gassen der Altstadt, in der einst der Kampf um die Unabhängigkeit von den Briten begonnen hat. Der Bombenanschlag auf den Boston-Marathon ist schon deshalb ein Anschlag auf die amerikanische Seele, und wie immer in tragischen Momenten geht eine Welle der Solidarität durch das weite Land. Ganz Amerika betet für die Opfer von Boston, ganz Amerika verfolgt jedes Wort der ermittelnden Behörden.

"Meine Beine Zitterten"

Einen Tag nach den Anschlägen auf den Boston Marathon zeichnet sich ab: Für Friederike Edelmann und viele andere hätte es am Montag noch schlimmer kommen können. Ermittler gehen davon aus, dass die Explosionen früher geplant waren. Zur Tatzeit waren die meisten Teilnehmer im Ziel, die Elite-Läufer – darunter die deutsche Spitzenathletin Sabrina Mockenhaupt – bereits im Hotel.

Doch in der Endphase des Rennens richteten die Anschläge verheerende Schäden an. Dabei kamen die Läufer selbst noch mit dem Schrecken davon. Den 78-jährige Bill Iffrig, der gerade seinen dritten Boston-Marathon beenden wollte, riss die Druckwelle der Explosion von den Füßen. „Meine Beine zitterten, aber ich hatte keine Schmerzen“, berichtete Iffrig später. Mehrere Streckenposten waren innerhalb weniger Sekunden bei ihm. „Sie halfen mir auf, so dass ich das Rennen noch beenden konnte.“ Livebilder von der Ziellinie zeigen unterdessen, wie sich zahlreiche andere Läufer erschreckt nach der Explosion umdrehen, ihr Rennen aber für die letzten Meter fortsetzen konnten. Wirkliche Panik brach erst aus, als zehn Sekunden nach der ersten Explosion die zweite Bombe detonierte und etwa 100 Meter weiter der Jubel der Fans in entsetztes Schreien umschlug.

Unter den drei Todesopfern ist ein achtjähriger Junge, der voller Freude auf den Zieleinlauf seines Vaters wartete. Zahlreichen Menschen wurden Gliedmaßen abgerissen. Insgesamt meldete die Polizei mehr als 170 Verletzte, viele davon schwer. Die Opfer hatten Glück im Unglück, da im Zielbereich eines Marathons zumindest eine ausgezeichnete medizinische Infrastruktur besteht. Zahlreiche Krankenwagen standen bereit, hunderte von Sanitätern waren in Erste-Hilfe-Zelten in Bereitschaft. Auch die Krankenhäuser in der Metropole waren vorbereitet.

Dass unter den Patienten ein Verdächtiger sei, wurde vom FBI schnell dementiert

„Am Tag des Marathons nehmen wir traditionell 30 Prozent mehr Patienten auf als an jeden anderen Tag“, sagte ein diensthabender Arzt. Zwar waren Ärzte und Helfer eher auf unterkühlte und dehydrierte Läufer vorbereitet und nicht auf traumatisierte Terroropfer, doch konnte man eben auch diesen schneller helfen als sonst und für zahlreiche Patienten Schlimmeres verhindern.

Dass unter den Patienten in einem der Krankenhäuser ein Verdächtiger sei, wurde vom FBI schnell dementiert. Die Bundespolizei, die mit Unterstützung der Landes- und der lokalen Behörden ermittelt, machte noch am Montagabend klar, dass man in alle Richtungen ermittele und noch keine heiße Spur habe.

Allem Anschein nach werden die Ermittlungen lange Zeit dauern. Die Behörden wollen sich Zeit lassen, um nicht etwa die Fehler von 1996 zu wiederholen. Damals beeilte man sich nach einem Bombenanschlag auf die Olympischen Spiele von Atlanta einen Schuldigen zu finden – und erwischte den falschen. Es dauerte später Jahre, den wahren Attentäter zur Verantwortung zu ziehen.

Die Ermittlungen in Boston begannen mit der Suche nach den Sprengsätzen

Die Ermittlungen in Boston begannen zunächst mit der fieberhaften Suche nach möglichen weiteren Sprengsätzen. Die Polizei durchkämmte ein Gebiet von 15 Straßenblocks rund um den Tatort und legte den öffentlichen Nahverkehr lahm. Der nahm erst Stunden später den Betrieb unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen wieder auf. In Zügen und U-Bahnen soll es in den nächsten Tagen verstärkte Taschenkontrollen geben. Auch in anderen gr´ßen Städten der USA, etwa in New York, war man umgehend in erhöhter Alarmbereitschaft.

Eine besonders tragische Verbindung besteht zwischen dem Marathon und dem Schulmassaker von Newtown in Connecticut, wo im Dezember 20 Erstklässler und sechs Lehrer getötet wurden. „26 Meilen für 26 Opfer“ war in diesem Jahr das Motto des Rennens in Boston, wo Läufer der Toten von Newtown gedachten. Angehörige sollen auch im Zielbereich an der Boylston Street gewesen sein.

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