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Die zwei Tatverdächtigen des Anschlags in Essen.

© dpa

Terroristen im Teenageralter: Wie der IS Minderjährige lockt

Nicht erst der Anschlag auf einen Sikh-Tempel in Essen zeigt: Die Terrormiliz IS verführt mit ihrer Propaganda zunehmend Minderjährige.

Von Frank Jansen

Hinter dem Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen steckt möglicherweise eine Gang junger Salafisten. Die Polizei nahm in der Nacht zu Freitag zwei 16-Jährige kurzzeitig in Gewahrsam, „um zu prüfen, inwieweit von ihnen ebenfalls Gefahren ausgehen“, wie es in einer Pressemitteilung heißt. Die Jugendlichen hätten in Kontakt zu den beiden ebenfalls 16 Jahre alten mutmaßlichen Attentätern gestanden, war in Sicherheitskreisen zu hören. Alle vier Schüler seien den Behörden schon länger als Sympathisanten der Terrormiliz „Islamischer Staat“ bekannt und hätten einen „kriminellen Vorlauf“. Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz prüfen nun, ob sich in Essen eine islamistische Terrorgruppe gebildet hat. Bei dem Angriff mit einem Sprengsatz waren vergangenen Sonnabend während einer Sikh-Hochzeit drei Menschen verletzt worden, einer von ihnen schwer. Die in der Nacht zu Donnerstag gefassten, türkischstämmigen Täter sitzen in Untersuchungshaft.

Die einen Tag später von der Polizei kurz festgehaltenen 16-Jährigen seien auch der salafistischen Szene zuzurechnen, sagten Sicherheitsexperten. Einer habe afghanische Wurzeln, der andere sei türkischstämmig. Die beiden wurden am Freitag wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Die Beamten machten ihnen jedoch in einer „Gefährderansprache“ deutlich, sie würden beobachtet. Der türkischstämmige Jugendliche war bereits früher aufgefallen, weil er in Richtung Syrien ausreisen wollte. Das habe die Polizei verhindert, sagten Experten.

Wahrscheinlich sei der Kreis der jungen Salafisten in Essen noch größer, hieß es. Neben den beiden Attentätern und den zwei kurz festgenommenen Jugendlichen zählten noch weitere junge Leute dazu. Die Radikalisierung sei erschreckend, sagte ein Experte. Einer der beiden Attentäter hatte auf seine Facebook-Seite ein Video des Berliners Denis Cuspert eingestellt, der von Syrien aus mit wüsten Parolen und Drohungen als das deutsche Sprachrohr des IS auftritt. Meldungen, er sei getötet worden, haben sich bislang nicht bestätigt. Cusperts Einfluss auf junge Salafisten in Deutschland scheint ungebrochen zu sein.

Junge Märtyrer

Mit Sorge beobachten die Sicherheitsbehörden, dass der IS mit seiner Propaganda zunehmend auch Minderjährige verführt. Ein weiterer spektakulärer Fall neben dem der Essener Täter ist der des 15-jährigen Mädchens, das im Februar in Hannover mit einem Messer einem Bundespolizisten in den Hals stach. Die Jugendliche hatte zuvor versucht, zum IS zu reisen, ihre Mutter holte sie jedoch aus der Türkei zurück. An der fanatischen Gesinnung änderte sich aber nichts. Inzwischen ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen die Jugendliche wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Unterstützung einer ausländischen Terrororganisation.

Ein gravierendes Indiz für die Radikalisierung von Minderjährigen und jungen Erwachsenen ist die hohe Zahl von Ausreisen in den Dschihad. Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz sprachen im September 2015 in einer Studie von fast 80 Männern und Frauen im Alter von 15 bis 18 Jahren, die nach Syrien gereist sind. Die meisten jungen Salafisten, mehr als 60, waren noch Schüler, als sie in den Bürgerkrieg zogen.

Der IS selbst setzt unverhohlen auf die Bereitschaft junger Menschen, sich für eine angeblich große Sache zu opfern. Von Januar 2015 bis Januar 2016 präsentierte die Terrormiliz in ihrer Propaganda insgesamt 89 minderjährige „Märtyrer“, die als Selbstmordattentäter oder bei Gefechten ums Leben gekommen waren. Dies ergab eine Studie des „Combating Terrorism Center“ der US-Militärakademie West Point, die im Februar veröffentlicht wurde. Die meisten Jungen und Mädchen starben im Irak, mehr als ein Drittel in Syrien und weitere unter anderem in Libyen und Jemen. Etwa ein halbes Dutzend war jünger als 14 Jahre.

Die vom IS gefeierten jungen „Märtyrer“ kamen nicht nur aus arabischen und anderen islamischen Ländern, sondern auch aus Frankreich, Großbritannien und Australien. Deutsche werden in der Studie nicht genannt.

Auf ein weiteres Problem machte kürzlich der niederländische Nachrichtendienst AIVD aufmerksam. Die Dschihadisten, die sich nach Syrien und Irak begeben, setzen dort auch Kinder in die Welt. Sie wachsen in einem terroristischen Gebilde auf, das sich Staat nennt. Allein den Kämpfern aus Holland werden 70 Kinder zugeschrieben. „Das sind die Terroristen von morgen“, sagte ein AIVD-Experte. Und er erwähnte ein Video, in dem ein Vierjähriger seinem Teddybären den Kopf abschneidet.

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