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Stiller Protest.

© AFP

Politik: Terroristin in Freiheit

Der Europäische Gerichtshof ordnet die Entlassung einer Eta-Gefangenen an Nun machen sich viele weitere Häftlinge in Spanien Hoffnung.

Madrid - Sie fühlt sich von der Justiz verlassen, die spanische Vereinigung der Terroropfer. So drückte sie es selbst aus. „Wir sind empört und wütend“, hieß es zudem in einer Erklärung. Grund der Aufregung ist die Freilassung der inhaftierten Eta-Aktivistin Ines del Rio Prada, die 1990 wegen 24-fachen Mordes zu mehr als 3000 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Doch entsprechend einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg kam sie nun am Dienstag frei. Der Gerichtshof hatte im Fall der 55-jährigen früheren Kämpferin der baskischen Untergrundorganisation die nachträgliche Verlängerung ihrer Haftstrafe für illegal erklärt. Doch damit nicht genug.

Obwohl Spaniens konservative Regierung nach der Niederlage vor dem Straßburger Gerichtshof ankündigte, keine automatische Entlassung von anderen Eta-Häftlingen zu planen, könnte das Urteil dennoch die baldige Freilassung von etwa 50 verurteilten Terroristen sowie weiteren einsitzenden Schwerverbrechern zur Folge haben. „Wir werden“, sagte Justizminister Alberto Ruiz-Gallardon, „Fall für Fall prüfen.“ Der EU-Gerichtshof hatte zwar konkret nur über den Fall von Ines del Rio entschieden. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass dieses Urteil auch in allen ähnlichen Haftfällen bald die Zellentüren öffnet.

Del Rio war eine der gewalttätigsten Terroristinnen der baskischen Separatistenorganisation. Sie wurde wegen vielfachen Mordes sowie etlicher Terrorakte zu einer Gesamtstrafe von 3828 Jahren verurteilt. Ihre tausendjährige Strafe ist in der Praxis jedoch durch die gesetzliche Hafthöchstgrenze auf maximal 30 Jahre Freiheitsentzug begrenzt gewesen. Im Jahr 2006 entschied Spanien dann, dass Terroristen und andere Schwerkriminelle nicht mehr so einfach mit einem Strafrabatt, zum Beispiel wegen guter Führung, vorzeitig freikommen sollten. Seitdem wurde eine mögliche Strafminderung nur noch auf die exorbitante Gesamtstrafe und nicht wie bisher auf die tatsächlich zu verbüßende Höchststrafe angerechnet.

Die Strafverschärfung für Eta-Aktivisten war beschlossen worden, nachdem die vorzeitige Haftentlassung von Massenmördern große Empörung ausgelöst hatte. Die daraufhin verordnete Erschwerung der Strafnachlässe für Terroristen war erstmals auf den Eta-Aktivisten Henri Parot angewandt und daher unter dem Namen „Parot-Doktrin“ bekannt geworden. Parot war zu einer Gesamtstrafe von 4800 Jahren wegen der Verwicklung in Dutzende Terrormorde verurteilt worden.

Dass die Regel rückwirkend auf bereits verurteilte Terroristen angewandt wurde, war unter Juristen von Beginn an umstritten und löste eine Klagewelle aus. Nun gab der Menschengerichtshof der Beschwerde von Ines del Rio statt. Sie hätte nach der alten Regelung, die zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung galt, bereits im Jahre 2008 freikommen müssen. Die nachträgliche Verlängerung ihrer Haftzeit verstoße gegen die europäischen Konventionen, urteilten die Straßburger Richter.

Die Terrorgruppe Eta entstand vor mehr als einem halben Jahrhundert. Sie versuchte bis vor wenigen Jahren, mit Bombenanschlägen die Unabhängigkeit der Baskenregion durchzusetzen. Mehr als 800 Menschen wurden durch die von der Organisation verübten Anschläge getötet. Vor zwei Jahren verkündete die Eta „das Ende der bewaffneten Aktivität“. Die Extremistengruppe hat sich aber bisher weder aufgelöst noch die Waffen abgegeben und wird weiter von der Polizei verfolgt.Ralph Schulze

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