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Aus Sorge vor einem Terroranschlag noch im November sind in ganz Deutschland die Sicherheitsvorkehrungen mit sichtbarer Polizeipräsenz verschärft worden.

© dapd

Terrorwarnung: Zielscheibe Berlin

Selten war eine Warnung vor Terroranschlägen so detailliert. Plant Al Qaida neue Attentate in Europa? Sicherheitsexperten dementieren inzwischen Meldungen, dass Islamisten aus Berlin Teil des Szenarios wären.

Von Frank Jansen

Das sei manchmal penetrant, sagen die Deutschen, wie die Amerikaner vor Angriffen der Terrorszene warnen: so oft und eindringlich und auch in belehrendem Ton. Doch vergangene Woche dann lieferten die Amerikaner Informationen, wie sie brisanter kaum sein könnten. Zwei bis vier Terroristen, womöglich auch sechs, geschickt von Al Qaida, hätten sich in Richtung Deutschland begeben, um Anschläge zu verüben. Und die US-Behörden nannten einen konkreten Termin: Vom 22. November an, also ab Montag, sei zu erwarten, dass Attentäter „hier zuschlagen“, wie ein Sicherheitsexperte sagt. So deutlich, so detailliert war kaum je eine Warnung der Amerikaner zuvor.

„Es gibt Grund zur Sorge“, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Mittwoch vor der eilig zusammengetrommelten Presse. Der Christdemokrat, beim Thema Terror lange abwägend, zurückhaltend, skeptisch, sagt auch diesmal, Anlass zur Hysterie gebe es nicht. Ist die Schwelle zu kollektiver Angst überschritten?

Deutschland hat nach dem 11. September 2001 mehrfach Anschlagsversuche überstanden. Die Täter wurden rechtzeitig gefasst oder scheiterten an sich selbst, wie die technisch unerfahrenen Kofferbomber. Steht nun ein weiterer Anschlagsversuch bevor – und erlebt Deutschland ein Inferno, wie es unter anderem London und Madrid seit 9/11 traf?

Die Sicherheitsbehörden sind mit einer Art Doppelszenario konfrontiert. Zwei militante Islamisten sollen nach den bislang vorliegenden Hinweisen bereits vor sechs bis acht Wochen nach Deutschland gereist sein, um in einer Großstadt ein Ziel anzugreifen, bei dem sich größere Menschenmengen aufhalten. Die Terroristen, sagen Experten, warteten noch auf Zünder – und auf eine E-Mail, in der ihnen Al Qaida den Befehl zum Anschlag erteilt. Sind es diese beiden Männer, die ab dem 22. November zuschlagen sollen? Unklar bleibt auch, welche Metropole getroffen werden soll.

Zweiter Teil des Szenarios: Bis zu vier Dschihadisten aus dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet wurden von Al Qaida ausgesucht, um in der Region Berlin einen Anschlag auf ein wichtiges Gebäude zu verüben. Nach dem Muster des Terrorangriffs auf Mumbai. In der indischen Hafenstadt hatten pakistanische Terroristen im November 2008 drei Tage lang geschossen, gebombt, Geiseln genommen und getötet. Am Ende waren mehr als 170 Menschen massakriert. „Mumbai“ hat in den deutschen Sicherheitsbehörden einen ähnlich schrillen Klang wie „9/11“. Sind es die bis zu vier Dschihadisten aus Wasiristan, die ab dem 22. November angreifen?

Womöglich droht sogar ein Doppelanschlag, in zwei Städten gleichzeitig oder kurz hintereinander. Das würde zu Al Qaida passen – den Schrecken eines Angriffs durch einen zweiten oder dritten zu potenzieren, gehört zur blutig-bewährten Taktik. Sicherheitsexperten dementieren allerdings Meldungen, wonach es Hinweise geben soll, Islamisten aus Berlin wären Teil des Szenarios. Andererseits hat das Bundeskriminalamt bereits im September vor dem Berliner Islamisten Hayrettin Burhan S. gewarnt. Er wird mit internationalem Haftbefehl wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer Terrorgruppierung gesucht und soll sich im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan aufhalten. Oder ist er schon wieder zurück in Deutschland?

Die Sicherheitsbehörden kämpfen sich durch ein Dickicht von Hinweisen, Fakten und Gerüchten. Berlins Innensenator Ehrhart Körting, einer der erfahrensten Innenpolitiker der Republik, hält die Lage für brisanter als die Situation vor der Bundestagswahl 2009. Damals hatten Al Qaida und andere Terrorgruppen die Bundesrepublik mit Drohvideos aufgeschreckt. Da rief sogar der deutschmarokkanische Al-Qaida-Mann Bekkay Harrach die Muslime in Deutschland auf, sich in den zwei Wochen nach der Bundestagswahl im September 2009 „von allem, was nicht lebensnotwendig ist“, fernzuhalten – sollten die Wahlen nicht so ausgehen, wie es Al Qaida verlangte, mit einem Sieg der Gegner des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan. Doch jetzt ist die Gefahr noch größer.

Damals habe es keine konkreten Hinweise gegeben, dass die Terrorszene ihre Drohungen wahr macht, sagt Körting. Jetzt aber hätten die Sicherheitsbehörden „Anfasser“. Wie konkret sie sind, sagt der Senator nicht. Immerhin hat die Berliner Polizei am Mittwoch um 13 Uhr den Schutz der US-Botschaft und anderer besonders gefährdeter Objekte hochgefahren. Das gilt auch für die Botschaften Großbritanniens und Israels und für jüdische Einrichtungen überhaupt. Amerikaner, Briten und Juden stehen bei Al Qaida auf der Skala des Hasses ganz oben. Die Deutschen kommen gleich danach.

Wer aber steckt hinter den Anschlagsplänen, wer ist der Mastermind des Terrors, der die Bundesrepublik treffen soll? Wer sind die „Anfasser“, von denen Körting spricht? Sicherheitsexperten erwähnen Mohammed Ilyas Kaschmiri, 46 Jahre alt, ein Mann aus dem pakistanischen Teil Kaschmirs. Kaschmiri hat bereits in den 80er Jahren in Afghanistan gegen die sowjetischen Besatzer gekämpft, jetzt ist er bei Al Qaida und offenbar zu ihrem Kommandeur für Angriffe aufgestiegen, die in Indien verübt werden sollen – oder auch von Indien aus. Die USA und die Vereinten Nationen haben Kaschmiri im August auf die Liste der „Specially Designated Global Terrorists“ gesetzt. Das ist eine Art Negativauszeichnung, wie sie nur den Ultras der Dschihadistenszene zuteil wird. Osama bin Laden und sein Stellvertreter, der Ägypter Aiman al Sawahiri, stehen auch auf der Liste. Im Februar habe Kaschmiri, sagen Experten, den Angriff auf das Touristenlokal „German Bakery“ in der indischen Stadt Pune, inszeniert, die früher Poona hieß. In der German Bakery explodierte eine Rucksackbombe, 17 Menschen starben, etwa 60, darunter eine Deutsche, erlitten Verletzungen. War das der Testlauf für Anschläge in der Bundesrepublik?

Zu den zwei bis sechs Terroristen, die in Deutschland zuschlagen könnten, sagen Sicherheitsexperten nur wenig. Einige Männer stammten wahrscheinlich aus Indien und Pakistan, vermutlich wollten sie über die Vereinigten Arabischen Emirate nach Deutschland reisen.

Al Qaida soll die Dschihadisten im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet rekrutiert haben. Das Areal, vor allem die Nordhälfte der pakistanischen Stammesregion Wasiristan, ist Brutstätte und Versteck und Tummelplatz der islamistischen Terrorinternationale. Hier reisen auch Islamisten aus Deutschland hin, besonders fanatische Konvertiten und Muslime mit Migrationshintergrund, die sich in der Bundesrepublik in Moscheen oder über das Internet radikalisiert haben. Solche Leute gelten als extrem gefährlich.

Kehren sie nach Deutschland zurück, ausgebildet im Umgang mit Waffen und Sprengstoff und womöglich auch kampferprobt, ist ihnen alles zuzutrauen. Außerdem kennen sich diese Veteranen des Heiligen Krieges zumindest in den Regionen Deutschlands aus, in denen sie vor der Reise in den Dschihad gelebt haben. Sie wissen, wo eine Synagoge steht, wo weitere symbolträchtige Ziele für einen Anschlag zu finden sind, vielleicht ein Konsulat der Briten oder eine Diskothek, in der Amerikaner verkehren. Oder eine U-Bahn, ein Stadion, ein beliebtes Kaufhaus, ein größeres Erotikgeschäft, verachtet von frommen Muslimen als Symbol westlicher Dekadenz. Die Liste der „weichen“ Ziele sei gigantisch, sagt Innensenator Körting.

Offen bleibt, ob die Terroristen, die nach Deutschland unterwegs sein sollen oder womöglich schon hier sind, einen Bezug zu Deutschland haben oder ob, wie der Hinweis auf Indien und Pakistan nahelegt, die meisten von dort stammen und eher als eine Art Fremdtäter in die Bundesrepublik eingeschleust werden sollen oder schon wurden. Wenn es so sein sollte, wäre dennoch zu klären, ob es Komplizen in Deutschland gäbe, vor allem Unterstützer, die mit Informationen und womöglich Waffen oder Sprengstoff oder zumindest Chemikalien helfen würden. Bislang wisse man zu wenig über die zwei bis sechs Terroristen, um Steckbriefe aufzuhängen, sagt ein Fachmann. Und er betont, es sei schwierig, eine so kleine Gruppe rechtzeitig zu entdecken. Erst recht, wenn die Dschihadisten über getrennte Routen nach Deutschland kommen. Aber einigen Andeutungen ist zu entnehmen, dass die Sicherheitsbehörden nicht nur im Nebel stochern. Jedenfalls untersucht das Bundeskriminalamt die Visaanträge, die in den vergangenen Wochen bei den deutschen Botschaften in Pakistan, Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten eingegangen sind. Ob das BKA gezielt nach Namen sucht oder nur auf Verdacht hin Anträge sichtet, wird nicht gesagt, um die Fahndung nicht zu gefährden.

Ermittelt wird allerdings schon länger, die ersten halbwegs konkreten Hinweise auf mögliche Terrorangriffe gegen Deutschland kamen bereits im Spätsommer. Im Juni hatten die Pakistaner den Deutschsyrer Rami M. festgenommen, der offenbar freiwillig in die Bundesrepublik zurückkehren wollte, frustriert vom harten Leben in Wasiristan.

Einen Monat später schnappten die Amerikaner in Kabul den Deutschafghanen Ahmed S., der wie Rami M. im März 2009 aus Hamburg angereist war. Beide reden, Rami M. sitzt inzwischen in einem hessischen Gefängnis und wird intensiv verhört. Die Aussagen sind teilweise ähnlich, möglicherweise ergänzen oder bestätigen sie sogar die Hinweise der Amerikaner auf die Pläne des Al-Qaida-Kaders Mohammed Ilyas Kaschmiri.

Ein weiterer Al-Qaida-Anführer, Scheich Yunis al Mauretani, soll Rami M. und Ahmed S. angesprochen haben, um sie für Anschläge zu werben. Der Scheich gilt wie Kaschmiri als wichtige Figur bei Al Qaida, angeblich hat Osama bin Laden die Pläne Mauretanis gebilligt. Das würde bedeuten, der Al-Qaida-Chef wäre weiterhin auch operativ tätig und würde nicht nur als Guru die Terrorszene inspirieren, wie in Teilen der Sicherheitsbehörden seit langem zu hören ist. Demnach wäre auch nicht auszuschließen, dass die Paketbomben aus dem Jemen, von denen eine über den Flughafen Köln-Bonn nach England gelangte, eine alte Idee bin Ladens gewesen sein könnte. Sie hat nur nicht funktioniert. Zumindest diesmal nicht.

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