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So sieht sie aus. Die Zukunft? Nein, die Gegenwart.

© Bernd Wüstneck/dpa

Teufelskreis der alternden Gesellschaft: Wir brauchen dringend Einwanderer, wollen sie aber nicht

Eine vergreisende Gesellschaft ist sehr konservativ und lehnt Zuwanderung eher ab. Dabei ist sie auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Wahrlich, die Zeit wird kommen, in der die Deutschen sehr viel milder als heute über Angela Merkel und jenes turbulente Jahr 2015 urteilen, in dem Hunderttausende Flüchtlinge ins Land gelassen wurden. Ein kurzer Blick nach Japan zeigt, warum. Japan ist das Land mit der im Durchschnitt ältesten Bevölkerung der Welt. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind 22 Prozent der Japaner älter als 65 Jahre. In Italien und Deutschland sind es zwanzig Prozent. Dabei steigt die Lebenserwartung. Mehr als die Hälfte der Kinder, die heute in Japan geboren werden, hat die Aussicht, erst in hundert Jahren zu sterben.

Bei niedriger Geburtenrate heißt das: Die Alten werden immer mehr, und sie leben immer länger. Das ist ein globaler Trend, von dessen Folgen die Industrienationen besonders stark betroffen sind. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit, das schreibt der „Economist“ in seiner jüngsten Ausgabe, leben auf der Welt mehr Menschen, die älter sind als 65 Jahre, als solche, die jünger sind als fünf. In zwanzig Jahren wird das Verhältnis zwei zu eins betragen.

Eine junge Gesellschaft ist billiger als eine alte

Japan hat alles versucht, um die dramatischen Auswirkungen einer rapide alternden Gesellschaft abzuschwächen. Einheimische Arbeitskräfte wurden bewogen, länger als bis zur Pensionsgrenze im Job zu bleiben. Mehr Frauen wurden eingestellt. Massiv wurde in die Robotertechnik investiert, um Produktivitätsverluste auszugleichen.

Dennoch kommen auf jeden Arbeitsplatzsuchenden 1,6 freie Stellen. Ausgleichen lässt sich das nur durch Einwanderung. Zu Hunderttausenden sollen jetzt neue ausländische Arbeitskräfte ins Land geholt werden. Experten schätzen den Bedarf der drittgrößten Weltwirtschaft auf mehr als eine Million zusätzlich. Schon jetzt beläuft sich die Zahl der sogenannten „Trainees“ auf fast 1,5 Millionen. Ihre Familien dürfen sie nicht mitbringen. Das dürfte ein integrationspolitischer Fehler sein.

Der satte Deutsche schlendert durch den Drogeriemarkt und wählt aus 100 Fläschchen die mit dem schönsten Duft aus. Wer meint, dass Einwanderung ebenso funktioniert, ist auf dem Holzweg. Da kommen Dicke, Dünne, Große und Kleine, [...] Selbstzufriedene und Problembeladene. Wie Menschen nun mal so sind. Die Welt ist kein Supermarkt.

schreibt NutzerIn yoda

Junge Gesellschaften haben hohe Bildungs- und niedrige Arbeitsplatzkosten, einen regen Unternehmergeist bei großer Risikobereitschaft. Alte Gesellschaften haben niedrige Bildungs-, aber sehr hohe Gesundheits- und Rentenausgaben, Innovationen sind eher selten. Eine junge Gesellschaft ist billiger als eine alte. Außerdem ist sie offener für Reformen, Einwanderung und multinationale Bündnisse. Kein Zufall, dass die Anhängerschaft von Donald Trump und den Brexiteers überwiegend aus Senioren besteht.

Hier beginnt der Teufelskreis. Eine vergreisende Gesellschaft, in der immer weniger junge Menschen die Kosten für immer mehr bedürftige alte erwirtschaften müssen, ist angewiesen auf junge, ausländische Arbeitskräfte. Weil aber eine vergreisende Gesellschaft sich politisch meist konservativ verhält, sinkt ihre Bereitschaft zur Duldung von Einwanderung.

Über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung rund um das Jahr 2015 wurde nicht abgestimmt. Dadurch konnte geschehen, was zum Wohle des Landes geschehen musste. Die Hilfsbereitschaft eines großen Teils der Bevölkerung war in humanitärer Hinsicht beispielhaft und in ökonomischer Hinsicht notwendig. Wer mit dem Altern weiser wird, sieht das leicht ein.

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