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Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU)

© Mike Wolff

Thomas de Maizière im Interview: "Was geschehen ist, war maßlos und unverhältnismäßig"

Angesichts der jüngsten Überwachungsfälle muss Deutschland seine Spionageabwehr verstärken, fordert Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Ein Gespräch über das deutsch-amerikanische Verhältnis, Sicherheit im Netz - und "Gauchogate".

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Herr Sportminister, wo haben Sie eigentlich das Endspiel gesehen?

Ich war ja zum Achtelfinale in Brasilien. Aber das Endspiel habe ich zusammen mit Freunden in Dresden angeschaut.

Hat das allseits gelobte Auftreten der deutschen Elf unserem Bild in der Welt gutgetan?

Ja, aber ich finde, wir sollten das alles nicht immer so grundsätzlich behandeln. Erst hieß es, die deutsche Mannschaft sei schlecht – dann galt sie plötzlich als unschlagbar. Fußball verbindet Menschen über Kontinente hinweg in einem friedlichen Wettbewerb der Nationen. Das ist im Ergebnis gut für Deutschland. Aus meiner Sicht war das Besondere dieser Weltmeisterschaft, wie sehr diesmal das Team im Mittelpunkt stand und nicht einzelne Stars und wie fair sich die Mannschaft während des gesamten Turniers verhalten hat. So etwas überträgt sich auf das Ansehen eines ganzen Landes.

Und wenn diese Mannschaft dann die Gauchos verspottet …

… halte ich die Debatte darüber für völlig hysterisch und übertrieben. Ich will aber noch etwas sagen: Als ich in Porto Alegre war, habe ich dort Projekte besucht, in denen der DFB ganz gezielt Fußballschulen mit Jungen und Mädchen in armen Gegenden fördert. Wir kommen also nicht nur zum Fußballspielen, sondern engagieren uns auch vor Ort. Ich habe die Kinder übrigens auch gefragt, welchen deutschen Fußballer sie kennen.

Und, wer war’s?

Es ist womöglich nicht repräsentativ, aber: Özil war der bekannteste.

Politisch ist das Thema dieses Sommers immer noch das des letzten: Spionage und die USA. Trauen Sie sich noch zu telefonieren?

Klar. Ich war aber immer vorsichtig, spätestens als ich 2005 Chef des Bundeskanzleramts wurde. Mir war klar, dass ich aller Voraussicht nach abgehört würde. Mir war allerdings nicht klar, von wem. Das Spektrum hat sich seither offenbar erweitert.

Die USA sagten zum Rauswurf ihres CIA- Vertreters, das hätten sie eher von Nordkorea oder dem Iran erwartet. Aber hätten Sie nicht Spionage auch eher von dort erwartet?

Das würde ich gern etwas differenzierter formulieren. Zunächst einmal gilt: Dass Nachrichtendienste aufklären, ist für die Gewährleistung von Sicherheit wichtig. Spionage ist in jedem Land auf eigenem Gebiet jedoch strafbar. Aufklärung findet aber jenseits der eigenen Grenzen statt. Nachrichtendienste sind etwas Normales und deren Zusammenarbeit ist es auch, gerade mit den Amerikanern liegt diese Zusammenarbeit in unserem eigenen Interesse. Wir sollten jetzt nicht alles in die Tonne treten. Auch Vertragsverhandlungen über Freihandelsabkommen setzt man deswegen nicht aus.

Sondern?

Es gilt unter Profis eben auch, dass man die Folgen trägt, wenn man sich erwischen lässt. Manches an dieser Aufregung auf amerikanischer Seite ist künstlich.

Ein Fragenkatalog, den noch Ihr Vorgänger nach Washington schickte, ist bis heute nicht beantwortet. Behandeln die USA Deutschland wie einen Partner?

Es geht um eine Frage des Maßes und des Umgangs unter Freunden. Wir sind füreinander wichtig. Es dürfte den USA schwerfallen, viele derart stabile und verlässliche Partner in der Welt zu finden wie Europa insgesamt und speziell Deutschland. Was geschehen ist, war maßlos und unverhältnismäßig. Das mussten wir den Amerikanern deutlich machen. Wir haben, finde ich, nüchtern und maßvoll reagiert.

Und was erwarten Sie jetzt konkret?

Jedenfalls mehr Zusammenarbeit als bisher. Bei meinen Gesprächen in den USA habe ich zwei Denkschulen kennengelernt: Eine klassische Intelligence-Schule, die meint, je mehr man wisse, desto besser und die politischen Folgen seien irrelevant. Und es gibt die andere Schule, die Informationen wichtig findet, die aber auch den politischen Schaden bedenkt und ihn in dieser Späh-Affäre zu hoch findet. Ich sähe gern diese zweite Denkschule gestärkt. Da gibt es Fortschritte.

Woran machen Sie das fest?

Die US-Regierung bereitet gerade ein Gesetz vor, das Vorratsdatenspeicherung nicht mehr dem Staat selbst ermöglicht, sondern an Unternehmen auslagert. Außerdem soll der staatliche Zugriff erschwert werden – auch auf die Daten ausländischer Bürger und Firmen. Mein US-Kollege Eric Holder hat Europa den gleichen Rechtsschutz gegen Datenschutzverstöße versprochen. Nach dem neuen Speichergesetz soll es auch Einschränkungen der Maßnahmen gegen Ausländer geben. Welche genau, ist zwar offen. All das zeigt aber, dass sich etwas in die richtige Richtung bewegt.

Und darüber hinaus sollte Deutschland ab jetzt in einem Rundum-Winkel von 360 Grad wachsam sein?

Ein Winkel ist für mich Geometrie. Aber im Ernst: Wir müssen unterscheiden zwischen technischer Aufklärung und klassischer Spionage. In den USA gibt es für beides getrennte Dienste. Die CIA ist für „human intelligence“ zuständig, also für den Einsatz von Agenten, und die NSA für die technische Aufklärung. Dieser Unterschied ist deshalb für die Antwort auf Ihre Frage wichtig, weil sie Folgen für unseren Umgang damit hat. Spione arbeiten für ein bestimmtes Land. Wir sollten unsere Spionageabwehr stärken und ausweiten. Ich kann da nicht in Details gehen; ausgerechnet im Bereich der Sicherheitsbehörden wird zu meinem Ärger ohnedies mehr gequatscht als anderswo. Für die Abwehr von technischen Lauschangriffen ist es hingegen gleichgültig, wer sich ohne unser Wissen oder gegen unseren Willen in den Besitz von Netz- oder Telefondaten bringt. Wir müssen uns vor jedwedem Angriff schützen. Dafür brauchen wir eine technisch adäquate Antwort.

Warum eine technische Lösung für ein politisches Problem?

Weil wir den Amerikanern nicht sagen können: Bitte lest nur deutsche Mails nicht mit. Wenn ein Dienst Kommunikation etwa von einem Seekabel oder Knotenpunkt absaugt, dann landet erst einmal der gesamte Verkehr in seinen Speichern. Wir können solche Zugriffe nur an den Zugängen verhindern, die auf unserem Hoheitsgebiet liegen, dann aber als Schutz gegen jeden Angriff und nicht gegen bestimmte Angreifer.

Halten Sie denn einen solchen Schutz angesichts der Vernetzung der Welt überhaupt für realistisch?

Das wird immer ein Hase- und-Igel-Spiel bleiben. Wir können aber Gefahren reduzieren. Von Konzernmanagern weiß ich, dass dort Wichtiges nur noch Auge in Auge besprochen wird und nicht mehr per Datenleitung. Auch manches Gespräch in frischer Luft würde dessen Geschütztheit sicher guttun, der Gesundheit unserer Manager sowieso. Und ein intimes Tagebuch gehört in den Schreibtisch und nicht ins Netz. Letztlich ist das Problem aber gar nicht neu. Ein Besuch im Dresdner Militärhistorischen Museum lehrt: Der Indianer ist gut beweglich und nicht geschützt, der Ritter geschützt, aber nicht beweglich. Wir können uns nicht frei und bequem im Netz bewegen wollen und zugleich totalen Schutz vor seinen Gefahren haben. Wir können aber das Verhältnis von Schutz und Beweglichkeit optimieren.

Aber die deutschen technischen Möglichkeiten enden an Deutschlands Grenzen, der deutsche Mail-Verkehr nicht. Kann es dabei bleiben, dass die USA ihre Stellung als Technologietreiber der Internet-Welt zur umfassenden Ausspähung ausnutzen?

Nein, deshalb verlangen wir von unseren Partnern Änderungen. Wir können nicht durchsetzen, dass ein US-Dienst Daten gar nicht erst abzapft, die über amerikanische Leitungen laufen. Etwas anderes ist aber die Auswertung der abgegriffenen Daten.

Dort sollen sich die Amerikaner zurückhalten?

Wir erwarten, dass deutsche Staatsbürger dabei besser behandelt werden als andere Staatsbürger irgendwo auf der Welt. Mit Freunden muss man anders umgehen als mit anderen.

Auch die deutschen Dienste stehen in der Kritik. Der Münchner NSU-Prozess hat gezeigt, dass diese Terrorgruppe vom Verfassungsschutz sogar indirekt unterstützt wurde. Wieso ist ein solcher Verfassungsschutz unverzichtbar?

Der NSU-Komplex hat doch gerade gezeigt, wie sehr wir einen effektiven Verfassungsschutz brauchen. Der Hauptvorwurf war, dass eine Mordbande jahrelang morden konnte, weil der politische Zusammenhang nicht gesehen wurde und weil die Zusammenarbeit nicht gut funktioniert hat. Daraus folgt: Wir dürfen den Verfassungsschutz nicht abschaffen, sondern wir müssen ihn besser machen! Das ist Ziel der laufenden Arbeiten an einer Reform.

Trotz erwiesener Verwicklung von V-Leuten in die Geschichte des NSU?

Auch ein anderer Umgang mit V-Leuten wird zur Reform gehören. Das sind ja keine Beamten, sondern oft sehr zwielichtige Personen. Im Gesetzentwurf für den Verfassungsschutz werden klare Regeln für Auswahl und Führung von V-Leuten vorgesehen, wie vom Untersuchungsausschuss des Bundestags verlangt.

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