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Finanzen, Justiz, Inneres: Thomas de Maizière hat schon einige Ministerämter auf Landes- und Bundesebene innegehabt. Zuletzt geriet er wegen der Drohnen-Affäre schwer unter Druck; seine Weiterbeschäftigung als Verteidigungsminister gilt aber als sicher.

© reuters

Thomas de Maizière zum Koalitionsvertrag: „Wenn das nicht Zukunft ist, dann weiß ich es nicht“

Während der Koalitionsgespräche verhandelte Thomas de Maizière zusammen mit Frank-Walter Steinmeier in der Arbeitsgruppe Außen- und Sicherheitspolitik. Im Interview spricht der Verteidigungsminister über den Koalitionsvertrag, Visionen in der Politik und die Frage, ob der SPD-Mitgliederentscheid ein Vorbild ist.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Robert Birnbaum

„Deutschlands Zukunft gestalten“ steht über dem Koalitionsvertrag. Dann folgen Mindestlöhne, Mütterrenten, Lebensleistungsrenten – wo bleibt die Zukunft?

Ich habe schon mehrere Koalitionsverhandlungen in Ländern und im Bund mitgemacht. Mir ist kein einziger Fall in Erinnerung, in dem jemals eine Koalitionsvereinbarung gelobt wurde. Das liegt in der Natur der Sache. Man unternimmt da den Versuch, die Zukunft der nächsten vier Jahre zu markieren. Die Wirklichkeit richtet sich aber nicht nach einem Vertrag. Von der Finanzkrise bis zur Aussetzung der Wehrpflicht oder dem Libyen-Konflikt stand nichts in den letzten Koalitionsvereinbarungen.

Dann können wir uns die Zeit und das Papier sparen?

Nein, ein solcher Koalitionsvertrag ist ein gemeinsamer Haltepunkt zu Beginn der gemeinsamen Regierung. Wichtig ist auch die Art und Weise, wie er zustande kommt. Das ist ein Test darauf, ob das gegenseitige Vertrauen für vier gemeinsame Jahre ausreicht. Aber ein Koalitionsvertrag beschreibt nie erschöpfend, was eine Regierung ausmachen wird.

Er beschreibt aber erschöpfend, wie man Rentnern das Dasein erleichtert – wo bleibt die Jugend, die Zukunft?

Ich sehe dazu sehr vieles in diesem Vertrag, das weit über die bisher diskutierten Einzelheiten hinausgeht. Wir beschreiben zum Beispiel zum ersten Mal und sehr gründlich, was das Internet für die Gesellschaft bedeutet. Die Energiewende hat jetzt wirklich Wegmarken und Leitplanken. Ich sehe ein sehr klares Bekenntnis zum Wirtschafts- und Industriestandort Deutschland – das hätte es übrigens in der Form mit den Grünen nie gegeben. Wir verbessern spürbar die Lage im Pflegebereich und führen zum ersten Mal einen Vorsorge-Fonds für die Zukunft ein. Und ein großer Teil der geplanten Mehrausgaben geht in Forschung, Bildung, den Ausbau unserer Infrastruktur und die Überlebensfähigkeit der Kommunen. Wenn das alles nicht Zukunft ist, dann weiß ich es nicht.

Müsste nicht eine so große Koalition das Haus gründlicher aufräumen?

Deutschland geht es gut. Das bezweifelt ja inzwischen auch die SPD nicht mehr. Wenn manche von uns jetzt Visionen verlangen, dann halte ich entgegen: Vision ist doch kein Selbstzweck! Es ist auch nicht mein Verständnis von Politik, dass Politiker sich zusammensetzen und eine Vision für Deutschland ausdenken. Ich verstehe eine freiheitliche Gesellschaft vielmehr so, dass Menschen und Gruppen für sich Visionen entwickeln. Und genau dafür muss die Politik Chancen öffnen. Wir müssen sehen, dass Deutschland gut bleibt. Aber wir sind nicht der Praeceptor Germaniae.

Mindestlohn, Mütterrente, Rente mit 63: Haben wir ein Gerechtigkeitsdefizit?

Glaubt man den Umfragen, dann haben die Deutschen das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht. Ich glaube aber, Politik wird nie einen Zustand vollständiger Gerechtigkeit erreichen. Es gibt diese unstillbare Sehnsucht nach irdischer Gerechtigkeit. Was aber für die einen gerecht ist, ist für die anderen nicht gerecht. Unsere politische Aufgabe ist es, für Ausgleich zu sorgen.

Der Vertrag steht unter dem Vorbehalt der SPD-Mitglieder. Hat die Union der SPD unter dieser unsichtbaren Drohung womöglich zu viel zugestanden?

Dem widerspreche ich. Richtig ist, dass die innere Überwindung zu einer großen Koalition bei der SPD größer ist als bei uns. Aber die SPD hätte auch ohne Mitgliederentscheid versucht, möglichst viel von ihrem Wahlprogramm umzusetzen. Es ist doch klar, dass die SPD jetzt ihre Punkte hervorheben muss. Aber – nein, es wäre jetzt nicht sehr freundlich dem künftigen Partner gegenüber, dessen Wahlprogramm und den Koalitionsvertrag nebeneinanderzulegen.

Wirtschaftsverbände haben genau das mit dem Unionswahlprogramm gemacht – mit offenbar sehr ernüchterndem Ergebnis.

Politik besteht im Ausgleich von Interessen und nicht im Bedienen von Interessen. Was die Wirtschaft angeht: Im Bereich von Infrastruktur, bezahlbaren Energiepreisen, Ausbau der Forschungskapazitäten oder dem Breitbandausbau steht sehr viel in diesem Vertrag, was das Land für die Zukunft braucht. Was das Arbeitsrecht angeht – Leiharbeit, Entgeltgleichheit und anderes mehr …

… wird Ihnen vorgeworfen, die Agenda 2010 zurückzudrehen!

Nein. Will die deutsche Wirtschaft im Ernst Missbräuche bei der Leiharbeit verteidigen? Ist das im Ernst ihre Position? Was jetzt zur Leiharbeit steht, ist das, was ursprünglich immer gewollt war. Leiharbeit soll begrenzt möglich sein, um Spitzen in der Produktion aufzufangen – aber nicht als Regelfall und nicht als Lohndrückerei. Wenn sich die Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände gegen solchen Missbrauch nicht öffentlich gestellt haben, dann müssen wir gesetzlich eingreifen. Hiermit reagieren wir schlichtweg auf den Missbrauch.

Mindestlohn, Steuererhöhungen und die Lernbereitschaft der CDU

Aber ist nicht die Summe der Eingriffe ein Problem? Bis hin zum Mindestlohn?

Den Mindestlohn hat auch die Union in ihrem Wahlprogramm gehabt, wenn auch auf andere Weise. Im Wahlkampf, wo das ein großes Thema war, war von der Wirtschaft wenig Widerspruch zu hören. Hinterher kommen sie mit Kritik. Wir würden uns gelegentlich mehr Unterstützung zu dem Zeitpunkt wünschen, wenn der Wind von vorne bläst. Vieles, was ich an Kritik aus der Wirtschaft höre, entspringt der Enttäuschung, dass wir nicht mehr Subventionen verteilen. Da werden neue Abschreibungen im Steuerrecht gefordert, Mittel für den Wohnungsbau, Verlustvorträge. Aber marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik ist keine Subventionsmaschine, sondern schafft Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die Wirtschaft entwickeln kann. Ich finde die Kritik aus der Wirtschaft insgesamt nicht berechtigt.

Sie haben einen Wahlkreis in Sachsen – sind dort nicht 8,50 Euro zu viel?

Wir waren für einen differenzierteren Mindestlohn in der Verantwortung der Tarifpartner. Doch die 8,50 Euro waren eine rote Linie der SPD. Das mussten wir akzeptieren. Aber es ist erfolgreich gelungen, einen Stufenplan zu vereinbaren und damit die Möglichkeit, bis zum Jahr 2017 einen vernünftigen Übergang zu ermöglichen. Auch der Geltungsbereich ist sinnvoll beschränkt. Minijobs, Beschäftigungen im Ehrenamt, Praktika, all das kann ausgenommen werden.

Die Warnungen vor dem Arbeitsplatzkiller Mindestlohn waren übertrieben?

Nein. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro ab dem 1. Januar 2014 hätte viele Arbeitsplätze gekostet. Die nun vereinbarten Ausnahmen und Übergangsfristen machen ihn gut vertretbar.

Das können Sie jedem Unternehmer in Ihrem Wahlkreis ins Gesicht sagen?

Ja. Wir hätten das zwar lieber anders gemacht. Aber eine Koalition erfordert Kompromisse. Dafür haben wir in anderen Bereichen, die für die Wirtschaft genau so wichtig sind, unsere Eintrittspreise für die große Koalition verlangt und bekommen: Keine neue Steuererhöhung, keine neuen Schulden ab 2015.

Von „keinen neuen Steuererhöhungen“ steht nichts im Vertrag.

Das ist das Wesen solcher Verträge. Was man nicht macht, steht nicht drin. Es steht dort ja auch nicht, dass es beim Betreuungsgeld bleibt. Es ist aber so. Außerdem: Wir haben den Rahmen für die Finanzpolitik so deutlich gezogen, wie ich das in einem solchen Vertrag noch nie erlebt habe. Keine neuen Schulden ab 2015, klare Regeln für die Einzeletats: Das ist ein hohes Maß an Seriosität.

Das Kartenhaus steht nur so lange, wie kein Sturm aufkommt in der Konjunktur.

Die Wachstumsraten, von denen wir ausgehen, sind nicht übertrieben. Käme es zu einem Einbruch beim Wachstum, dann gäbe es eine neue Lage. Und auf diese neue Lage müssten wir dann reagieren. Das war in der ersten großen Koalition so in der Finanzkrise und bei Schwarz-Gelb in der Euro-Krise. Wenn die Geschäftsgrundlage wegfällt, muss man neu denken. Aber nur dann.

Die SPD lässt ihre Mitglieder über das Zustandekommen der Koalition abstimmen. Muss die CDU daraus nicht lernen?

Nein, das sehe ich nicht so. Ich bin ein Anhänger der repräsentativen Demokratie. Wir sind gewählt, um politische Entscheidungen zu treffen und sie dann auch zu verteidigen.

Und wann merken Ihre Mitglieder, dass die Union die Wahl gewonnen hat und nicht die SPD?

Jederzeit. Ganz viele Vorhaben der Koalition kommen ja noch ins Gesetzgebungsverfahren. Wir werden fair zusammenarbeiten. Und ehrlich gesagt: Auf Augenhöhe sollte man mit jedem Menschen reden. Es ist trotzdem ein Unterschied, ob Union und SPD gleich groß sind wie in der ersten großen Koalition oder ob eine Seite deutlich mehr Vertrauen von den Wählern bekommen hat. Der Kompromiss kann diesmal nicht immer nur in der Mitte liegen.

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