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Thronjubiläum: Wer braucht die Queen?

Elizabeth II. ist der Superstar der Monarchie. Vor 60 Jahren trat sie die Thronfolge an, als ihr Vater Georg VI. starb. Ihre Untertanen verehren ihre Königin – trotz mancher Skandale.

Was immer die Berufsgeheimnisse der Queen sein mögen – Fleiß, Ausdauer und Stoizismus trugen mit dazu bei, dass sie zu den erfolgreichsten der 40 britischen Monarchen gehört, die es seit Wilhelm dem Eroberer vor 1000 Jahren gab. Sogar Prinz Harry sorgt sich um das Arbeitspensum seiner 85-jährigen Großmutter. „Das dürfte sie eigentlich in ihrem Alter nicht mehr leisten“, sagt er in einem in dieser Woche ausgestrahlten BBC-Interview.

Seit 60 Jahren zeigt sich Elizabeth II. unermüdlich ihren Untertanen, immer in weithin sichtbaren Leuchtfarben und großen Hüten, nimmt Blumen entgegen, reicht Hunderten die behandschuhte Hand und lächelt. Nie soll sie ins Schwitzen kommen, behauptet ihre neueste Biografin, Sally Bedell Smith. 23-mal war sie in Kanada, 15-mal in Australien, auch viermal in Berlin. 23 Schiffe hat sie getauft, sechs Erzbischöfe von Canterbury und bisher zwölf Premierminister überdauert. 60 Jahre – die zweifache Durchschnitts-Lebensarbeitszeit ihrer Untertanen. Aber an Rente oder Abdanken denkt sie nicht. Das verrät die Fürbitte, die beim offiziellen „Diamantenen Thronjubiläum“ im Juni in den Kirchen verlesen wird, „für ihren hingebungsvollen Dienst an ihren Ländern und Völkern, den sie fortsetzt, jetzt und alle Tage ihres Lebens“. So viel ist klar: Queen bleibt Queen, bis zum letzten Atemzug.

Niemand, der die Monarchie versteht, würde etwas anderes erwarten. Was ein Monarch ist, und wie lange, definiert sich durch seine Lebensspanne. Manchmal hat ein Monarch das Glück Generationen überspannender Langlebigkeit. Bei Elizabeth II. kommt unerschütterliche Beliebtheit dazu. Aber das alles ist nichts im Vergleich zur Kontinuität des Amtes, von Eltern zu Kindern, die über die Person hinausgeht.

Eine Queen ist keine „Landesmutter“, kein Promi höherer Art, was ihr an Loyalität und Treue entgegengebracht wird, hat nichts mit der privaten Person zu tun, die Cornflakes aus Tuppertöpfen frühstückt, sich mit bissigen Corgis umgibt, Rennpferde züchtet und gerne Kriminalromane liest. Republikaner sehen in einem Monarchen nur die durch Geburt und ohne Verdienst über andere herausgehobene Person. Sie verstehen schlecht, warum die Silhouette der Queen jede Briefmarke ziert, ihr Name auf Hydranten und Briefkästen steht und sogar das Finanzamt „Her Majesty“ gehört. Wenn die Briten ihre Nationalhymne singen, preisen sie nicht die Schönheit ihres Landes oder die Kühnheit ihrer Segelflotten, sondern wünschen einfach nur der Königin ein gesundes Leben.

Man hat Großbritanniens Resistenz gegen Faschismus und heute seine multikulturelle Offenheit damit erklärt, dass nationalistische Selbstbestimmung durch die Loyalität zum Monarchen ersetzt wird. „Untertanen“ der Queen haben kein Problem damit, den Symbolismus von Kontinuität und geschichtlicher Herkunft zu verstehen, weil sie mit ihrem eigenen Leben in Gemeinsamkeit und Erinnerung mit dem Leben und Sterben der Monarchen verwoben sind. „Sie erkennen hinter den kleinen Ritualen der Blumensträuße und Krankenhauseröffnungen die alte, vertragliche Beziehung zwischen Volk und Monarch“, schrieb der Essayist Ferdinand Mount. „Auch im 21. Jahrhundert rührt die Monarchie an verborgene Seiten, die quasi religiöse Bedeutung haben.“

Dieser sakrale Sinn der Monarchie enthüllt sich in ihrem emotionalsten und gefährlichsten Moment: dem Tod des Monarchen, dem Beginn des neuen Zyklus. Bei Königin Elizabeth II. war dies der 6. Februar 1952. König Georg VI., so teilte der Buckingham-Palast morgens um 10.45 Uhr mit, war in der Nacht in Sandringham House friedlich entschlafen. Georg, Elizabeths Vater, 56 Jahre alt, hatte Lungenkrebs. Mit Zigaretten hatte er Nervosität, Schüchternheit und das Stottern bekämpft, von dem der Kinofilm „The King’s Speech“ erzählt. Der hagere, leidend aussehende König war ein Symbol für den Überlebenskampf der Briten gegen Hitler-Deutschland geworden. Noch am Abend, als Premier Winston Churchill eine Radioansprache hielt, standen Tausende Menschen in dunkler Kälte vor dem Buckingham-Palast und weinten. Kinos und Theater waren geschlossen. Im ganzen Land waren Flaggen auf Halbmast gesetzt.

Churchill sprach von den Kriegstagen, der solidarischen Selbstverleugnung des Königs, der „Loyalität, die über die normale Beziehung zwischen König und Untertanen weit hinausgeht“. Dann erinnerte er sich an seine Kindheit unter Queen Victoria und schloss: „Ich spüre echte Begeisterung, wenn ich jetzt wie damals das Gebet und die Hymne anstimme: God Save the Queen – Gott schütze die Königin.“

Mit 25 Jahren begann für Elizabeth die Pflichterfüllung

Die 25-jährige Prinzessin Elizabeth war zu diesem Zeitpunkt auf Privaturlaub im Treetop-Hotel in Kenia. Sie und ihr Mann Philip, mit dem sie seit vier Jahren verheiratet war, hatten sich am Vorabend bis auf wenige Meter an eine Elefantenherde herangepirscht und sie von einem Hochsitz aus gefilmt. In diesem Moment, behaupten ihre Biografen, wurde Elizabeth Königin.

Trauerkleider hatte sie im Gepäck. In Schwarz mit Trauerflor stieg sie am 7. Februar in London aus dem Flugzeug. Am 8. Februar trat der „Accession Council“ im St.-James-Palast zusammen, wo seit Jahrhunderten die neuen Monarchen proklamiert werden. Als das Parlament ein paar Tage später der neuen Königin huldigte, hatte Churchill wieder Gelegenheit zu großer Rhetorik. „Eine hübsche und jugendliche Person, Prinzessin, Frau und Mutter, ist Erbin unserer Traditionen und Ruhmestaten geworden.“ Man sprach von einem neuen „elisabethanisch Zeitalter“. Für die von den Lasten des Weltkriegs erdrückten Briten war die neue Königin das Symbol eines Neubeginns.

Meinungsumfragen gab es damals noch keine, aber wenige werden Zweifel an der Monarchie gehabt haben. Respekt und Ehrerbietung waren normal. Nur Intellektuelle und Sozialisten wetterten gegen Klassenhierarchie und Adelsprivilegien. Als die Queen im Juni 1953 in der Westminister Abbey gekrönt wurde, säumten drei Millionen die Straße, im ganzen Land gab es Streetpartys, und wer Zugang zu einem Fernseher hatte, konnte dem ersten Großereignis der TV-Geschichte folgen.

Wie viel hat sich seither geändert! Der Wohlstand ist größer, der Einfluss der Briten in der Welt geringer, Respekt und Ehrerbietung wurden vom Promi-Wesen abgelöst, auch die „Royals“ wurden Freiwild für Zeitungen. Die Queen musste sich in der TV-Show „Spitting Image“ als Karikatur betrachten, ihre Finanzen offenlegen und Steuern zahlen. Vier Kinder hat sie verheiratet, drei sind geschieden. Als nach dem Unfalltod Prinzessin Dianas 1997 der Volkszorn Partei für die „Prinzessin der Herzen“ ergriff, sahen viele die Monarchie schon am Ende. Und doch: Als Prinz William und Kate Middleton im April vergangenen Jahres heirateten, war es wie immer: die Kutschen, die Uniformen, der Jubel. Ein neues Kapitel der königlichen Familiengeschichte begann, die Briten machten wieder ein königliches Familienfest zum Teil ihrer Lebensgeschichte. In einer Umfrage gaben zwei Drittel an, die Monarchie werde auch in 100 Jahren noch bestehen.

Warum haben es die Briten nie für nötig gehalten, ihre Monarchie abzuschaffen, wie andere Nationen? Niemand könnte behaupten, es fehle ihnen die revolutionäre Gesinnung. 1649 waren sie die ersten, die einen König, Charles I., köpften. Als William und Mary 1689 den Thron bestiegen, wachten die Abgeordneten des Unterhauses über die Ereignisse – 100 Jahre vor der Französischen Revolution hatte die „Glorreiche Revolution“ die Monarchie auf eine Verfassungsgrundlage gestellt.

Aber Monarchen und das Volk – stolz und pragmatisch – schlossen immer wieder Kompromisse miteinander. Die Monarchie passte sich der Zeit an, damit der Kern überleben konnte. Nach den zwei inkompetenten, ausschweifenden Königen George IV. und William IV. inszenierte sich die kinderreiche Victoria als erste Mutter des Landes. Sie erfand die Rituale, die dem Volk bis heute erlauben, an den Lebenszyklen der königlichen Familie teilzunehmen.

Als das Königshaus im Ersten Weltkrieg wegen seiner engen Beziehungen mit Deutschland in Verruf kam, änderte Georg V. den Namen seiner Familie und hob die Windsor-Dynastie aus der Taufe. Neue Ehrungen und Orden bezogen das Volk in die monarchistischen Rituale ein. Prinzen, so entschieden Georg und seine halbdeutsche Frau Mary (eine geborene Teck), sollten hinfort nicht kontinentale Blaublüter, sondern britische Landeskinder heiraten. Der Vater der Queen, Georg VI., probierte es als Erster aus und heiratete die Bürgerliche Lady Elizabeth Bowes-Lyon, die 2002 gestorbene „Queen Mother“.

Die Diana-Revolte war die große Herausforderung in Elizabeths Thronherrschaft. Das in aller Öffentlichkeit zelebrierte Scheidungsdrama von Diana und Charles zerstörte die zeremonielle Ferne auratischer Royalität. Dianas TV-Interview mit Martin Bashir 1995 war eine direkte Attacke auf die Würde und Kompetenz der Queen. Plötzlich sprach man von einer „königlichen Seifenoper“, die Monarchie wurde die Beute einer auf „Sex and Money“ fixierten Medienwelt. Die Grenze zwischen öffentlicher Rolle und privatem Leben des Monarchen, die in der Monarchie undefinierbar verwischt sein muss, wurde plötzlich sichtbar. Kabinettsminister Douglas Hurd ermahnte die Briten, die Monarchie nicht „wie ein Spielzeug“ zu betrachten. Wieder und wieder wurde die Warnung des Verfassungstheoretikers der viktorianischen Epoche, Walter Bageshot, zitiert, „niemals das Licht des Tages auf die Magie der Monarchie“ zu lenken.

Aber Dianas Tod war der Höhepunkt dieser Krise und der Wendepunkt. Vom Volkszorn über die fehlende Trauerflagge am Buckingham-Palast wurde die Queen nach London befohlen. Sie hisste die Flagge, verbeugte sich vor Dianas Kränzen, sprach als „Eure Queen und eine Großmutter“ im TV von den Lehren, die man ziehen müsse. Sanft, ohne Emotionen, gab sie nach. Aber dann sahen 32 Millionen britischer Fernsehzuschauer bei der reibungslos inszenierten Beerdigung, wie die Kinder, Prinz Harry und Prinz William, mit Vater und Großvater hinter dem Sarg Dianas durch London schritten. Mit dieser Zeremonie wurde Dianas Erbe für die Monarchie zurückgefordert.

Als die Queen 2002 ihr 50-jähriges Thronjubiläum feierte, war die Monarchie wieder fest im Sattel. In der 1097 gebauten Westminster Hall, einem der ältesten Gebäude des Landes, sprach sie vom immer schnelleren Wandel, aber auch von den „zeitlosen Werten“. Das Glück Großbritanniens, sagte sie, sei seine lange, stolze Geschichte. „Sie gibt uns einen vertrauten Rahmen der Stabilität und Kontinuität, um den Prozess des Wandels zu meistern. Und sie zeigt uns, was von bleibendem Wert ist.“

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