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Linken-Politiker Bodo Ramelow will in Thüringen ein rot-rot-grünes Bündnis schmieden.

© reuters

Thüringen: Bodo Ramelow setzt auf Rot-Rot-Grün - trotz Mini-Mehrheit

Linke, SPD und Grüne hätten in Thüringen nur eine Mehrheit von einer Stimme. Dennoch will Bodo Ramelow eine solche Koalition wagen. Ein Gespräch über politische Bündnisse, DDR-Unrecht und Abgeordnete mit Stasi-Vergangenheit.

Von Matthias Meisner

Herr Ramelow, träumen Sie in diesen Tagen vom Amt des Ministerpräsidenten?

Nein, ich liege nachts entspannt in meinem Bett und träume von Schäfchen und Wölkchen.

Rot-Rot-Grün hätte in Thüringen nur eine Stimme Mehrheit. Reicht das für eine stabile Regierung?

Die Regierung wird dann sehr stabil sein, wenn man den politischen Ansatz so wählt, dass sich alle drei Parteien in der Koalition aufgehoben fühlen. Wir werden die Themen gründlich debattieren und können dann auch mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit über die Legislaturperiode kommen.

Päppeln Sie in den kommenden fünf Jahren die SPD hoch?

Jeder päppelt sich selbst hoch. Wir müssen gemeinsam das Projekt nach außen erfolgreich gestalten. Stichworte: mehr direkte demokratische Entscheidungen, eine zielgenauere Finanzierung der Kitas, die Verwaltungsreform. Und die Menschen mitnehmen. Bei strittigen Themen muss es Volksabstimmungen geben.

Wie würde sich die Stimmung im Land ändern, wenn Sie ans Ruder kämen?

25 Jahre nach dem Mauerfall kommt es darauf an, den Prozess der deutschen Einheit stärker zu thematisieren, daran will ich mitwirken. Der Abstand zwischen Ost und West ist leider immer noch zu groß. Ich möchte, dass Erfahrungen aus den neuen Bundesländern im Westen viel stärker angenommen werden. Und, dass nicht mehr herablassend auf die ostdeutschen als die armen Länder herabgeschaut wird.

Erfahrungen auch aus der der DDR? Was war das überhaupt für ein Staat?

Die DDR war eine Nation in den UN. Aber sie ist untergegangen. Sie ist gescheitert an ihren eigenen Widersprüchen. Mit ihrer Willkür gegenüber den Menschen konnten sie niemanden mehr überzeugen.

War die DDR ein Unrechtsstaat?

Die Frage ist: Was meint das Wort? Wenn es Willkür und Unrecht meint, dann, ja, es hat in der DDR Willkür und Unrecht gegeben. Die DDR hat sich ja selbst als Diktatur bezeichnet, als Diktatur des Proletariats. Sie hat von sich gesagt, sie will kein bürgerlicher Rechtsstaat sein. Ich bin ein Anhänger des bürgerlichen Rechtsstaats.

Vor fünf Jahren haben Linke und Thüringen bereits Eckpunkte zum Thema Aufarbeitung von DDR-Unrecht notiert. Gibt es trotzdem noch Nachholbedarf?

Nein, keinen Nachholbedarf. Es gab Diskussionsbedarf. Den hatten SPD und Grüne auch angemeldet. Nicht ohne Grund haben wir die Sondierungsgespräche mit diesem Thema begonnen. Das Papier aus dem Jahre 2009 war eine wichtige Grundlage. Es gibt Gründe, darüber hinaus zu gehen. Mir geht es zum Beispiel um Gedenkstättenfinanzierung, um die Erinnerung an authentische Orte, an denen DDR-Willkür festzumachen ist. Thüringen lag an der Nahtstelle des Kalten Krieges, auch das müssen wir nachfolgenden Generationen immer wieder erklären. An dieser Grenze zwischen Ost und West hätte es zu einem Dritten Weltkrieg kommen können. Am Ende aber öffnete sich die Grenze und eine ganze Staatsmacht hörte auf zu existieren, und das ohne einen Schuss.

Warum haben Sie das vor fünf Jahren noch nicht so gesagt?

Auch vor fünf Jahren gab es ein konkretes Papier. Und auch damals habe ich gesagt, dass es in der DDR schreiendes Unrecht gab. Jetzt ging es darum, die konkrete Aufarbeitungspolitik weiterzuentwickeln und auch 2019 wird es eine Weiterentwicklung geben.

Wie groß ist die Skepsis in der SPD gegenüber Rot-Rot-Grün?

Im Moment ist die Skepsis bei allen drei potenziellen Partnern gleichermaßen groß. Eine Stimme Mehrheit ist eben eine unglaublich knappe Mehrheit. Aber eine, die man meistern kann. Es muss und wird deutlich werden, dass die Staatskanzlei in Zukunft das Zentrum des Dreierbündnisses wird. Und nicht eine einzelne Abteilung von Bodo Ramelow oder der Partei Die Linke.

Die Mehrheit der Thüringer wünscht sich laut Umfrage eine CDU-geführte Regierung, 37 Prozent sind für Rot-Rot-Grün.

Einzeln betrachtet liegt Rot-Rot-Grün vor Schwarz-Rot oder Schwarz-Rot-Grün. Aber Umfragen sind das eine. Die Frage, wie sich am Ende Mehrheiten bilden, das andere. Wir würden als Parteien an Ansehen verlieren, wenn wir die Denksportaufgabe, die uns der Wähler hinterlassen hat, jetzt nicht meistern würden. Eine Stimme Mehrheit für CDU und SPD scheitert schon spätestens an Marion Walsmann,…

… der früheren Staatskanzlei-Chefin, die gegen Sie in Erfurt ein CDU-Direktmandat gewonnen hat…

… die nun keinen Grund hat, mit Frau Lieberknecht freundlich umzugehen. Nach allem, was man hört, gibt es aber mehrere Abgeordnete, die Frau Lieberknecht nicht wählen würden. Selbst eine Afghanistan-Koalition…

… ein Bündnis aus CDU, SPD und Grünen…

hätte wahrscheinlich keine tatsächliche Mehrheit.

Eine Chance für Rot-Rot-Grün im Bund?

Der bisherige SPD-Wirtschaftsminister Uwe Höhn sagt, über die Risiken von Rot-Rot-Grün werde zu wenig gesprochen. Stimmt das?

Er hat ja recht. Aber dann soll er mit uns die Risiken besprechen. Auch die SPD muss intern klären, was sie in den Sondierungsgesprächen besprochen haben will. Eine Stimme Mehrheit ist die knappste aller Möglichkeiten. Trotzdem gibt es Bundesländer, die es seit Jahren schaffen, ihr Land mit einer Stimme Mehrheit gut und erfolgreich zu regieren.

Ist die Stasi-Belastung der beiden Landtagsabgeordneten Ina Leukefeld und Frank Kuschel heute noch ein Problem?

Nein. Beide haben Verantwortung eingestanden und bekennen sich zur Aufarbeitung. Bei Ina Leukefeld – die nicht für die Stasi, sondern für das Kommissariat I der Kriminalpolizei gearbeitet hat – wurde diese Frage außerdem vom Volk beantwortet. Sie ist direkt gewählte Abgeordnete. Der Respekt vor dem Wähler sollte es jetzt notwendig machen, nicht immer dieselbe Akte nach 25 Jahren zum 500. Mal benutzen. Aber klar ist, und das gilt dann sowohl für Frank Kuschel wie für Ina Leukefeld: Es wird von der Linken keinen Personalvorschlag für ein Regierungsamt geben mit Menschen, die mit dem Sicherheitssystem der DDR direkt oder indirekt verwoben waren.

Über die Landtagsabgeordnete Katharina König sagen manche in Erfurt, sie kämpfe für die Weltrevolution.

So etwas verstehe ich gar nicht. Katharina König ist eine sehr engagierte Frau in der antifaschistischen Auseinandersetzung. Sie lässt sich weder von Nazis noch von Rockern einschüchtern. In ihrer Familie in Jena hat die Stasi herumgeschnüffelt. Sie hat dann auch sehr deutlich ausgesprochen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Was übrigens in meiner Partei zu einer recht lebhaften Debatte geführt hat.

Wird ein von Ihnen geführtes Bundesland Thüringen den Verfassungsschutz abschaffen?

Wir als Linke würden gern den Geheimdienst abschaffen. Aber zwischen dem, was wir uns wünschen, und dem, was wir aushandeln können, liegen die Gespräche mit der SPD, den Grünen und uns. Fakt ist: Für das bisherige Landesamt für Verfassungsschutz hat sich ja nach NSU und braunem Terror nicht einmal mehr die CDU engagiert.

Die AfD im Thüringer Landtag erwägt, bei der Ministerpräsidentenwahl für Sie zu stimmen. Stört Sie das?

Das ist ein vergifteter Apfel, mit dem sich die AfD schön machen will. Am Ende wird jeder Abgeordnete in der Wahlkabine frei für sich entscheiden und sich seine Wahlentscheidung auch nicht vom AfD-Fraktionschef vorschreiben lassen. Das ist doch ein Erfolg der Wende vor 25 Jahren.

Die AfD hat bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg auch der Linkspartei viele Wähler abspenstig gemacht. Wird Ihre Partei nicht mehr als Protestpartei wahrgenommen?

Die AfD lebt von einer irrlichternden Protesthaltung. Mit unserer Vorstellung von Politik stimmt das in keiner Weise überein.

Verliert die Linke eigentlich immer in Regierungsbeteiligungen?

Wir haben immer glaubwürdige Politik gemacht, aber sie nicht immer so transportieren können. Insofern können wir aus den Erfahrungen in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg lernen. Manches mal waren wir da, wo wir regiert haben, mehr damit beschäftigt, uns selber unsere Politik zu erklären, aber eben nicht unseren Wählern.

Würde die Wahl eines Linke-Ministerpräsidenten in Thüringen die Chancen für Rot-Rot-Grün im Bund verbessern?

Es geht um eine Thüringer Entscheidung und um Thüringer Landespolitik. Nicht mehr und nicht weniger. Das ist schon spannend genug. Sollte es klappen, müssen allerdings die drei Parteivorstände im Bund zusammentreten und überlegen, wie sie mit dem Kräfteverhältnis im Bundesrat umgehen wollen. Für uns gilt dabei die Einhaltung des Koalitionsvertrages.

Woran scheitert bisher Rot-Rot-Grün im Bund?

Ich habe bundespolitisch keine Hausaufgaben zu machen. Deshalb denke ich über diese Frage auch im Moment nicht nach. Wenn aber die SPD nach Frau Merkel einen Bundeskanzler stellen will, der eine aussichtsreiche Mehrheit im Bundestag bekommt, wird sie an der Linken nicht vorbeikommen.

Bodo Ramelow ist seit 2009 Chef der Linksfraktion im thüringischen Landtag.

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