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Thüringen: SPD-Entscheidung mit Signalwirkung

Während die Bundes-SPD versucht, sich nach links zu öffnen, geht Thüringen einen anderen Weg. SPD-Landeschef Matschie will lieber mit der CDU koalieren. Welche Konsequenzen hat das?

Von Matthias Schlegel

Nach letzten Sondierungsgesprächen am Mittwochabend erteilte SPD-Verhandlungsführer Christoph Matschie einem rot-rot-grünen Bündnis im Freistaat eine Absage. Damit ermöglicht er der CDU, weiterzuregieren – in einem Bündnis mit der SPD unter Führung von Christine Lieberknecht, die nach dem Rücktritt von Dieter Althaus als Regierungschefin vorgeschlagen worden war und auch thüringische CDU-Chefin werden soll.

Warum fiel die Entscheidung so aus?

Auf den ersten Blick wirkt die Entscheidung unverständlich – hatte doch die SPD einen Politikwechsel in Thüringen zum wichtigsten Wahlkampfziel erklärt. SPD-Landeschef Matschie sprach am Donnerstag deshalb zunächst davon, warum er sich gegen Rot-Rot-Grün entschieden hat: In den Sondierungsgesprächen habe mit den Linken die „Vertrauensbildung nicht funktioniert“. „Das wären fünf Jahre Selbsthilfegruppe Bodo Ramelow geworden“, sagte Matschie in Bezug auf den Linken-Spitzenkandidaten. Die Linken hätten hinter dem Rücken der SPD um Personen für das Ministerpräsidentenamt geworben und damit „versucht, einen Keil in die SPD zu treiben“. So könne kein Vertrauen aufgebaut werden. Außerdem warf er der Linkspartei „Entscheidungsunfähigkeit“ in der Ministerpräsidentenfrage vor. „Den einfachen Satz, die SPD stellt den Ministerpräsidenten, wollte die Linke nicht beschließen.“ Ramelow war der SPD zuvor weit entgegengekommen, indem er selbst auf den Anspruch auf das Regierungschefamt verzichtet und auf einen gemeinsamen Vorschlag aller drei Parteien gesetzt hatte.

Mit der CDU dagegen, so erklärte Matschie, habe es „konstruktive Debatten“ und „viele klare Entscheidungen auch in grundlegenden Fragen“ gegeben. In einer Koalition mit der CDU sei „mehr Stabilität möglich“. „Die Ära Althaus ist vorbei“, sagte er. Was wohl heißen soll, dass das Wahlziel erreicht sei. Nun gehe es um den Politikwechsel – mit der CDU.

Wie bindend ist die Entscheidung des Landesvorstandes?

Der größte Ärger innerhalb der eigenen Partei steht Matschie vermutlich noch bevor. Denn im Landesvorstand, der in der Nacht zu Donnerstag entschied, sind fast ausschließlich Matschie-Gefolgsleute vertreten. Nach heftigen internen Querelen über das Verhältnis zur Linkspartei hatte Matschie 2008 „seine“ Personalliste im Vorstand durchgesetzt und seine Kritiker sowie die Befürworter einer rot-roten Option weitgehend ausgeschaltet. Sie sind aber weiterhin hinter dem einstigen Matschie-Rivalen Richard Dewes, dem früheren SPD-Landeschef und Innenminister unter dem damaligen CDU-Ministerpräsidenten Bernhard Vogel, gut vernetzt und verfügen über beträchtlichen Rückhalt an der Basis. So nannte Dewes am Donnerstag Matschie einen „politischen Scharlatan“, der Partei und Wähler getäuscht habe. Im Gegensatz zu Matschie macht Dewes 90 Prozent inhaltliche Übereinstimmung mit den Linken aus. Auch die Thüringer Jusos befanden, der Landesvorstand gehe in die falsche Richtung.

Matschie wird nun möglichst viele Kernanliegen der SPD bei der CDU durchbringen müssen, um die Parteibasis zu versöhnen. In den Sondierungen hatte die CDU dem SPD-Mann die Arme weit entgegengestreckt, um ihn ins schwarz-rote Boot zu ziehen. Wenn diese Verheißungen am Ende nicht unmissverständlich im Koalitionsvertrag auftauchen, riskiert Matschie seinen Sturz auf dem SPD-Landesparteitag, der die Vereinbarungen abzusegnen hat.

Kann Schwarz-Rot in Thüringen tatsächlich eine ganze Legislaturperiode überstehen?

Matschie und Lieberknecht sind offenbar fest entschlossen, das durchzustehen. Und sie bringen einige Voraussetzungen dafür mit: als studierte Theologen in der DDR ähnlich sozialisiert, kommunikativ und mannschaftstauglich, machtbewusst und dennoch konsensfähig. Als vermutlich künftiger Kultusminister wird Matschie eine der SPD-Kernforderungen, das längere gemeinsame Lernen der Kinder, zu seinem Thema machen. Angeblich hat die CDU in den Sondierungen dafür die Zusage gegeben. Und wenn tatsächlich, wie Matschie sagt, die Althaus’sche Familienpolitik gestoppt wird sowie 2000 zusätzliche Erzieherinnenstellen geschaffen werden, dann würden der CDU die größten Zumutungen abverlangt.

Was heißt das Zusammengehen von SPD und CDU in Thüringen für die Bundespartei?

Das Signal aus Thüringen kommt für die Bundes-SPD zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt. In dem Moment, in dem die Sozialdemokratie ihr Verhältnis zur Linkspartei neu zu justieren versucht, reaktivieren die Thüringer das im Bund gerade abgewählte Koalitionsmodell, das für den Absturz der SPD mitverantwortlich gemacht wird. Viele in der Bundespartei hätten Thüringen gern als erstes rot-rot-grünes Modell auf Landesebene gesehen – als Testfall für stabile linke Mehrheiten in Deutschland. Dass Matschie diesen Erwartungen nicht gefolgt ist, scheint dreierlei zu bedeuten: Erstens zieht er landespolitische Stabilität dem politischen Experiment vor. Zweitens flüchtet er sich lieber in die Arme von Lieberknecht, einer halbwegs Vertrauten, ehe er sich in frustrierende Diadochenkämpfe mit einem gewieften Ramelow begibt. Drittens war er in dem schmalen Zeitfenster, in dem die SPD in Berlin mit sich selbst beschäftigt ist, offenbar keiner nachdrücklichen Einflussnahme der Bundespartei unterworfen.

Was bedeutet das alles für den Bund?

Schwarz-Gelb in Berlin muss seine Politik nicht von einem ostdeutschen Bundesland konterkarieren lassen. Der Bundesrat kriegt ein neues Gesicht, aber kein neues Gewicht, denn Schwarz-Rot geht sozusagen als Neutrum in die Länderkammer. Allerdings hätte auch Rot-Rot-Grün in Thüringen keine Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse gehabt.

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