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Dalai Lama

© dpa

Tibet: Der Dalai Lama gibt auf

Der Dalai Lama macht den Weg für einen härteren Kurs gegenüber Peking frei: Er gibt auf. In wenigen Wochen will er mit 300 Delegierten über den weiteren Kampf für ein freies Tibet entscheiden.

Es war ein trauriges, resigniertes Statement, das viele Tibeter schockte: „Soweit es mich betrifft, habe ich aufgegeben“, sagte der 73-jährige Friedensnobelpreisträger am Samstag in der tibetischen Exilhochburg Dharamsala. Die Welt hat ihn für seinen gewaltfreien Kurs gegenüber China gefeiert und geehrt. Aber gebracht hat es den sechs Millionen Tibetern nichts: Fast 50 Jahre nach seiner Flucht aus Tibet nach Indien scheint der Dalai Lama das Scheitern seiner Politik eingestanden zu haben. Erstmals seit 1959 ruft er für den 17. bis 22. November 300 Delegierte der Exiltibeter im nordindischen Dharamsala zusammen, um über die Zukunft des Kampfes für ein freies Tibet zu entscheiden. Dem könnte eine historische Wende folgen.

Bisher hatte der Dalai Lama die Exiltibeter auf das weichere Ziel der „Autonomie“ für Tibet verpflichtet, weil er dies angesichts der faktischen Machtverhältnisse einzig für realistisch hielt. Die Delegierten könnten nun diese Linie verlassen und die völlige Unabhängigkeit des Bergstaates zur Forderung erheben. „Seine Heiligkeit glaubt, dass andere Optionen in Erwägung gezogen werden müssen und das wird beim Treffen im November geschehen“, ließ er über einen Sprecher erklären. An einem will der Dalai Lama aber auch künftig nicht rütteln lassen: Die tibetische Freiheitsbewegung soll gewaltfrei bleiben. Diese Bedingung sei „nicht verhandlungsfähig“, hieß es.

Es war seine erste Pressekonferenz nach zwei Klinikaufenthalten. Diese nährten Gerüchte, dass der 73-jährige gesundheitlich angeschlagen sei und an Rücktritt denke. Sein Sprecher dementierte dies. Seine Heiligkeit sei völlig genesen.

Viele Exiltibeter hatten die Olympischen Spiele in Peking als letzte Chance gesehen, um die Welt auf den Tibetkonflikt aufmerksam zu machen und China zu Kompromissen zu bewegen. In Tibet kam es zu einem Aufstand, den Peking brutal niedergeschlagen ließ. Weltweite Proteste folgten, und die Tibeter verhielten sich während der Spiele ruhig, weil China zähneknirschend Gesprächen zugestimmt hatte. Sieben Mal haben sich Unterhändler beider Seiten seitdem getroffen, doch bewegt hat sich nichts. Bleibt auch ein weiteres Treffen in dieser Woche fruchtlos, wird das Oberhaupt der Tibeter seinen Führungsanspruch in der Tibetfrage wohl ans Volk abgeben. Und jüngere Tibeter begehren gegen den Kurs des Ausgleichs und Kompromisses auf: Die sanfte Linie koste Zeit und spiele dem chinesischen Regime in die Hände, das dabei ist, die tibetische Kultur und Sprache auszulöschen. Teile der Jugend leiden unter dem Gefühl der politischen Ohmacht und liebäugeln mit Gewalt und Guerillataktiken.

China hat am Mittwoch neue Gespräche in der „nahen Zukunft“ mit „privaten Vertretern des Dalai Lama“ angekündigt. Das Außenministerium erklärte, dies geschehe „auf Wunsch“ des Dalai Lama und forderte das buddhistische Religionsoberhaupt auf, die „Gelegenheit zu schätzen und positiv darauf zu reagieren“.

Politiker aus aller Welt haben sich für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen eingesetzt, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das Thema vergangene Woche in Peking ansprach. Doch auch wenn die Welt mit den Tibetern sympathisiert – niemand möchte es sich mit dem mächtigen China verscherzen. So liegt in den Worten des Dalai Lama vielleicht noch eine bittere Wahrheit, die viele Tibeter nicht hören möchten: dass ihre Heimat verloren sein könnte.

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