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Politik: Tief in die Kiste

Von Hermann Rudolph

Spricht man so über die Hauptstadt, über Berlin? Seitdem der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff den Berlinern in der Vertretung seines Landes Subventionsmentalität und andere Laster vorgehalten hat, brummelt es in der Stadt, und einige Politiker haben ja auch schon mit kräftigen Worten Dampf abgelassen. Tatsächlich hat Wulff tief in die Kiste der gängigen Berlin-Ressentiments gelangt. Es fällt wahrhaftig nicht schwer, ihm zu widersprechen. Dennoch wird sich Berlin daran gewöhnen müssen: Man wird so, auch so, auch künftig über die Hauptstadt, über Berlin sprechen.

Dabei kann man dem niedersächsischen Ministerpräsidenten ja durchaus zubilligen, dass er auch Freundliches über Berlin gesagt hat – irgendwie war die Rede, die hierzulande solche Wellen schlägt, sogar ein Bekenntnis zur neuen deutschen Hauptstadt. Doch das Verdienst von Wulffs Auftritt besteht darin, dass er deutlich gemacht hat, wie anders sich die Situation Berlins aus der Sicht eines westdeutschen Bundeslandes ausnimmt. Die Nöte, welche die Stadt in Atem halten, Mangel an Investitionen, drückende finanzielle Engpässe und, natürlich, Verschuldung werden mit der Elle der Statistik gemessen. Doch die Anstrengungen, die die Stadt seit fünfzehn Jahren macht, um mit ihrer Lage fertig zu werden, und der Kontext ihres ziemlich unvergleichlichen Schicksals schnurren zusammen zu ein paar Randbemerkungen. Dann geht es unbarmherzig zur Sache. Über diese perspektivische Verschiebung im Blick auf Berlin hat uns ja bereits das Karlsruher Urteil eine bitter aufstoßende Lektion erteilt.

Aber dieser Sicht muss sich Berlin stellen. Denn der Hauptstadt-Rang ist alles andere als ein Blankoscheck, den die Republik Berlin ausgestellt hat. Im Gegenteil: Anders als die politischen Zentren der anderen Länder wird Berlin besonders scharf beäugt. Es hat sich selbst dann nicht zu beklagen, wenn seine politischen Verhältnisse – wie von Wulff – parteipolitisch angeprangert werden. Das ist der Preis, den Berlin dafür zu zahlen hat, dass es nicht Stuttgart oder Bremen ist, sondern die Hauptstadt, in der die Interessen und die Aufmerksamkeiten des ganzen Landes zusammenlaufen.

Immerhin hat Berlin den Vorzug, dass diese Hauptstadt-Geschichte eine erstaunliche Erfolgsstory ist. Vor fünfzehn Jahren war noch die Mehrheit der Gesellschaft gegen Berlin als Hauptstadt und nur eine knappe, zufällige Mehrheit der Abgeordneten dafür. Inzwischen ist die Stadt so eindeutig Hauptstadt wie nie zuvor. Das bringt, wie bekannt, kein Geld in leere Kassen, und es löst nicht die strukturellen, langfristigen Probleme, die eine Hauptstadt für ein extrem föderatives, lange hauptstadtentwöhntes Gemeinwesen bedeutet. Aber diese Zustimmung zu Berlin ist eine Position, aus der man im Ringen zwischen den Ländern, das ein harter Fuß-an-Fuß-Kampf bleibt, auf die Dauer schon etwas machen kann.

Nur: Man verspielt solche Chancen, wenn man auf Kritik, auch wenn sie überzogen ist, mit ihrerseits überhöhter Empfindlichkeit reagiert. Wenn etwas die Stellung der Stadt im Ansehen der Republik untergräbt, dann eine Attitüde des Gekränktseins und der Wehleidigkeit. Das von vielen, auch solchen, die es besser wissen müssten, geübte Berlin-Bashing ist gewiss ein Ärgernis, aber nicht weniger sein sozusagen Berliner Pendant - das Gefühl der Selbstüberhebung, das beleidigt reagiert, wenn Berlin nicht als Nabel der Republik angesehen wird, und jedem das Urteil über die Stadt abspricht, der nicht mit dem Dörrgemüse der Blockade groß geworden ist.

Wulffs Rede und die Reaktionen darauf zeigen, welche emotionalen Distanzen noch zwischen Berlin und der Republik liegen. Es ist eine gemeinsame Aufgabe, sie auszuräumen. Für Berlin bedeutet das, die Sicht derer wahrzunehmen, für die die Stadt Hauptstadt ist. Es ist kein Schaden, wenn es da etwas laut wird. Nur verbissen und verletzend sollte es nicht zugehen, jedenfalls nicht mehr, als im politischen Streit unvermeidbar ist. Aber Vorbehalte und schiefe Urteile müssen angesprochen werden, damit sie nicht weiterschwelen, sondern korrigiert werden können.

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