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EM-Boykott. Schließt sich die Kanzlerin dem Appell von Sigmar Gabriel an?

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Update

Timoschenko in Haft: Kritik an Ukraine wächst

Das Bundespresseamt wollte einen Bericht, wonach Kanzlerin Merkel einen EM-Boykott erwäge, zwar nicht bestätigen. Aber es mehren sich die kritischen Stimmen - und auch Bayern-München-Präsident Uli Hoeneß meldete sich zu Wort. Jetzt hat die Ukraine geantwortet und weist Merkel in ihre Schranken.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwägt nach einem Medienbericht einen politischen Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine. Sollte die verurteilte ukrainische Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko bis dahin nicht freigelassen worden sein, will Merkel nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ ihren Ministern empfehlen, den Spielen fernzubleiben. Die Europameisterschaft, die gemeinsam von Polen und der Ukraine ausgetragen wird, beginnt am 8. Juni.

Allenfalls für Innenminister Hans-Peter Friedrich in seiner Funktion als Sportminister könne eine Ausnahme gelten. Friedrich hatte in der vergangenen Woche angekündigt, er werde an dem Spiel Deutschland gegen die Niederlande in Charkow nur teilnehmen, wenn er vorher die in einem Straflager der Stadt inhaftierte Timoschenko besuchen könne. Die unter starken Rückenschmerzen leidende Timoschenko protestiert seit dem 20. April mit einem Hungerstreik gegen ihre Haftbedingungen. Timoschenko wirft dem Staat Foltermethoden vor. Der Machtapparat bezeichnete sie dagegen als Simulantin.

Das Bundespresseamt wollte sich zu dem „Spiegel“-Bericht zu einer möglichen Boykott-Empfehlung Merkels nicht äußern. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte am Freitag betont, Timoschenko müsse die nötige medizinische Behandlung erhalten. Deutschland bietet eine Behandlung durch Spezialisten der Berliner Charité an, die sie bereits in der Ukraine untersucht hatten.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) plädierte am Sonntag dagegen als erstes Kabinettsmitglied offen für einen Boykott. „Es muss unbedingt verhindert werden, dass das ukrainische Regime die EM zur Aufwertung ihrer Diktatur nutzt“, sagte er der „Bild“-Zeitung. „Deshalb finde ich, dass Besuche von Ministern und Ministerpräsidenten zur EM nach jetzigem Stand nicht in Frage kommen.“

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) zeigte sich schockiert über den Umgang mit Timoschenko, die seit längerem über starke Rückenschmerzen klagt. Ihr werde „entgegen aller rechtlichen und moralischen Pflichten in der Ukraine eine angemessene medizinische Behandlung verweigert“, sagte der FDP-Politiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Und auch Bayern-München-Präsident Uli Hoeneß meldete sich zu Wort. Er ermutigte die deutschen Nationalspieler, ihre Solidarität mit ukrainischen Regierungskritikern zu bekunden. „Sie würden damit Größe zeigen“, sagte Hoeneß dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. „Ich hätte Respekt vor jedem Spieler, der öffentlich Stellung zu diesem Thema bezieht.“

Fotoreportage: Sorge um Julija Timoschenko

Die Kritik aus dem Ausland wurde in der Ukraine mit Verstimmung aufgenommen. Besonders Angela Merkel steht im Fokus. Die Partei von Präsident Viktor Janukowitsch warnte sie, sich nicht in die Angelegenheiten fremder Länder einzumischen. Der Parlamentsabgeordnete der Partei der Regionen, Vasyl Kisselow, wurde von der „Ukrainiska Pravda“ mit den Worten zitiert: „Ich will Kanzlerin Merkel darin erinnern, dass sie die Kanzlerin Deutschlands und nicht der Ukraine ist. Bei uns gibt es keine Gesetze, die vorsehen, dass Inhaftierte im Ausland behandelt werden.“

Timoschenko war im Vorjahr in einem international umstrittenen Prozess wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Sie gilt als Opfer politischer Rachejustiz im Auftrag des gegenwärtigen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. 2004 hatte sie die gegen Janukowitsch gerichtete Orangene Revolution angeführt.

Die Tochter der inhaftierten Ex-Regierungschefin Eugenia Timoschenko hat sich unterdessen in einem dramatischen Appell an die Bundesregierung gewandt. „Retten Sie das Leben meiner Mutter, bevor es zu spät ist“, sagte die 32-Jährige der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. „Das Schicksal meiner Mutter und meines Landes sind jetzt eins. Wenn sie stirbt, stirbt auch die Demokratie“, sagte die Tochter. Ohne den internationalen Druck auf die Regierung in Kiew wäre die frühere Regierungschefin der Ukraine bereits tot, ist Eugenia Timoschenko überzeugt. „Ich bin sicher, wenn der Druck aus Europa nicht wäre, wäre meine Mutter heute nicht mehr am Leben“, sagte sie der „Bild am Sonntag“.

„Sie trinkt nur Wasser. Ihre Rückenschmerzen sind viel schlimmer geworden, seitdem sie gegen ihren Willen mit Gewalt ins Krankenhaus gebracht wurde“, sagte die Tochter der „Bild am Sonntag“. Der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ berichtete sie, ihre Mutter sei vom Direktor der Strafkolonie in Charkow mit einem Faustschlag niedergestreckt worden.

Die Absage einer Reise in die Ukraine von Bundespräsident Joachim Gauck wertete Eugenia Timoschenko als „sehr starkes Signal der Unterstützung“ und „Solidaritätssignal an die gesamte Opposition und alle politischen Gefangenen“. Deutschland sei das Schlüsselland, um in Europa Druck auf die Ukraine auszuüben. Eugenia Timoschenko appellierte an andere europäische Spitzenpolitiker, es Gauck gleich zu tun: Kein europäischer Staatsmann mit Selbstrespekt könne sich neben den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch stellen. „Er sollte boykottiert werden.“

Eugenia Timoschenko lehnte zugleich einen Boykott der Fußball-Europameisterschaft, die in Polen und der Ukraine ausgetragen wird, ab. Für die Ukraine sei die EM sehr wichtig und ein Symbol der europäischen Integration des Landes. Zu befürchten sei allerdings, dass die Regierung die EM für Propagandazwecke nutzt. Ihre Mutter wolle nicht, dass sich deutsche und europäische Politiker mit Janukowitsch zeigten, weder im Stadion noch außerhalb, sagte Eugenia Timoschenko. (dapd/dpa)

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