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Politik: Tinte statt Terror

Die Wähler in Afghanistan sollten mit Farbe markiert werden. Doch die Schulung der Helfer klappte nicht

Die erste freie Wahl in Afghanistan wird wohl als die Wahl mit der „Tinten-Panne“ in die Geschichte eingehen. Mit tief violetter, unabwaschbarer Farbe hatte der linke Daumennagel eines jeden Wählers eingefärbt werden sollen, um zu verhindern, dass er seine Stimme ein zweites Mal abgeben konnte. Aber schon eine Stunde nach Öffnung der Wahllokale hatten sich Afghanen vor den Zentren versammelt und die Daumen blankgerubbelt – die Farbe hielt nicht.

Später demonstrierte einer der Bewerber für das Amt des Vizepräsidenten, Said Mohammed Arif, Unterstützer des Präsidentschaftskandidaten Mir Mohammed Mafuz Nedahe, gemeinsam mit einigen Anhängern vor einer Moschee in der Kabuler Neustadt. Den Daumen in die Höhe gereckt, rief er: „Es geht ab, es geht ab.“ Aus der Jackentasche holte er dann eine Wahlberechtigungskarte, die er jemandem abgenommen haben wollte, der mit zwei Karten zur Wahl erschienen war. „Das ist so ein großer Tag für Afghanistan. Aber wenn es solche Verfälschungen gibt, dann war alles umsonst“, sagte er.

Dass sich viele Afghanen mehrmals für die Wahl hatten registrieren lassen und so eine zweite, wenn nicht mehr Karten besaßen, ist kein Geheimnis. Es wird allerdings nicht jeder mehrfach Registrierte gleich an Betrug gedacht haben: Viele wussten einfach nicht, was es mit der Karte auf sich hatte. Manche dachten gar, sie sei ein Bezugsschein für Lebensmittel.

Der Joint Electoral Management Body, das Organisationskomitee, gestand am Samstag ein, dass es im ganzen Land Probleme mit der Tinte gab; wie viele der 21 125 Wahllokale betroffen waren, vermochte zunächst jedoch niemand zu sagen. Die Erklärung für den Schlamassel war indes einfach: Die Wahlhelfer hatten während ihres Trainings die Tintenmarker nie gesehen, mit denen sie die Daumen der Menschen färben sollten. Die Wahlorganisatoren hatten nur 50 000 bestellt und die sicherheitshalber unter Verschluss genommen.

Am Samstagmorgen hatten die freiwilligen Helfer dann die Wahl zwischen den Stiften für die Wahlkabinen, den speziellen Markierungsstiften, die den anderen unglücklicherweise recht ähnlich sahen, einem kleinen Fläschchen Tinte zum Auffüllen des Stempelkissens und einem lilafarbenen Pulver, das, angemischt mit Wasser, ebenfalls Stempelkissenfarbe ergeben sollte. Sie gingen dann recht kreativ mit ihren Möglichkeiten um: In der Wahlstelle im Bildungsministerium schmierten die Wahlhelferinnen den Frauen kurzerhand die Stempelkissentinte über die Finger, im Frauenministerium ließen die männlichen Wahlhelfer ihre Kunden den Daumen tief in das lila Pulver stecken. Und mit den eigentlichen Markierstiften machten die Wähler ihre Kreuzchen.

Eine Beobachtergruppe ausländischer Entwicklungsorganisationen berichtete indes, in den vier von ihr besuchten Wahllokalen habe es keine Schwierigkeiten mit der Tinte gegeben. „Das Markieren der Wähler funktionierte dort einwandfrei“, sagte Simone Pott von der Deutschen Welthungerhilfe. Die Wahlhelfer seien ihrer Ansicht nach gut ausgebildet gewesen und hätten auch die Wahlkarten genau begutachtet. „Eine Frau wurde zurückgewiesen, weil ihre Karte nicht in Ordnung war“, sagte Pott dem Tagesspiegel am Sonntag. Doch selbst wenn nur wenige Wähler die Chance nutzten, mehrfach zu wählen, allein der Verdacht auf Manipulation könnte ausreichen, die demokratische Legitimität des neuen Präsidenten in Zweifel zu ziehen.

„Die Afghanen, mit denen wir sprechen konnten, waren aber auch stolz, dass sie erstmals selbst über ihr Staatsoberhaupt entscheiden durften“, sagte Simone Pott. In Kabul hätten sich schon morgens Schlangen vor den Wahllokalen gebildet. Auch die Frauen, für die spezielle Räume eingerichtet worden waren, seien stark vertreten gewesen. „Viele Frauen kamen allein, eine fuhr sogar selbst mit dem Wagen vor“, berichtete Pott.

Viele Helfer taten sich mit der Markierung der Wähler schwer. Der dafür vorgesehene Stift wurde teilweise zum Ausfüllen der Wahlzettel benutzt.

Übergangspräsident Hamid Karsai musste sich ebenfalls mit Farbe markieren lassen – allerdings mit einer zweifelhaften Methode.

Doch die Farbe war nicht das einzige Problem: Viele Afghanen hatten sich mehrfach registrieren lassen und besaßen daher auch mehrere Wahlkarten.

Und: Laut einer Umfrage der OSZE hatten rund 15 Prozent der Afghanen überhaupt keine Informationen über Wahlhergang und Kandidaten erhalten. Tsp

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