zum Hauptinhalt

Politik: Tipp vom Präsidenten

Horst Köhler weist dem Kanzler bei der Vertrauensfrage diskret den Weg

Berlin - Kanzler Gerhard Schröder will den Bundestag – und damit die Öffentlichkeit – erst am 1. Juli über die Vertrauensfrage informieren, ein anderer möchte sich aber schon vorher informieren: Bundespräsident Horst Köhler. In der „Zeit“ kündigte er jetzt an, sowohl mit den Parteichefs sprechen als auch den Rat von Verfassungsexperten einholen zu wollen. Denn ihm kommt nach der mutmaßlich negativ beantworteten Vertrauensfrage eine entscheidende Rolle zu. Er kann laut Grundgesetz binnen 21 Tagen den Bundestag auflösen und so Neuwahlen einleiten – oder auch nicht. Tut er es nicht, würde er Schröder zum Rücktritt drängen, wollte dieser doch noch um jeden Preis Neuwahlen ermöglichen.

Eine andere Möglichkeit hätte der Bundestag, wenn er Köhler zuvor kommt und einen anderen Bundeskanzler wählt. Unionschefin Angela Merkel hätte dafür aber keine Mehrheit und die Koalition keinen Kandidaten. Köhler könnte die Frist auch einfach verstreichen lassen. Dann bliebe Schröder im Amt, müsste aber, da er seine Mehrheit verloren hat, als Minderheitskanzler weiterregieren.

Zunächst entscheidend ist jedoch die Abstimmung im Bundestag selbst. Die „Leipziger Volkszeitung“ hat nach eigenen Angaben mit einem ungenannten Minister gesprochen, der als „verfassungsrechtlich hieb- und stichfeste“ Lösung auf das Modell des früheren Kanzlers Willy Brandt verwies. Brandt hatte 1972 in einer Pattsituation die Vertrauensfrage gestellt, seine Minister – auch die wegen ihres Abgeordnetenmandats stimmberechtigten – waren dann zur Abstimmung nicht erschienen und ermöglichten so die gewünschte Niederlage. Köhler lobte an Brandts Vorgehen jetzt die „genaue Kenntnis der Verfassung“ und den „Respekt vor dem Bundespräsidenten“ – eine Andeutung, dass es sein Wohlgefallen finden könnte, wenn Schröder ähnlich handelt.

Die Abgeordneten stehen vor dem Problem, dass ihr Votum sehr wahrscheinlich öffentlich bekannt wird. Man wird wissen, wer dem Kanzler misstraut. Die Geschäftsordnung des Bundestags sieht geheime Abstimmungen nur vor, wenn diese gesetzlich bestimmt sind. Die Vertrauensfrage ist rechtsförmlich aber nur ein Antrag und anders etwa als das „konstruktive Misstrauensvotum“, bei dem der amtierende Kanzler gestürzt und der neue bestimmt wird, keine echte Wahl. Die Abstimmung hat demnach öffentlich und namentlich stattzufinden.

Sollten sich allerdings genug Parlamentarier zusammenfinden, könnten sie diese Vorgaben umgehen. Die Geschäftsordnung erlaubt, mit einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden Abgeordneten von ihr abzuweichen, allerdings nur, „wenn das Grundgesetz dem nicht entgegensteht“. Tut es das hier? Juristen streiten seit Jahren darum. Einen Präzedenzfall gab es noch nicht.

Zur Startseite