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Politik: Titel ohne Mittel - Europa muss Javier Solana Macht geben...um selber mächtig zu werden (Meinung)

Scham hat ein kurzes Gedächtnis. Erst wenige Monate ist es her, da litten die Europäer an ihrem Unvermögen, eine regionale Herausforderung wie den Krieg im Kosovo ohne amerikanische Hilfe bestehen zu können.

Scham hat ein kurzes Gedächtnis. Erst wenige Monate ist es her, da litten die Europäer an ihrem Unvermögen, eine regionale Herausforderung wie den Krieg im Kosovo ohne amerikanische Hilfe bestehen zu können. Sie schienen ihre Lektion gelernt zu haben: Die 15 EU-Staaten müssen ihre nationalen Außen- und Sicherheitspolitiken koordinieren. In der Summe haben sie mehr Einwohner, ein höheres Bruttosozialprodukt und mehr Soldaten als die USA. Die nationale Aufsplitterung macht den ökonomischen Riesen zum weltpolitischen Zwerg. Beim Kölner Gipfel im Juni beriefen die EU-Regierungschefs den damaligen Nato-Generalsekretär Javier Solana zum ersten Hohen Repräsentanten der Gasp, ihrer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Nun hat er den Job angetreten und damit eine Chance, die sich nur dem ersten Amtsinhaber bietet: das neue Amt zu formen. Gelingt es Solana, den Mr. Gasp zu einer Schlüsselposition auszubauen, wie sie der Generalsekretär in der Nato innehat, dann werden seinen Nachfolgern nach und nach immer mehr Kompetenzen zufallen und sie in der allgemeinen Wahrnehmung zu dem schon jetzt viel beschworenen "Mister Europa" machen - auch wenn es noch lange nationale Außenminister der EU-Staaten geben wird. Verkommt Solana dagegen zum Befehlsempfänger der Regierungen wie auch der EU-Kommission, muss er den Briefträger außenpolitischer Entscheidungen spielen, die andere treffen, dann wird sich das nicht so schnell wettmachen lassen. Der neue Posten wäre diskreditiert: Titel ohne Mittel.

Doch das hängt nicht allein von Solana ab. Macht beruht auf Zuständigkeit, persönlicher Kompetenz und Verantwortung. Der Spanier bietet mit seiner Persönlichkeit, seiner Erfahrung, seinem Renommée die denkbar beste Voraussetzung. Substanzielle Zuständigkeiten sind in der Job-Beschreibung aber nicht enthalten. Zudem ist es kein Vakuum, in dem er seinen Aufgabenbereich ausbauen muss. Sinnvoll wäre, dass er, zum Beispiel, die EU-Außenministertreffen leitet oder die Besprechungen der EU-Botschafter in Brüssel. Doch für die nationalen Regierungen ist die halbjährige EU-Präsidentschaft ein Mittel zur Einflussnahme. Gerade kleinere Staaten sträuben sich, diese Chance zur Selbstdarstellung aufzugeben.

Und da sind andererseits die bestehenden Ämter in der EU-Kommission. Deren Präsidenten haben die Außenvertretung immer auch als Teil ihrer Aufgabe begriffen. Dazu gibt es einen Außen-Kommissar: den Briten Chris Patten, der über ausgeprägtes Selbstbewusstsein verfügt und es als letzter Gouverneur von Hongkong gewohnt war, selbst in die Weltpolitik einzugreifen. Der zurzeit wohl spannendste und einflussreichste Teil der EU-Außenpolitik, die Erweiterung nach Osten und Süden, liegt in wieder anderen Händen: denen des deutschen Kommissars Günter Verheugen. Fast unvermeidlich wird es immer wieder zu Kompetenz-Streitigkeiten kommen, bis sich eine allgemein akzeptierte Aufgabenverteilung eingespielt hat.

Im Bereich der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik soll Solana demnächst gestärkt werden: Die in der EU dafür zuständige Westeuropäische Union (WEU) liegt seit ihrer Gründung im Dornröschenschlaf. Im Herbst wird der Posten des Generalsekretärs frei. Den darf Solana mit übernehmen. Doch wenn die WEU handlungsfähig werden soll als europäischer Arm der Nato, ergeben sich Probleme mit den neutralen EU-Mitgliedern Finnland, Österreich und Schweden.

Der deutsch-französische Appell, Solana mehr Zuständigkeiten zu geben, kommt spät. Aber er verrät immerhin, dass die beiden mächtigsten EU-Staaten die Herausforderung begriffen haben: Es liegt nicht nur im gemeinsamen europäischen, sondern auch im nationalen Interesse, das neue Amt mit Macht auszustatten. Nur dann hat Europa eine Chance, der Weltmacht USA als gleichberechtigter Partner gegenüberzutreten und sie, wo nötig, zu korrigieren.

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