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Der Stolz herrscht vor in den USA.

© Reuters

Tod von Bin Laden: Triumph der USA über das Phantom

Sie singen, sie fallen sich jubelnd in die Arme. Die Amerikaner feiern die Tötung bin Ladens als Sühne, als späte Gerechtigkeit – fast zehn Jahre nach der Tragödie vom 11. September 2001. Und Barack Obama genießt mit ernster Miene seinen Sieg.

Noch in der Nacht sind sie vor dem Weißen Haus in Washington zusammengeströmt. Hunderte waren es bereits, als Präsident Obama die Botschaft kurz vor Mitternacht verkündete: Osama bin Laden ist tot. Wenig später waren es Tausende. Sie schwenken das Banner mit den „Stars and Stripes“, skandieren „USA, USA“ und singen die Nationalhymne.

Auch in New York haben sie sich versammelt, natürlich an Ground Zero, wo bis zum 11. September 2001 die Zwillingstürme des World Trade Center in den Himmel ragten. Und wo nun hinter Bauzäunen ein neues Büro- und Geschäftszentrum mit Gedenkstätte aus dem Boden wächst.

Manches erinnert an die Wochen nach dem Terrorangriff, als im Hintergrund noch die Trümmer rauchten. Wie damals suchen die Amerikaner die Nähe ihrer Mitmenschen, singen „God bless America“, haben sich amerikanische Fahnen um den Kopf gebunden. Doch damals flossen Tränen, fielen sich Menschen schluchzend in die Arme, drückten mit Kopfschütteln ihre Fassungslosigkeit aus.

Jetzt blickt man in freudige Gesichter. Befreiendes Gelächter und Jubelrufe füllen die Luft. Amerika erlebt den Terrorangriff von 2001 noch einmal, doch diesmal mit einem Ausgang, der den verletzten Seelen Frieden schenkt. Die 3000 Opfer von damals kann man nicht wieder lebendig machen. Aber der Haupttäter wurde bestraft, rechtzeitig vor dem zehnten Jahrestag der Attacke auf New York im September.

Barack Obamas Miene ist ernst, als er um 23 Uhr 35 Ortszeit im East Room des Weißen Hauses vor die Kameras tritt. Unübersehbar mischen sich aber auch in sein Mienenspiel Stolz und Genugtuung. „Kurz nach meinem Amtsantritt habe ich CIA-Chef Leon Panetta angewiesen, die Tötung oder Ergreifung Osama bin Ladens zur Toppriorität in unserem Kampf gegen Al Qaida zu machen“, sagt er.

Ähnliches hatten die Amerikaner vor neun Jahren und knapp acht Monaten schon einmal von ihrem Präsidenten gehört. Der hieß damals George W. Bush und versprach, den Terroristenführer zu fassen. „Dead or alive“, fügte er mit Entschiedenheit hinzu. Doch damals entwischte bin Laden den amerikanischen Spezialkräften, die die Felsenfestung Tora Bora in den Bergen des Hindukusch umstellt hatten. Bald verloren die Geheimdienste seine Spur. Bin Laden wurde mehr und mehr zu einem Phantom, das nicht zu fassen war. Bush hatte zwei Kriege begonnen. Aber der Triumph, den Drahtzieher von 9/11 zu ergreifen, war ihm versagt.

Obama und Bush, das war stets auch eine Rivalität, wie man den Kampf gegen den Terrorismus richtig führt. Bush war der Mann für die martialischen Töne und den selbstbewussten Einsatz der amerikanischen Militär- und Geheimdienstmacht. „Mission Accomplished“, behauptete er auf einem Flugzeugträger, als Saddam Husseins Regime in Bagdad stürzte. Das war verfrüht, wie man bald wusste. Der eigentliche Irakkrieg mit Selbstmordanschlägen und Zehntausenden Toten begann da erst.

Obama redet zurückhaltender, er verkneift sich Triumphgeheul. Er ließ immer wieder durchblicken, er sei mit der selben Entschlossenheit hinter bin Laden her, bevorzuge jedoch ein verdecktes, effizientes Management aus dem Hintergrund.

Bush habe einen Fehler begangen, als er den Irakkrieg begann und damit die Aufmerksamkeit von Afghanistan abzog, hatte Obama im Wahlkampf 2008 immer wieder gesagt. Er werde Amerikas Energien auf das Rückzugsgebiet der Al Qaida am Hindukusch konzentrieren. Er gab auch ein Versprechen ab, das im Rückblick geradezu prophetisch erscheint. „Wenn wir belastbare Geheimdienst-Erkenntnisse haben, dass bin Laden sich in Pakistan aufhält, werde ich eingreifen, egal ob Pakistans Regierung zustimmt oder nicht“, hatte er angekündigt. Damals hatte er dafür Prügel sowohl von seinen innerparteilichen Rivalen als auch den republikanischen Gegnern bezogen. Amerika könne doch nicht einem so engen Verbündeten offen drohen.

Am Sonntagabend konnte Obama Erfolg vermelden. Noch bevor er zur Nation und zur Welt sprach, habe er seinen Vorgänger Bush angerufen, ließ das Weiße Haus durchsickern. Es war ein Akt der Höflichkeit – und zugleich eine Geste des Triumphs.

Wie es zu bin Ladens Ergreifung kam, dazu machte der Präsident in seiner Ansprache nur ein paar nüchterne Angaben. Schon aus den kargen Informationen ließ sich die gewünschte Interpretation herauslesen: Obama ist ein geduldiger und souveräner Manager komplexer Herausforderungen. Im August 2010 habe er von einer heißen Spur erfahren, auf die Amerikas Geheimdienstler in mühsamer Kleinarbeit gestoßen waren. Es dauerte Monate, diese Spur zu verfolgen. Wiederholt habe er sich mit seinem „Security Team“ getroffen, den Schlüsselfiguren im Nationalen Sicherheitsrat, der CIA, dem Militär und den Spezialkräften, die für solche Aktionen ausgebildet wurden. „In der vergangenen Woche habe ich schließlich entschieden, dass wir genug Informationen haben, um zuzuschlagen, und habe den Befehl für eine Operation gegeben mit dem Ziel, Osama bin Laden zu ergreifen und seiner gerechten Strafe zuzuführen.“

In der Nacht zu Montag verbreiteten Mitarbeiter des Weißen Hauses immer weitere Details, die Obamas Regierungs- und Entscheidungsstil in noch hellerem Licht erscheinen ließen. Fünf Mal habe man allein im Monat März im engsten Kreis beraten, ob der Moment gekommen sei. Am Freitag, 29. April, gab Obama den Einsatzbefehl. Tags darauf sprach der Präsident beim jährlichen Galadinner mit den im Weißen Haus akkreditierten Journalisten. „Oh, what a week!“, begann er die humorvolle und mit politischen Gags gespickte Rede, die von ihm bei diesem Anlass erwartet wird. Fast alle bezogen das auf die Auseinandersetzung um seine Geburtsurkunde. Höchstens eine Handvoll Anwesende aus seinem engsten Kreis ahnte, was für eine dramatische Operation 11 380 Kilometer weiter östlich anlief.

„Die Spur“: Das war einer der früheren Vertrauten von bin Laden. Die Geheimdienste versuchten seit Jahren, sie alle im Auge zu behalten, in der Hoffnung, einen Hinweis auf den Aufenthaltsort des Al-Qaida-Anführers zu erhaschen. Eigentlich vermutete man ihn irgendwo im so- genannten Stammesgebiet in Pakistan nahe der afghanischen Grenze. Die Gegend dient schon lange als Rückzugsraum für die Taliban und Al Qaida. Die pakistanische Regierung hat keine Kontrolle über das bergige Gelände.

Doch der frühere Vertraute bin Ladens hatte ein Anwesen in der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabat gekauft, nördlich der Hauptstadt Islamabad. Und da gab es ein paar Auffälligkeiten: Das Wohngebäude war wesentlich größer als die Nachbarhäuser – eigentlich zu groß, wenn es nur um die Familie dieses Mannes gegangen wäre. Es hatte weder Telefon- noch Internetanschluss, ungewöhnlich für die Gesellschaftsschicht, die solche Immobilien besitzt. Wollte da jemand jede Abhör- und Ortungsmöglichkeit ausschließen? Das Anwesen war außerdem stark befestigt. Vier bis sechs Meter hohe Mauern umgaben die Residenz. Und als die Dienste es beobachteten, wurden Familienmitglieder bin Ladens gesichtet.

Weniger als 40 Minuten soll die Kommando-Aktion in der Macht zum Montag gedauert haben – und das US-Spezialteam hatten von vorneherein den Befehl zu töten, berichteten Medien. Mehrmals hatten sie zuvor den Zugriff geübt. Im Schutze der Dunkelheit fliegen sie von der Tarbela-Basis mit zwei, drei Hubschraubern zum Anwesen und stürmen das Gelände, so lassen es jedenfalls US-Quellen durchsickern. Angeblich kommt es zum Feuerwechsel, bei dem bin Laden mit einem Kopfschuss getötet wird. Auch drei andere Männer, darunter einer seiner Söhne, sterben im Kugelhagel. Eine Frau wird erschossen – laut US-Darstellung, als einer der Männer sie als „menschlichen Schutzschild“ benutzt. Zwei weitere Frauen werden verletzt. Ein Hubschrauber muss notlanden und wird beschädigt. Wie durch ein Wunder bleiben allerdings alle Amerikaner bei der Operation unverletzt, obgleich das Gebäude hochgesichert gewesen sein soll.

Bin Ladens Leichnam nahmen die Einsatzkräfte mit. Erstens, um mit DNA-Proben seine Identität zu beweisen. Zweitens, um ihn rasch auf See zu bestatten, damit es keine Grabstätte gibt, die zum Pilgerort für islamische Extremisten werden kann.

Was war Pakistans Rolle – erst im Versteckspiel um Osama bin Laden und nun bei seiner Ergreifung? Darüber rätselte Amerika an Montag noch. Schon lange misstrauen die USA der Regierung und vor allem dem Geheimdienst in Islamabad. Die Pakistani seien offiziell Amerikas Verbündete im Kampf gegen den Terror, in Wahrheit aber die Schutzmacht der Taliban und damit auch indirekt von Al Qaida. Denn sie wollen auch nach dem Abzug der Amerikaner Kontrolle über Afghanistan behalten, als Rückhalt gegen den Erzfeind Indien.

Da schien es unwahrscheinlich, dass Obama Pakistan einweihte. Womöglich hätten interessierte Stellen bin Laden noch einen Tipp gegeben und ihm die Flucht ermöglicht. Denn auch sein Versteck, im Dunstkreis der Hauptstadt, ließ doch den Argwohn zu, Pakistan wisse Bescheid und dulde ihn dort.

Aber war es andererseits nicht viel zu gefährlich, einen Hubschraubereinsatz in einer pakistanischen Garnisonsstadt zu befehlen, ohne Staatsführung und Militär vorzuwarnen? Obama sagte in seiner Ansprache, er habe mit Pakistans Präsident Zardari telefoniert – und ebenso die Mitglieder seines Sicherheitsteams mit ihrem pakistanischen Partner. Wann genau, das sagte er nicht.

Endet mit Osama bin Ladens Tod die schlimmste Epoche des islamischen Terrors? Auch darauf wissen die USA noch keine Antwort. Er ist die Symbolfigur für eine Reihe öffentlichkeitswirksamer Anschläge: 1993 der erste Anschlag auf das World Trade Center mit einer Autobombe. Sechs Menschen starben, mehr als tausend wurden verletzt. 1995 der Angriff auf einen Wohnkomplex amerikanischer Soldaten in Saudi Arabien mit 19 Toten. 1998 die Bombenattacken auf US-Botschaften in Ostafrika mit 224 Toten. 2000 der Angriff auf das US-Kriegsschiff „Cole“ mit sprengstoffbepackten Schlauchbooten im Hafen von Aden. 2001 dann am 11. September die Entführung von vier Passagierjets, die als fliegende Bomben gegen das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington eingesetzt wurden. Aus Osama bin Laden, dem Sohn einer saudischen Bauunternehmerfamilie, war endgültig der meistgesuchte Terrorist der Erde geworden.

Sein Tod weckt die Hoffnung, dass diese Ära zu Ende geht. Andererseits warnen Experten, gerade wegen seines Todes würden islamische Terroristen nun erst recht versuchen, rasch einen großen Anschlag zu verüben. Sie wollen ihn rächen und ihre anhaltende Operationsfähigkeit beweisen. Noch am Sonntag haben die Vereinigten Staaten ihre Botschaften und Militäreinrichtungen weltweit in Alarmbereitschaft versetzt. Eine erfolgreiche Attacke würde Obamas Ansehensgewinn rasch wieder zunichte machen.

Mitarbeit Christine Möllhoff

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