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Politik: Toleranz ade

In Bulgarien mehren sich Attacken von Nationalisten auf die Minderheiten von Roma und Türken

Freitag in Sofia. Vor der Banja-Baschi-Moschee im sogenannten Toleranzviertel steigt Rauch auf. Einige Dutzend Anhänger der nationalistischen Partei Ataka haben, rechtzeitig zum Freitagsgebet der türkischen Gemeinde, einen Gebetsteppich der bulgarischen Türken in Brand gesteckt. Sie wollen gegen den Ruf des Muezzins im Zentrum der Hauptstadt des orthodoxen Bulgarien protestieren.

Das Toleranzviertel hat seinen Namen von den Gotteshäusern, die hier einträchtig beieinander stehen, der Banja-Baschi-Moschee, der jüdischen Synagoge, der orthodoxen Kathedrale und der katholischen Kirche. Jetzt ist alles anders: „Hier ist Bulgarien, hier ist Bulgarien!“, skandieren sie. Beim Versuch, einen Muezzin-Lautsprecher zu ergreifen, kommt es zu Schlägereien zwischen Atakisten und muslimischen Gläubigen. Blut fließt, Steine, Eier und Flaschen fliegen. Ein Muslim liegt mit blutüberströmtem Kopf am Boden, Glaubensbrüder verarzten ihn notdürftig. Die Polizei macht einen hilflosen Eindruck, der Krankenwagen lässt auf sich warten.

Die pogromartigen Szene ähnelt Vorfällen vor einigen Wochen in der Schwarzmeerstadt Burgas. Damals waren es selbst ernannte Patrioten der „Inneren Mazedonischen Revolutionären Organisation – Bulgarische Nationale Bewegung“ (VMRO), die ein Gebetshaus der Zeugen Jehovas stürmten. Sie halten sie für eine Sekte, die verboten werden sollte. Die Vorfälle in Burgas und in Sofia machen deutlich, dass Bulgariens ethnische Toleranz bedroht ist. Vor allem Volen Siderov, der Parteiführer der nationalistischen Ataka, hat in den letzten Wochen seine Rhetorik gegen die Minderheiten der Türken und Roma im Land verschärft.

Im Vorfeld der für Herbst angesetzten Präsidentschaftswahlen will Siderov sein altes Image als revolutionärer Kämpfer wiederbeleben. Obwohl er im Februar 2009 noch gegen den damaligen Bürgermeister Sofias und Bewerber um das Ministerpräsidentenamt, Boiko Borissov, ausfällig geworden war, stellte er sich und seine Partei nach Borissovs Wahlsieg vorbehaltlos auf dessen Seite. Seitdem schien er staatstragend geworden zu sein. Borissovs Regierungspartei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgarien (GERB) konnte im Parlament stets mit Atakas Stimmen rechnen.

Seitdem Borissov aber klargestellt hat, dass seine Partei zu den Präsidentschaftswahlen eigenständig antreten und Siderovs Kandidatur nicht unterstützen wird, geht Siderov zunehmend auf Distanz zu Borissov und radikalisiert sich in Wort und Tat. Bereits inszenierten Atakisten in der Stadt Batak einen kleinen Aufstand. Batak hat wegen eines 1876 von den Osmanen an der bulgarischen Bevölkerung verübten Massakers Symbolkraft für nationalistische Bulgaren und wird von einem türkischen Bürgermeister regiert. Selbst der amerikanische Botschafter James Warlick wurde vor wenigen Tagen Opfer einer Attacke Siderovs. Als Siderov Warlick zufällig in einem Restaurant entdeckte, überreichte er ihm eine Rechnung über zwei Milliarden Dollar für die beiden von US-Truppen genutzten Übungsbasen in Südost-Bulgarien.

„Ich fordere den Rücktritt von Innenminister Tsvetan Tsvetanov“, brüllte Siderov am Rande des Krawalls vom Freitag an der Banja-Baschi-Moschee durchs Megafon. Die Polizei schütze die Türken und misshandle die Demonstranten. Das Tischtuch zwischen GERB und ihm dürfte damit endgültig gerissen sein.

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