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Wer ein erfülltes Leben hat, wer Kinder, Freunde, gute Bindungen hat, muss sich weniger vor einem einsamen Tod fürchten.

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Totensonntag: Vom Ende her gedacht

Den Tod sollten wir aus der Mitte des Lebens gestalten: Ein gutes Leben ist die beste Vorsorge für ein gutes Sterben. Überlegungen zum Totensonntag.

Im Mittelalter hatten die Menschen Angst vor dem Tod. Sie fürchteten sich vor der Hölle. In vielen Kirchen hingen Gemälde, die zeigten, welche Qualen dort warteten. Die Hölle hat ihren Schrecken verloren. Heute haben die Menschen Angst vor dem Sterben. Sie fürchten, am Ende des Lebens einsam und elend dahinzusiechen, unfähig, selbst zu bestimmen, was mit ihnen geschieht.

Im 15. Jahrhundert kamen „Sterbebüchlein“ in Mode. Die Pest klopfte damals an viele Türen und es wurde so viel gestorben, dass nicht überall ein Pfarrer dabei sein konnte. Die Büchlein enthielten Anweisungen und Gebete für Sterbende, damit sie den Übergang vom Leben zum Tod notfalls alleine meistern konnten – und auch ohne Pfarrer am Fegefeuer vorbeikamen.

Die Versprechungen der Sterbehilfe-Vereine erinnern an mittelalterliche Sterbebüchlein

Manchmal erinnern die Versprechungen von Sterbehilfe-Vereinen und Palliativärzten an die Sterbebüchlein. Sie suggerieren, dass man das Sterben kontrollieren könne. Sicher, es lassen sich viele Schmerzen in der letzten Lebensphase lindern. Es sollte auch alles getan werden, damit kein schwerkranker Mensch leiden muss, egal ob er in einer medizinisch gut versorgten Großstadt lebt oder auf dem Land. Doch wie jemand stirbt, ob schnell oder langsam, ob er sich quält oder sanft hinübergleitet, ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Das lässt sich nicht vorhersagen und nur bedingt planen, auch durch die beste Patientenverfügung nicht.

Was sich aber sehr wohl gestalten lässt, das ist die Art, wie wir leben. Statt von der Mitte des Lebens angstvoll aufs Ende zu starren, statt zu diskutieren, ob am Ende der Giftcocktail die Lösung ist oder die Überdosis Morphium, könnte die umgekehrte Perspektive sinnvoller sein: vom Lebensende auf die Lebensmitte. Der Richtungswechsel schärft den Blick für aktuelle Schieflagen und Unzufriedenheiten und hat den Charme, dass sich das Leben jetzt und hier verändern lässt.

Jemandem "zur Last zu fallen" gehört zum Mensch-Sein

Beginnen wir das Gedankenspiel mit dem Grab: In welcher Stadt, auf welchem Friedhof soll es sein? Soll es überhaupt ein Grab geben? Fällt die Antwort schwer, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass man sich nicht so heimisch fühlt im jetzigen Umfeld, wie man oft denkt. Oder dass Beziehungen und Freundschaften doch nicht so eng sind, als dass man den anderen die Grabpflege zutraut.

Viele Menschen geben in Umfragen an, dass sie die Angebote von Sterbehilfe-Vereinen nutzen wollen, weil sie niemandem zur Last fallen wollen. Warum eigentlich nicht? Vielleicht weil sie selbst kranke Menschen als unzumutbare Last empfinden? Das aber wäre ein beunruhigender Befund. Zum Menschsein gehört dazu, anderen zur Last fallen zu dürfen. Auch dann, wenn man kein Kind ist. Eine Gesellschaft, die das nicht aushält, wäre eine unmenschliche und kalte Veranstaltung.

Die Sorge, anderen zur Last zu fallen, offenbart auch ein tiefes Misstrauen zwischen den Generationen. Vermutlich unterschätzen viele die Liebesfähigkeit ihrer Kinder, Partner und Freunde. Diese würden ihnen vielleicht sehr gerne den letzten Liebesdienst erwiesen und sie beim Sterben begleiten. Viele Angehörige wären verstört, wenn sich die Mutter, der Vater oder die beste Freundin einfach so aus dem Leben schleichen würde. Woher kommt der Mangel an Zutrauen in die Zuneigung und Liebe der anderen? Darüber müsste dringend gesprochen werden.

Das beste Mittel gegen die Einsamkeit im Sterben ist ein pralles Leben

Viele treibt auch die Sorge vor der Einsamkeit im Alter um. Wer öfter in Seniorenheimen zu Besuch ist, dem fällt auf: Das beste Mittel gegen Einsamkeit in der späten Lebensphase sind eigene Kinder. Auch Nichten, Neffen und gute Freunde helfen. Wer möchte, dass später jemand da ist, der den Rollstuhl schiebt, sollte in der Mitte des Lebens nicht um sich selbst kreisen. Der sollte sich auf Beziehungen einlassen, Freundschaften pflegen und sich für Kinder entscheiden, auch auf die Gefahr hin, dass sie Mühe machen und Geld kosten. Beizeiten Verantwortung für andere zu übernehmen, ermöglicht im Alter Freiheit und echte Selbstbestimmung. Denn dann gibt es Alternativen zum einsamen Giftcocktail des Sterbehelfers.

Ein gutes Leben ist die beste Vorsorge für ein gutes Sterben. Dazu gehören Bindungen und Vertrauen. Auch Gelassenheit hebt die Lebensqualität. Vieles im Leben lässt sich nicht planen und vorhersehen. Wer sich beizeiten daran gewöhnt, dem fällt es leichter, damit umzugehen, wenn Lebensentwürfe zerbrechen und Hoffnungen nicht in Erfüllung gehen. Inmitten des Lebens Gelassenheit zu trainieren, auch das könnte eine gute Vorbereitung aufs Sterben sein. Vielleicht sogar eine bessere als der krampfhafte Versuch, für den letzten Tag alles regeln und kontrollieren zu wollen.

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