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Ende einer Karriere. Bezirksamtschef Markus Schreiber bittet seinen Parteifreund, Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), um Entlassung. Scholz wehrt sich nicht.

© dpa

Totes Mädchen in Hamburg: Hamburger Bezirksamtschef bittet um Entlassung

Nach Tod der elfjährigen Chantal bei drogensüchtigen Pflegeeltern übernimmt ein mächtiger Kommunalpolitiker Verantwortung. Alle Hamburger Pflegeeltern müssten zum Drogentest antreten.

Auf tragische Weise endete mit elf Jahren das Leben des Hamburger Mädchens Chantal. Sie starb am 16. Januar in der Wohnung ihrer drogenabhängigen Pflegeeltern an einer Methadon-Vergiftung. Elf Jahre lang ist der Leiter des Bezirksamts Mitte, Markus Schreiber, einer der mächtigsten SPD-Kommunalpolitiker in Hamburg gewesen. Am Freitagnachmittag hat er bei Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), sein Entlassungsgesuch eingereicht. Schreiber hat damit die politische Verantwortung für das tote Kind übernommen.

Scholz sagte: „Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass Kinder in unserer Stadt sterben, vor allem nicht, wenn sich schon staatliche Stellen um sie kümmern.“ Dabei dachte er wohl auch an Michelle aus Bergedorf (2004), Jessica aus Wandsbek (2005) und Lara Mia aus Wilhelmsburg (2009). Vor wenigen Tagen konstatierte der SPD-Spitzenmann, Chantals Tod sei das dramatischste Ereignis in seiner nunmehr knapp einjährigen Amtszeit. Doch in der Bürgerschaftsdebatte am Mittwoch blieb er stumm. Erst einen Tag später kam es zu einem Vier-Augen-Gespräch zwischen ihm und Schreiber.

Der Fall bringt den mit absoluter Mehrheit regierenden SPD-Senat in Bedrängnis. Unter denjenigen, die Schreiber bis zuletzt protegiert hatten, muss der einflussreiche Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs zuerst genannt werden. Zur innerparteilichen Machtbalance in Hamburg gehört, dass der vom konservativen Flügel kommende Kahrs als Kreisvorsitzender im Bezirk Mitte die Oberhand hat. Kahrs ist als Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses im Bezirk Mitte – er ist es seit 18 Jahren – in Sachen Chantal aber selbst unter Druck geraten. Diese ist nämlich kein Einzelfall. Auch der Tod des neun Monate alten Babys Lara Mia wegen Vernachlässigung 2009 geschah im Verantwortungsbereich des Bezirkes Mitte. Damals wie jetzt bei Chantal hieß die Jugendamtsleiterin Pia Wolters. Schreiber wollte sie nach eigenen Worten schon nach dem Säuglingstod von ihren Aufgaben entbinden, fand für die Beamtin jedoch keine adäquate andere Verwendung und beließ sie auf ihrem Posten. Zwei Wochen nach Chantals Tod suspendierte Schreiber sie doch noch.

Trauer um Chantal.
Trauer um Chantal.

© dapd

Im aktuellen Fall besuchte das Jugendamt noch am 4. Januar Chantal in ihrer Pflegefamilie. Eine verwahrloste Unterkunft und die Tatsache, dass das Mädchen nicht einmal ein eigenes Bett hatte, lösten bei den Behördenvertretern keinen Alarm aus. Es gab Hinweise auf eine Gefährdung des Kindes aus der Nachbarschaft und aus der Schule, die zwar in den Akten gesammelt, aus denen aber keine Konsequenzen gezogen wurden. Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt inzwischen wegen des Verdachts der Verletzung der Fürsorgepflicht.

Ende Januar reagierte Sozialsenator Scheele. Er verschärfte die Kriterien für Pflegeeltern. Diese müssen künftig ein polizeiliches Führungszeugnis und ein Gesundheitszeugnis mit Drogentest vorlegen. Bis zum 15. Februar sollen sich alle 1300 Pflegefamilien in Hamburg ebenfalls einem Drogentest unterzogen haben.

Schreiber selbst, dessen Amtszeit 2013 geendet hätte, machte sich zuletzt mit seinem Aktionismus immer weniger Freunde. Sein Versuch, Obdachlose mit einem Zaun zu vertreiben, machte im Vorjahr bundesweit Schlagzeilen. Das Bezirksparlament Mitte, in dem der SPD ein Sitz zur absoluten Mehrheit fehlt, kann nun einen neuen Bezirksamtsleiter wählen. Mit Andy Grote wird bereits ein Sozialdemokrat aus dem Kahrs-Umfeld als Kandidat gehandelt. Scheitert eine Wahl, kommt es zur Ausschreibung der Stelle.

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