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Politik: Traditionalisten in der Minderheit

Unter den Ministerpräsidenten gibt es einige Zweifler, eine Reform der Reform wollen die meisten nicht

Berlin Mit der Entscheidung von Springer und „Spiegel“, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, wächst der Druck auf die entscheidenden Runden in der Politik, sich zu positionieren: die Kultusministerkonferenz (KMK) und die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK). Die MPK wird sich am 8. Oktober damit beschäftigen. Beide Gremien müssen einstimmig entscheiden. Während die KMK bislang keine Neigung zeigt, die Reform zurückzunehmen, ist die MPK gespalten. Die Traditionalisten stellen aber derzeit noch die Minderheit. Christian Wulff (CDU) begrüßte den Schritt der Verlage und will weiter auf eine Rücknahme der Rechtschreibreform dringen. Peter Müller (CDU) sagte dem Tagesspiegel, er sehe sich in seiner Ablehnung der neuen Rechtschreibung bestätigt: „Wenn immer mehr von der Fahne gehen, muss man sich mit dem Thema nochmals beschäftigen.“ Zu den Gegnern der neuen Orthografie zählen auch Bayerns Regierungschef Edmund Stoiber (CSU) und sein Magdeburger Kollege Wolfgang Böhmer (CDU).

Dagegen sind die SPD-Ministerpräsidenten der Meinung, eine Reform der Reform sei nicht mehr möglich. Der Mainzer Regierungschef Kurt Beck (SPD) sieht keinen Handlungsbedarf, da es aus den Schulen keine Klagen gebe und die Änderungen ohnehin nur 0,2 Prozent jedes Textes beträfen. Er könne sich auch nicht erklären, warum es so schlimm sein solle, wenn Delfin mit f geschrieben werde, sich beim Wort Fotograf aber niemand aufrege. Beck nennt die neue Diskussion um die Reform, die 30 Jahre lang vorbereitet worden sei, ein reines Sommerthema.

Der Berliner Senat lehnt eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung ab. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagte, er wolle „keine Reform der Reform“. Seit Jahren würden Schüler die neue Rechtschreibung lernen. Ob Wowereit seine Sonntags-Kolumne im Springer-Blatt „Berliner Morgenpost“ künftig in neuer oder alter Rechtschreibung verfassen wird, ließ sein Sprecher Michael Donnermeyer offen. Bildungssenator Klaus Böger (SPD) meinte: „Die Entscheidung der beiden Verlage ist nicht hilfreich, aber auch nicht weltbewegend.“ Schleswig-Holstein sieht keine Veranlassung, etwas zu ändern. Eine Regierungssprecherin: „Wir machen das Fass nicht mehr auf.“ Auch Harald Ringstorff, SPD-Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, will die Reform nicht zurücknehmen. „An meiner Position hat sich nichts geändert“, sagte er dem Tagesspiegel. Die CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, Dieter Althaus, Ole von Beust, Erwin Teufel und Georg Milbradt halten eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung nicht für praktikabel, auch wenn sie bei Teilen der Reform ihre Zweifel haben.

Bei Sprachwissenschaftlern und in Buchverlagen haben jene Politiker Rückendeckung, die nicht zur alten Rechtschreibung zurück wollen. Die Sprecherin des Cornelsen-Verlags in Berlin, Irina Pächnatz, sagt: „Diese Umstellung ist absurd. Es gibt sechs Millionen Schüler, die keine andere Rechtschreibung kennen. Eine Umstellung führte zu Chaos und einer viel höheren Fehlerquelle.“ Rino Mikulic vom Verband Deutscher Schulbuchverlage sagt: „Eine Umstellung der Bücher wäre eine Katastrophe.“ Der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, Ludwig Eichinger, greift Springer und „Spiegel“ an: „Sie schaffen eine Diskrepanz zwischen dem, was in den Schulen gelehrt wird, und dem, was in einem Teil der Medien praktiziert wird.“ Positiv sieht den Streit dagegen Dieter Betz, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache. „Gut, dass die Debatte um unsere Sprache jetzt wieder in Fluss kommt“, sagt er. Tsp

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