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Politik: Transnationale Kriminalität: Geheimgespräche mit der Mafia

Pino Arlacchi, Generaldirektor des UN-Büros zum Kampf gegen Drogenhandel und Kriminalität, hatte es bereits vor zwei Monaten beim Weltgipfel über die "transnationale Kriminalität" angedeutet: Ein Großteil der italienischen Mafia stehe offenbar vor der Kapitulation. Der weltweit anerkannte Mafia-Experte hatte mächtige Prügel für seine Bemerkung einstecken müssen: Alles rein aus der Luft gegriffen, hatten Italiens Ermittler getönt, und Arlacchi muss seither um seine Bestätigung im UN-Amt fürchten.

Pino Arlacchi, Generaldirektor des UN-Büros zum Kampf gegen Drogenhandel und Kriminalität, hatte es bereits vor zwei Monaten beim Weltgipfel über die "transnationale Kriminalität" angedeutet: Ein Großteil der italienischen Mafia stehe offenbar vor der Kapitulation. Der weltweit anerkannte Mafia-Experte hatte mächtige Prügel für seine Bemerkung einstecken müssen: Alles rein aus der Luft gegriffen, hatten Italiens Ermittler getönt, und Arlacchi muss seither um seine Bestätigung im UN-Amt fürchten.

Doch nun kommen ihm unverhofft Indiskretionen und Eingeständnisse der Nationalen Antimafia-Behörden Italiens zu Hilfe: Danach verhandeln, wie "La Repubblica" ausführlich belegt, die Spitzen der italienischen Ermittlungsbehörden seit Monaten höchst geheim mit Emissären der weiland berüchtigsten Bosse über ein "öffentliches Eingeständnis der Niederlage" und dazu die Zusicherung künftiger Enthaltung von Straftaten. So soll der vormalige Boss aller Bosse, Toto Riina - seit 1993 im Gefängnis und zu mehrmals lebenslänglich verurteilt - seinen Kumpan Salvatore Biondino zum Chef der nationalen Antimafia-Prokura DIA, Pier Luigi Vigna, geschickt haben: Er möge erkunden, welche "Gegenleistungen" man im Falle eines Abschwörens erhalten könne. Vigna hat daraufhin das Innenministerium, die Staatsanwaltschaften Siziliens sowie die Leitung der Gefängnisverwaltungen in die Verhandlungen eingeweiht - jene Behörden, deren Leiter sich beim Weltgipfel vehement gegen Arlacchis These vom Niedergang der Mafia gewandt hatten.

Die seit Jahren in Haft befindlichen Mafiosi haben offenbar erkannt: Ihre Anfang der 90er Jahre angewandte "Strategie der Spannung" mit der Ermordung der Mafia-Jäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino sowie Anschlägen gegen touristische Attraktionen haben den Staat nicht in die Knie gezwungen und Hafterleichterungen gebracht, sondern eine scharfe Reaktion von Öffentlichkeit und Politik provoziert. In der Aktion "sizilianische Vesper" waren mehr als 7000 Soldaten nach Sizilien geschickt worden, um die dortigen Carabinieri und Polizisten zu entlasten. Greifkommandos durchkämmten die Mafiabezirke auf der Suche nach den untergetauchten Bossen. Nach einem Jahr saßen fast alle großen "Capi" hinter Gittern. Die Schuldigen der Mordkommandos sind inzwischen allesamt zu lebenslang verurteilt.

So schob sich nach Polizeiangaben draußen in der Freiheit der Hauptkonkurrent des Toto Riina, der seit bald dreißig Jahren untergetauchte Bernhardo Provenzano in den Vordergrund. Nach Aussagen von Aussteigern hat er das vormals von Riina beherrschte Mafia-Leitorgan "Kuppel" durch ein kollegiales "Direktorium" ersetzt, das den offenen Terror beendete und sich darauf konzentrierte, die noch nicht beschlagnahmten Güter und Kapitalien mit Hilfe global agierender Finanzexperten in Sicherheit zu bringen.

Nach Ermittlermeinung könnte dies mittlerweile abgeschlossen sein, sodass ein formales Eingeständnis der "Niederlage" die Reichtümer der "Ehrenwerten Gesellschaft" nicht allzu sehr mindern würde: So versucht man nun, den Kumpanen im Gefängnis ein angenehmeres Leben, möglichst mit der Perspektive einer Freilassung in nicht allzu ferner Zeit, zu verschaffen - mit dem Ziel, der "Ehrenwerten Gesellschaft" am Ende das Überleben zu ermöglichen.

Für die Strafverfolger und die Politik ergibt sich dabei ein Problem: Darf der Staat mit rechtskräftig verurteilten Gewaltverbrechern verhandeln? Das einzige Motiv, das im Innenministerium und bei der DIA vorgebracht wird, besteht in der Hoffnung, dass man so vielleicht des letzten "großen Capo" Provenzano habhaft würde. Schon mehrmals hatten Fahnder behauptet, die Schlinge um ihn ziehe sich zusammen - doch dann erwischten sie immer nur mindere Kaliber, vom Boss keine Spur. So manchen Ermittler beschleicht schon die böse Ahnung, der Mann sei schon seit Jahren tot - doch sein Name werde lanciert, um von den Geschäften der "Ehrenwerten Gesellschaft" abzulenken. In dem Fall hätte die Mafia bei erfolgreichem Abschluss der "Kapitulations"-Verhandlungen ihre Vorteile - und der Staat die Blamage über die Jagd auf einen Toten.

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