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Die etwas andere Partei: Niedersächsische Piraten auf ihrem Parteitag in Wolfenbüttel am Wochenende. Ob die Piraten die Politik verändern oder eher der Politikbetrieb die Piraten, ist bisher noch offen. Foto: dapd

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Transparenz-Probleme: Piraten suchen nach dem Durchblick

Abstimmungspannen, Tabu-Zonen für Kameras und Sitzungen hinter verschlossener Tür – all das rückte die Transparenz fordernde Partei ins schlechte Licht.

Von Sabine Beikler

Den Spruch „Klarmachen zum Ändern“ auf orangefarbiger Banderole konnten sich die 270 Piraten-Mitglieder 26 Stunden lang zu Gemüte führen. Viel geändert hat sich für die niedersächsischen Piraten auf ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende in Wolfenbüttel allerdings nicht. Selbst im zweiten Anlauf ist es ihnen nicht geglückt, einen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Januar zu küren. Abstimmungspannen brachten den Zeitplan durcheinander. Auch die markierte „private zone“ für öffentlichkeitsscheue Piraten – eine Tabu-Zone für Kameras und Fotografen – rückte die Transparenz fordernde Partei ins schlechte Licht.

Der Landesvorsitzende Andreas Neugebauer bemüht sich um Schadenbegrenzung. „Leider Gottes“ habe es Fehler bei der Akkreditierung von Mitgliedern gegeben, so dass bei einer Wahl auch zwei Minderjährige teilgenommen hatten. Die erste Abstimmung musste für ungültig erklärt werden. Aber solche Fehler müssten die Piraten einkalkulieren. „Bei uns kann eben jeder kommen. Das ist Basisdemokratie“, sagt der 46-jährige Informatiker aus Delmenhorst. Die Alternative dazu wäre das Delegiertenprinzip, das die Partei jedoch nicht wolle. Und die Sache mit der Pressefreiheit, die nur in der „mixed zone“ uneingeschränkt, in der „private zone“ eingeschränkt gegolten hat, erklärt Neugebauer damit, dass nicht jeder Pirat eine Person des öffentlichen Interesses sei. Es gebe Mitglieder, Systemadministratoren, die an dem Wochenende Bereitschaft hatten und sich „eben mal“ einloggen mussten – ohne laufende Kameras.

Die Piraten im Bild:

Diese Erklärung lässt der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer nicht gelten. „Parteien sind öffentliche Institutionen, keine Privatveranstaltungen“, sagt er. Dass die journalistische Arbeit eingeschränkt wird, sei absolut nicht zu rechtfertigen. „Lehrgeld“ hätten die Piraten in Niedersachsen gezahlt, sagt Politologe Christoph Bieber von der Universität Duisburg-Essen. Dass durch ihr niedrigschwelliges Angebot an der Beteiligung durch die Basis auch unter 18-Jährige mitwählen wollten, sei doch eher zu begrüßen. „Auf Parteitagen anderer Parteien gibt es kaum Leute unter 18.“

Die Piraten sitzen inzwischen in vier Landesparlamenten – in Berlin, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und im Saarland. Mit einem Ergebnis von 8,9 Prozent zogen erstmals 15 Piraten im September 2011 ins Berliner Abgeordnetenhaus. Sie stoßen im parlamentarischen Leben an ihre Grenzen, wenn es zum Beispiel um Transparenz geht. Zum Ärger der Parteibasis tagte die Fraktion vor kurzem hinter verschlossenen Türen. Das Auswechseln von Fachsprechern nannten einige Fraktionäre ein „abgekartetes Spiel“.

Die Piraten: von "Spaßpartei" zu einer politisch ernst zu nehmenden Partei?

In den vergangenen Monaten waren immer wieder Mobbing-Vorwürfe, aber auch rassistische oder sexistische Ausfälle in Blogs zu lesen. Zwei Landeschefs haben die Berliner Piraten in diesem Jahr schon verschlissen. Im September soll ein neuer Vorsitzender gewählt werden, und im August will die Fraktion mit dem Landesverband eine Strategiekonferenz veranstalten, um künftig inhaltlich besser zu arbeiten. Und das geht nicht ohne „Liquid Feedback“, ohne den Austausch mit der Basis, wie Martin Delius betont. Der 28-jährige Softwareentwickler war bis vor kurzem parlamentarischer Geschäftsführer der Piratenfraktion und ist designierter Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zum BER-Flughafen. Zwar würde er sich wünschen, dass sich die Partei auch mit tagesaktuellen Themen beschäftigt. „Aber wir sind noch keine fertige Partei, sondern leisten Aufbauarbeit auch inhaltlicher Art.“ Als Mandatsträger müsse er Mittel und Wege finden, seine Arbeitsweise mit dem Anspruch auf Transparenz und Partizipation zusammenzubringen. Als künftiger Ausschussvorsitzender plant Delius eine Internet-Plattform, auf der nicht unter Verschluss gehaltene Dokumente veröffentlicht werden oder erklärt wird, warum bestimmte Unterlagen nicht öffentlich zugänglich sind.

Die Pannen der Piraten:

Werden die Piraten den Sprung von der „Spaßpartei“ zu einer politisch ernst zu nehmenden Partei schaffen? „Das ist momentan offen“, sagt Niedermayer. „Die Piraten müssen eine Reihe von Problemen in den nächsten Monaten in den Griff kriegen.“ Sogenannte „Anfängerfehler“ werde man ihnen auch in den anderen Landesparlamenten nicht mehr lange verzeihen. „Professionalisierungseffekte“ sieht dagegen Christoph Bieber in der Partei, die es erst seit drei Jahren in Deutschland gibt. Die Piraten würden sich organisatorisch weiterentwickeln, Inhalte wie Wahlprogramme erarbeiten und über die Definition von Transparenz diskutieren.

Ist Transparenz nur etwas für die "technologische Elite"?

Die Piraten selbst spüren diese Diskrepanz zwischen ihrem Selbstverständnis und den Regeln der parlamentarischen Demokratie und der Mediengesellschaft. Sie wollen „anders“ sein, müssen sich aber so weit als nötig anpassen. „Trotzdem hinterfragen wir parlamentarische Regeln nach Sinnhaftigkeit und ob Abläufe transparenter gemacht werden können“, sagt Delius. „Und solange wir uns bemühen, Transparenz und Bürgerbeteiligung umzusetzen, machen wir die Dinge anders und werden so auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen.“ Das Außenbild der Piraten, anders zu sein, werde sich zugunsten einer schärferen inhaltlichen Profilbildung verschieben, sagt Delius. Aber reicht das? Politikwissenschaftler Niedermayer bezeichnet die Gratwanderung zwischen dem Politikbetrieb und dem Versprechen von Partizipation und Transparenz für die Piraten als „sehr gefährlich“. Denn nur ein geringer Teil der Mitglieder, etwa zehn Prozent, nimmt in Berlin an der parteiinternen Beteiligung zur Entscheidungsfindung „Liquid Democracy“ teil. Und nach wie vor fehlt die Definition von Transparenz: Was soll ins Netz gestellt werden? Wie erreicht man diejenigen, die nicht netzkompatibel sind? Oder ist Transparenz nur etwas für die „technologische Elite“?

Gesellschaftspolitisch lavieren die Piraten auf der progressiv-libertären Seite, wirtschafts- und sozialpolitisch knapp links von der Mitte. Die „digital natives“, Nerds, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind, bilden mit maximal zwei Prozent eine verschwindend geringe Wählerschaft. Die meisten Anhänger der Piraten sind „Protestwähler“. Die Partei wird gewählt, weil sie anders ist und Partizipation und Transparenz verspricht. Um langfristig Erfolg zu haben, müssen die Piraten ihr Anderssein aufrechterhalten, aber auch die Regeln des parlamentarischen Betriebs akzeptieren, um in der Politik „mitspielen“ zu können. „Wenn sie das nicht schaffen, werden sie schnell entzaubert“, sagt Niedermayer.

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