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Trauriges Jubiläum: Ein Jahr Schwarz-Gelb - Ein Tiger, der zur Ente wurde

Das einjährige Jubiläum von Schwarz-Gelb taugt nicht zum Feiern. Noch nie hat ein Regierungsbündnis in so kurzer Zeit so viel Kredit verspielt. Die Geschichte eines Absturzes.

Von Robert Birnbaum

Na ja, sagt einer, der in jenen Tagen fast überall dabei war, „na ja, wir hätten damals länger verhandeln sollen“. Er schaut nachdenklich zum Fenster raus in das Nirgendwo im verhangenen Himmel da oben. „Damals“, das klingt so weit weg. Dabei ist es erst ein Jahr her, als sie in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in der Berliner Hiroshimastraße zusammensaßen bei neckisch schwarz-gelben Speisefolgen. Einmal gab es Stampfkartoffeln mit Balsamicoessigrand, nur als Beispiel. Immer gab es Tigerentenschokolade in offenen Schalen an den Stehtischen im Foyer, an denen sich die Zeit vertrieb, wer gerade nichts zu verhandeln hatte. Tiger wollten sie sein. „Wir stellen den Mut zur Zukunft der Verzagtheit entgegen“, heißt der erste Satz der Koalitionsvereinbarung, unter die Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer am 26. Oktober 2009 ihre Unterschriften setzten. Heraus kam eine Ente – allzu vieles gar nicht wahr.

Dass es damals zu schnell ging und zu wenig gründlich, ist inzwischen im CDU-Teil des Regierungsbündnisses so etwas wie das Standard-Eingeständnis eigener Versäumnisse. Selbst die Chefin hat vor einiger Zeit intern durchblicken lassen, dass es wohl besser gewesen wäre, sich in den zentralen Fragen noch ein, zwei, drei Wochen länger intern zu streiten als hinterher quälende Monate lang in aller Öffentlichkeit. „Wir sind dem Grundkonflikt zwischen Sparen und Steuersenken ausgewichen“, fasst einer aus Merkels näherem Umfeld zusammen. Das stimmt. Aber es ist als Analyse der Ursachen für die rasante Selbstzerstörung eines Wunschbündnisses etwas zu einfach, zu tröstlich, zu billig. Vielleicht ist es sogar gefährlich. Billige Analysen können teuer zu stehen kommen: Sie bereiten dem nächsten Irrtum den Boden.

Guido Westerwelle hat diese Erfahrung schon hinter sich. In der Nacht auf einen Samstag um genau 2 Uhr 08 Uhr haben Merkel, Seehofer und er in der Hiroshimastraße ins neue Bündnis eingeschlagen. Knapp 36 Stunden später zielen Scheinwerfer von der Decke des stillgelegten Hangar Zwei in Tempelhof auf den Mann am Rednerpult. Das Bild liegt allzu nahe, andererseits: Der FDP-Chef schwebt wirklich. „Wir haben unsere 20 Kernforderungen alle durchgesetzt!“ Der Sonderparteitag tobt. „Alle!“, wiederholt Westerwelle. Es ist die erste Analyse, die zu kurz greift – 130 Seiten Koalitionsvertrag sind geduldiges Papier, mehr nicht. Die zweite folgt sofort: „Wir sind eine Partei fürs ganze Volk!“ Aber die 16-Prozent-FDP war bloß die Partei für die Frustrierten; politischer Treibsand, den der nächste Wind wieder davonträgt.

Wie es danach mit dem FDP-Vorsitzenden weiterging – vom zähen Abschied von der großen Steuerreform über die „römische Dekadenz“ bis zu einem, der auszog, bescheiden auf Außenminister zu lernen –, das alles ist sattsam bekannt. Angelegt war der Abstieg schon in den ersten wilden Tagen. Westerwelle hat ja wirklich geglaubt, dass er es geschafft hat. Alles. Das Projekt 18 irgendwie doch noch verwirklicht, dazu das bürgerliche Bündnis erreicht, das Vizekanzleramt und das beliebteste Ministerium als Dreingabe. Zwei Wochen lang hat selbst Hans-Dietrich Genscher versucht, den Herrn Minister zu sprechen, vergebens. Westerwelle wandelte auf Wolken.

Runtergeholt hat ihn nicht zuletzt Merkel. Die Kanzlerin hat keine Sekunde lang daran gedacht, den Bundeshaushalt und ihr Profil als schwäbische Hausfrau einem Kurs zu opfern, den sie als finanzpolitisches Abenteuerspiel betrachtete. Merkel hat dabei auch einkalkuliert, dass es sie selbst etwas kosten würde, dem störrischen neuen Partner Realitätssinn beizubringen. Sie hat den Streit und den Verfall des Ansehens ihrer Koalition in Kauf genommen als womöglich einziges Mittel, Ernüchterung zu erzwingen.

Aber auch ihre Rechnung ging nicht auf. Der Ruf verfiel schneller und gründlicher als erwartet. Und ein Zweites kam dazu. Das Problem der neuen Koalition war nicht allein diese Westerwelle-FDP, die Regieren mit Weihnachten verwechselte – endlich werden alle Wunschzettel wahr. Es war auch nicht allein die Seehofer-CSU und deren Theorie, dass der sicherste Weg zurück zur absoluten Mehrheit in Bayern darin bestehe, dem Koalitionspartner FDP in München wie in Berlin politisch die Luft abzudrücken. Nicht bloß die Kleinen also waren nicht regierungsfähig. Die Moderatorin der großen Koalition war es auf ihre Weise ebenfalls nicht. Auch Angela Merkel hat ein Jahr gebraucht und einen Urlaub mit langen Wanderungen in der klaren Luft der Dolomiten, bis sie verstanden hat: Sie kann nicht einfach Kanzlerin fürs ganze Volk bleiben, wenn ihre Regierung höchstens dessen eine Hälfte hinter sich hat. Schon gar nicht, seit die Hälfte auf ein Drittel geschrumpft ist.

Gefeiert wird übrigens nicht. „Wir sind keine Party-, wir sind eine Arbeitskoalition“, sagt ein Regierungsmann – was man halt so daherredet, wenn man nicht direkt zugeben will, dass das Jubiläum zu Jubel nicht taugt. Es taugt ja nicht einmal für einen dieser Neustarts, die Regierungen in Schwierigkeiten gerne inszenieren. Ein Jahr danach ist die Tigerenten-Koalition wieder im Schwebezustand, diesmal nicht aus Euphorie, sondern aus Ungewissheit. Die Koalitionäre können sich ihrer Wähler schon lange nicht mehr sicher sein. Die Umfragewerte fallen, egal, was die da oben tun. Ob der Bürgeraufruhr gegen Stuttgart 21 ein heftiges lokales Beben bleibt oder eine neue Protestkultur auslöst – wer traut sich eine Prognose zu? Selbst die altbewährten Seismometer in die eigenen Parteien funktionieren nicht mehr genau. Bei der Union haben alle Führenden eine heftige Debatte über die Abschaffung der Wehrpflicht erwartet. Passiert ist – nichts.

In der Schwebe, mindestens da hängt auch das Schicksal der drei an der Spitze. Auf Westerwelle gibt bei der FDP niemand mehr einen Pfifferling. Wenn sich die Stimmung nicht wundersamerweise ändert, fliegt seine FDP bei den nächsten Wahlen womöglich aus den Landesparlamenten in Stuttgart und Mainz. An Seehofers Zukunft glaubt in der CSU auch kaum noch einer. Merkel hat einen „Herbst der Entscheidungen“ ausgerufen. Aber die Wähler in Baden-Württemberg werden darüber entscheiden, ob der neue forsche Ton der CDU-Vorsitzenden mehr bleibt als eine Episode auf dem Weg nach unten. „Wir wollen unserem Land eine neue Richtung geben“, lautet der zweite Satz des Koalitionsvertrags. Unter ein aktuelles Gruppenbild der Unterzeichner geschrieben, erschiene er als böswillige Satire. Dass es dem Land wirtschaftlich geradezu gespenstisch gut geht nach der Krise – verschenkt.

Immerhin, Merkel ist die Einzige aus dem Trio der Wahlsieger von 2009, deren Tage ein Jahr später noch nicht unbedingt gezählt scheinen. Zwar bekommt bei CDU und CSU mancher glänzende Augen bei dem Gedanken, dass ein frischer Unionsmann mit Messias-Faktor wie der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die Chefin aus dem Kanzleramt verdrängen könnte. Aber der Glanz weicht schnell wieder einem nüchternen Blick bei der Frage, wer denn den Sturz bewerkstelligen soll, und wo und wie. Die meisten Putschgedanken werden nie in Taten umgesetzt, schlicht aus Mangel an Gelegenheit.

Denn Merkel wird sich im November vom CDU-Parteitag als Vorsitzende bestätigen lassen; daran kann für die nächsten zwei Jahre dann niemand rütteln außer ihr selbst. An den Schaltstellen des Partei- und Regierungsapparats sitzen ihre Parteigänger. Dass die Unionsfraktion in einem Anfall von Verzweiflung drei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl einen glatten Königinnenmord begeht – da sei schon Volker Kauder vor. Die Konkurrenten von einst schließlich sind Bundespräsident oder Privatier, und in den Ländern muss eine junge Garde erst einmal Kräfte sammeln.

„Wahrscheinlich überlebt sie’s sogar, wenn die CDU in Stuttgart die Regierung verliert“, sagt selbst einer von denen in der Union, die Merkel nicht sonderlich mögen. Er wirkt wenig froh bei dem Gedanken. Keine Frage, das Meteoriten-Szenario – die Landtagswahlen in einem halben Jahr schlagen ein wie ein aus der Bahn geratener Himmelskörper, und die Dinosaurier sterben auf einen Schlag aus – übt nach dem Jahre eins der so unbürgerlichen Koalition eine gewisse Anziehungskraft aus.

Vielleicht auch deshalb, weil sich niemand richtig vorstellen kann, wie es weitergehen soll. Sicher, es gibt auch so etwas wie das Phoenix-Szenario, die Wiedergeburt des Bürgerbündnisses aus der Asche mit neuen, frischen Vorleuten bei der FDP und der CSU. Aber die Idee beflügelt keine Fantasien, weil sie viel zu weit in einer ungewissen Zukunft liegt.

Und der „Herbst der Entscheidungen“ ist in Wahrheit eine graue Zwischenzeit. Die von oben versuchen Ruhe zu halten – hoffend, dass das Chaos der ersten Monate ein wenig in Vergessenheit gerät. So richtig will ihnen das indessen nicht gelingen. Erst vor zwei Tagen attackierte der Vizekanzler die Kanzlerin wegen ihres Kompromisses beim Euro-Stabilitätspakt. Und schon wieder lebten die Erinnerungen an die Selbstzerfleischung der frühen Koalitionszeit wieder auf.

Über allem aber hängt als zähe Drohung der 27. März, dieser Wahlsonntag im Südwesten. Erst danach geht es weiter, so oder so. Erst dann ist wenigstens die emotionale Richtung klar: steil bergab weiter auf einen Abgrund zu oder zerschrammt, aber aufatmend noch mal davongekommen.

Vielleicht blättert danach irgendwann noch mal einer durch die 130 Seiten. Er wird dann feststellen, dass die großen Dinge entweder still beerdigt sind oder mal mehr, mal weniger umgesetzt – Atom, Gesundheit, Bundeswehr, Haushalt, das geht alles seinen parlamentarischen Gang. Was da sonst noch zu lesen steht, ist Regierungsalltägliches. Es fängt ja schon an damit. Das Kabinett hat vorige Woche beschlossen, dass homosexuelle Beamte in Zukunft genauso behandelt werden sollen wie ihre Hetero-Kollegen und dass Demonstranten, die mit Flaschen auf Polizisten werfen, drei statt zwei Jahre hinter Gitter müssen. Der Regierungssprecher hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „das alles bereits im Koalitionsvertrag steht“.

Einer wie Merkel gefällt die Aussicht auf ruhigere Tage vermutlich sogar; sie ist ja lange nicht schlecht gefahren als Kanzlerin des Unaufgeregten. Aber genau da lauert der Irrtum in der allzu einfachen Analyse dessen, was damals vor einem Jahr falsch gelaufen ist. Die Tigerenten-Koalition ist gewählt worden von Leuten, die sich davon mehr versprochen haben als von der großen Koalition. Mehr Zank und Selbstlähmung hatten sie nicht gemeint. Aber kein Zank mehr ist als Mehr auf Dauer auch zu wenig.

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