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Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen (Bündnis 90/Die Grünen)

© Fabian Sommer/dpa

Update

„Trete nicht aus meiner Partei aus“: Boris Palmer wehrt sich gegen Forderung, die Grünen zu verlassen

Eine erste große Initiative war von Berlin ausgegangen: Nun haben die Südwest-Grünen den Tübinger Oberbürgermeister Palmer zum Parteiaustritt aufgefordert.

Der Grünen-Landesvorstand teilte am Freitag in Stuttgart mit, man behalte sich über die Aufforderung zum Parteiaustritt auch ein Parteiordnungsverfahren vor. Palmer hatte die Grünen wiederholt mit provokativen Äußerungen gereizt. Zuletzt hatte er mit Äußerungen zum Umgang mit Corona-Patienten für Empörung gesorgt.

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Er hatte in einem Interview gesagt: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Grünen-Mitglieder machten sich daraufhin für einen Parteiausschluss stark. Palmer rechtfertigte seine Aussage mit der Sorge um armutsbedrohte Kinder vor allem in Entwicklungsländern, deren Leben durch die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns bedroht sei.

Palmer will der erneuten Kontroverse und der Kritik an ihm Mitglied bei den Grünen bleiben. „Ich bin aus ökologischer Überzeugung Grüner. Deswegen bleibe ich Mitglied“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur, nachdem der baden-württembergische Grünen-Vorstand ihn aufgefordert hatte, die Partei zu verlassen. „Die Aufforderung zum Austritt beruht ausschließlich auf falschen Unterstellungen und enthält keine Argumente“, meinte Palmer.

Gegenüber der "Bild"-Zeitung sagte er: "Selbstverständlich trete ich nicht aus meiner Partei aus". Und weiter: "Da die Vorwürfe gegen mich von meinen Gegnern erfunden beziehungsweise konstruiert worden sind, gibt es überhaupt keinen Grund, darüber nachzudenken."

Viele Grüne halten Palmer für „unbelehrbar“

Eine erste große Initiative für einen Parteiausschluss Palmers war am vergangenen Samstag von Berlin ausgegangen. Auf Anregung des früheren Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu hatten mehr als hundert Parteimitglieder einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie den Landesvorstand in Stuttgart und Palmers Kreisverband Tübingen aufforderten, ein Ordnungs- oder Ausschlussverfahren einzuleiten.

Seine Äußerungen zeigten, dass die Grünen „längst nicht mehr seine politische Heimat“ seien. Palmer sei „unbelehrbar“.

„Boris Palmer agiert systematisch gegen unsere Partei, indem er sich mit seinen Äußerungen gegen politische Werte und politische Grundsätze unserer Partei stellt“, teilte jetzt die Südwest-Grünen mit.

„Dieses Auftreten dient nicht der politischen oder innerparteilichen Debatte, sondern der persönlichen Profilierung.“ Palmer schade den Grünen. „Der Landesvorstand erwartet, dass Boris Palmer unsere Partei verlässt.“ Der Beschluss sei einstimmig gefasst worden.

Keine Unterstützung der Partei für erneute OB-Kandidatur

Sollte Palmer im Jahr 2022 in Tübingen zur Wiederwahl antreten, darf er auf keine Hilfe seiner Partei mehr hoffen. Palmer ist seit 2007 Oberbürgermeister von Tübingen. Er hatte einst den Status eines Hoffnungsträgers, wurde gar als möglicher Nachfolger von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gehandelt. Inzwischen ist er in der Partei unter anderem auch wegen Äußerungen zur Flüchtlingspolitik ziemlich isoliert.

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In einer schriftlichen Erklärung an den Landesvorstand versuchte Palmer noch, sich zu verteidigen. Das Papier liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Darin schrieb Palmer, er bedauere die Formulierung des infrage stehenden Satzes. „Dass mein Satz ohne seinen Kontext und durch seine scharfe Formulierung Anlass zum Missverständnis gegeben hat, bedaure ich.“

Er habe nicht davon gesprochen, alte und kranke Menschen aufzugeben. Im Gegenteil: „Ich erwarte selbstverständlich, dass jeder Mensch die bestmögliche medizinische Versorgung erhält.“

Er habe lediglich dafür plädiert, den Schutz alter und kranker Menschen so zu gestalten, dass ungewollte Nebenwirkungen vermieden oder verringert würden, erklärte er. „Zu diesen Nebenwirkungen zählen die schweren ökonomischen Schäden bei uns, vor allem aber die dadurch entstehenden verheerenden Auswirkungen unseres undifferenzierten Shutdown auf die Menschen in den ärmeren Ländern der Welt.“

Palmer betonte, er habe nicht gegen grüne Werte verstoßen und stehe mit seinen Äußerungen „voll und ganz“ auf dem Boden des Grundsatzprogrammes der Partei. „Ein Vorsatz zur Schädigung der Partei ist daher vollkommen auszuschließen.“

In dem Interview mit "Sat 1", das die Debatte ausgelöst hatte, hatte Palmer auf die Frage des Interviewers, wie er die Aussage von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble deute, dass nicht alles dem Schutz des Lebens unterzuordnen sei, geantwortet:

„Ich glaube, dass es ihm darum geht, dass wir tatsächlich alle irgendwann sterben und auch das Grundgesetz das nicht verhindern kann. Und wenn Sie die Todeszahlen anschauen durch Corona, dann ist es bei vielen so, dass vor allem Menschen über 80 insbesondere sterben und wir wissen, über 80 sterben die meisten irgendwann. Also ist Corona jetzt nicht eine Krankheit wie Ebola, die 20-Jährige mitten aus dem Leben reißt, sondern tödlich ist Corona fast ausschließlich für hochaltrige Menschen. Und in soweit müssen wir abwägen, ich sag es ihnen mal ganz brutal, wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären, auf Grund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen, aber die weltweiten Zerstörungen der Weltwirtschaft sorgen nach Einschätzung der Uno dafür, dass der daraus entstehende Armutsschock dieses Jahr eine Million Kinder zusätzlich das Leben kostet. Da sieht man: Es ist ein Medikament mit Nebenwirkungen, wir müssen es richtig dosieren.“ (TSP/dpa)

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