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Politik: Trotzige Glatzen

Eine Nazi-Bande hat jahrelang in Ostsachsen gewütet. Die meisten Angeklagten zeigen kaum Schuldbewusstsein

Von Frank Jansen, Dresden

Die Stimme des Oberstaatsanwalts wird immer leiser. Eine Stunde braucht Jürgen Schär, um vor dem Landgericht Dresden alle Punkte der Anklage im Prozess gegen die sieben einstigen Anführer der verbotenen Neonazi-Organisation „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS) vorzutragen. Als da wären: Bildung einer kriminellen Vereinigung, gefährliche Körperverletzung, schwerer und besonders schwerer Landfriedensbruch, Volksverhetzung, Nötigung, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Von den Angeklagten und aus dem Publikum ist kein Geräusch zu hören.

Schärs Auftritt am Mittwoch markiert den eigentlichen Beginn des Verfahrens gegen eine der gefährlichsten rechtsextremen Gruppen in der Geschichte der Bundesrepublik. Dominierte beim ersten Termin am Montag noch der Disput zwischen Verteidigern und Staatsschutzkammer über die Schöffen, setzt der Vorsitzende Richter Tom Maciejewski das Verlesen der Anklageschrift durch. Auch die Frage, welche Rolle V-Männer des Verfassungsschutzes bei den SSS gespielt haben, wird am Mittwoch nur kurz gestreift. Dann ist die Wucht der Vorwürfe gegen die „Skinheads Sächsische Schweiz“ zu spüren. Schär präsentiert in der Anklageschrift eine sich elitär gebärdende Truppe, die jahrelang in Ostsachsen wütete. Einige Beispiele: Laut Staatsanwaltschaft überfielen die Angeklagten Thomas S., Daniel B., Thomas R., Martin D. und etwa 18 weitere Neonazis am Abend des 10. Juli 1998 eine Gruppe junger Linker, die auf den Pirnaer Elbwiesen grillte. Die maskierten Angreifer traktierten mit ihren Fäusten, Schlagstöcken und Stahlkappenschuhen die Linken. Am 30. Mai 1999 drangen Daniel B., Mario W., Thomas R. und Martin D. gemeinsam mit mindestens elf Kumpanen in einen Konzertraum ein. Daniel B. brüllte „Jetzt geht’s los“, dann schlugen die Rechtsextremisten, wie der Oberstaatsanwalt vorträgt, „mit den von ihnen mitgeführten Knüppeln und im Raum befindlichen Fackelstäben wahllos auf die nach Konzertende im Raum verbliebenen Personen ein“. Die meisten Angeklagten scheint kaum Schuldbewusstsein zu plagen. Thomas S. (28) und Rico D. (30) grinsen, der bullige Glatzkopf Daniel B. (24) verschränkt die Arme und blickt trotzig. Andre V. (28), ein kräftiger Kurzhaartyp mit Brille, kommentiert das Piepen beim Passieren der Sicherheitsschleuse vor dem Gerichtssaal mit einem lässigen Kopfnicken nach unten: „Stahlkappenschuhe“. Thomas R. (23) erscheint wie die Karikatur eines Chefideologen: das weiße Hemd bis zum Hals hin zugeknöpft, strenger Blick durch die Rundbrillengläser, schmale Lippen, exakter Topfhaarschnitt. Unauffällig wirken hingegen Mario W. (24) und Martin D. (24). Martin D. ist der Einzige, der sich nach Verlesen der Anklage kurz äußert und gesteht: „Es trifft alles zu.“ Kommenden Mittwoch, wenn der Prozess weitergeht, packt er möglicherweise aus.

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