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Donald Trump und, glaubt man ihm, der "große Nato-Bösewicht" Angela Merkel.

© Kevin Lamarque/REUTERS

Trump in Brüssel: Von Moral reden, Deals meinen

Mit historischer Ahnungslosigkeit und aggressiven Sprüchen zerstört Trump die Hoffnung auf einen produktiven Nato-Gipfel. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Donald Trumps Auftreten bei der Nato-Tagung in Brüssel war genauso aggressiv und ätzend, wie vor allem die Deutschen es befürchtet hatten. Der amerikanische Präsident schoss sich, um im zu einem Militärbündnis passenden Bild zu bleiben, auf die Bundesrepublik als angeblich großen Bösewicht der Nato ein: Sie stehe nicht zu ihren finanziellen Verpflichtungen und mache auch noch ökonomische Deals mit dem Hauptgegner Russland, stärke ihn also, statt ihn zu schwächen.

Das Bild vergröbert die Wirklichkeit und spiegelt die historische Ahnungslosigkeit Trumps wieder. Vermutlich hat er von der mehr als 50 Jahre währenden Tradition deutsch-sowjetisch-russischer Erdgas-Röhrengeschäfte keine Ahnung. Die reicht bis in das Jahr 1962 zurück, als die USA erstmals ein solches Abkommen unterbanden. Vordergründig ging es damals um eine Reaktion auf die Kubapolitik der UdSSR. Tatsächlich wollte der bevorzugte US-Verbündete Großbritannien die Stahlröhren gerne selbst liefern. Und zwischen der ehemaligen UdSSR und der Ex-DDR gibt es seit 1962 eine bis heute funktionierende Ölpipeline von ursprünglich einmal über 5000 Kilometer Länge. Sie endet in Schwedt.

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Aber an dem Bild ist eben auch viel Wahres, das die deutsche Seite verdrängt. Nicht nur Trump, auch europäische Staaten kritisieren den Bau der direkten Erdgasleitung Nordstream 2, deren von Russland aus durch die Ostsee an die deutsche Küste führende Röhren 2019 in Betrieb gehen. Anders als ältere Energieleitungen führen sie nicht mehr durch Drittstaaten, sondern verbessern noch Deutschlands bereits jetzt herausragende Liefersituation. Russland könnte nun der Ukraine und mittelosteuropäischen EU-Staaten wie Polen oder den baltischen Ländern den Energiehahn zudrehen und Deutschland weiter versorgen. Im Winter 2009 hat es solche Pressionen bereits gegeben. Auch die deutsche Verschleppung des vereinbarten Nato-Ziels, bis zum Jahr 2024 jeweils zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für das Militär auszugeben, irritiert nicht nur die Amerikaner. Der desolate Zustand der Bundeswehr bietet unübersehbar viele Ansatzpunkte für Investitionen.

Andererseits begreift Donald Trump nicht, dass sich die Bundesrepublik durch Nordstream 2 keinesfalls in Abhängigkeit von Russland begibt. Hier gilt die alte Regel, dass jene, die miteinander handeln, keine Kriege gegeneinander führen. Und letztlich geht es Trump vor allem darum, russisches durch US-amerikanisches Erdgas zu ersetzen, das in Flüssiggastankern über den Atlantik gebracht werden müsste. Da stimmt wieder das alte Fontane-Zitat über die Doppelmoral – man redet von Christus und meint Kattun.

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