zum Hauptinhalt
Autoritäre unter sich: Der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, Rodrigo Duterte, Präsident der Philippinen, Russlands Präsident Wladimir Putin, Österreichs Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer.

© Montage Tagesspiegel

Trump, Putin, Erdogan & Co: Die neue Lust auf Autokraten

Weltweit propagieren immer mehr Populisten erfolgreich die Abkehr von Demokratie und Rechtsstaat. Eine Suche nach Erklärungen.

Von Caroline Fetscher

Aus dem Nichts scheint sie aufzutauchen, die neue Ära der Autokraten, der Despoten, der narzisstischen und rechtsradikalen Populisten. Es ist ein Paradox: Millionen Menschen aus Staaten, in denen Kriege und Krisen herrschen, zieht es in die wohlhabenden Demokratien der Industrienationen – und dort setzen vielerorts Demagogen an, eben diese Demokratien zu erschüttern. Was ist da los?

RUSSLAND. Machthungrig träumt Wladimir Putin davon, noch mehr „russische Erde zu sammeln“ und in den Nachbarländern Stücke der einstigen UdSSR einzukassieren. Der demokratisch gewählte Präsident wettert gegen den schwulen und dekadenten Westen, die Mehrheit der Russen bejubelt ihn.

AMERIKA. Auf der anderen Seite des Atlantiks, dort wo im Kalten Krieg der Feind saß, ist der Richtung Macht polternde Kandidat für die Präsidentschaft, Donald Trump, begeistert von eben diesem Putin, der wiederum Trump „ein Genie“ genannt haben soll.

ASIEN. Im Mai gelangte auf den Philippinen Rodrigo Duterte an die Macht. Im Wahlkampf hatte der Präsident im Mafia-Stil versprochen, er werde abertausende Kriminelle ermorden lassen: „Ich kippe euch in den Hafen von Manila, wo ihr die Fische fett macht!“ „Vergesst die Menschenrechte!“ war einer seiner Schlachtrufe.

TÜRKEI. Die Todesstrafe würde auch Recep Tayyip Erdogan, der demokratisch gewählte, türkische Präsident, gerne einführen, um unliebsame Landsleute loszuwerden. Begeistert sehen die Leute dabei zu, wie Erdogan ihre Demokratie demontiert.

MAGHREB. Aus dem Arabischen Frühling, der ein demokratischer Aufbruch aus der Unmündigkeit sein sollte, sind in den meisten Staaten, bis auf Tunesien, neue, autoritäre Regime oder Bürgerkriege hervorgegangen. Ägyptens und Bahrains Herrscher regieren mit Inhaftierung, Folter und Repression. Vom starken Arm des starken Mannes halten große Teile der Bevölkerung mehr als von Demokratie. Anhänger des selbst ernannten Terrorstaats in Syrien und im Irak träumen von der Diktatur eines korangeleiteten Kalifen. Tausende junger Leute aus Demokratien reisen freiwillig in die Unfreiheit, um dort mitzukämpfen.

EUROPA. Indes produziert Europa seine eigenen Antidemokraten und Demokratiefeinde, mitten aus den Demokratien heraus. Österreichs Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer schlägt die ausländerfeindliche Trommel und beschäftigt einen ehemaligen Neonazi als Büroleiter. Ungarns Premier Viktor Orbán ließ auf Ungarisch Sprüche plakatieren, die sich vorgeblich an Migranten richteten, etwa diesen: „Wenn du nach Ungarn kommst, darfst du den Ungarn keine Arbeitsplätze wegnehmen!“ Antisemiten lässt er unwidersprochen gewähren, und auch Orbán will über die Todesstrafe „diskutieren“. Schon seit Längerem schwebt Frankreichs Rechtspopulistin Marine Le Pen ein Referendum zu diesem Thema vor. In sämtlichen europäischen Staaten frohlocken rechte Parteien und Gruppen über Zulauf.

Breit gefächert ist die Typologie der Neuen Autoritären. So erscheint Putin als skrupelloser Schachspieler einer geschrumpften Großmacht, Trump als raffinierter Schauspieler einer Ego-Show, Erdogan gibt sich post-osmanisch megaloman, Le Pen wirkt wie eine entgleiste Jeanne d’Arc der Postmoderne. Allen Akteuren diesen Typus gemeinsam ist die Skepsis gegenüber Globalisierung, Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten. Das Begehren richtet sich auf Autoritarismus.

Traditionell dienen simple Strategien der Legitimation autoritärer Machtansprüche. Ausersehene Führerschaft etwa durch Geburt, Glaube, Geschichte, Ethnie, politische Position. Parallel dazu befördern Akteure die Konstruktion einer Wir- Gruppe, das Ausgrenzen von Ihr-Gruppen, die durch andere Geburt, anderen Glauben, abweichende politische Haltung zur Gefahr für die Wir- Gruppe definiert werden. Der Slogan ihrer Kernbotschaft lautet: „Ich habe die Wahrheit. Die anderen nicht. Und ich habe die Wahrheit für uns, für unser Wir.“ Wozu bräuchte es da noch Debattenhäuser, also Parlamente? „Kurzen Prozess“ versprechen die Erdogans oder Trumps politischen Gegnern.

Alleine könnten Zeitgenossen wie sie nicht viel ausrichten. Sie säßen mit ihrem Wahn in einer Kammer und würden vergebens krause Manifeste verfassen. Doch Millionen lassen sich von ihnen packen und verführen. Millionen, denen Wert und Substanz der Demokratie offenbar nicht oder nicht genug bekannt ist und bedeutet. Dieser Befund sollte Demokraten produktiv alarmieren. Weniger denn je kann Francis Fukuyamas Diagnose vom „Ende der Geschichte“ nach dem Fall des Eisernen Vorhangs beruhigen, wonach die Demokratie weltweit und unaufhaltsam auf dem Siegeszug ist. Vielmehr befindet sich der Prozess der globalen Demokratisierung auf dem Rückzug.

Demokratisches Gruseln hilft nicht

Demokratisches Gruseln bringt die Demokraten da nicht voran. Vielmehr gilt es, diese existenzielle Lektion als Chance zur Erkenntnis, zur Verbesserung aufzufassen. Wie weit entwickelt ist die demokratische Praxis? Woher rührt ihre massive Störungsanfälligkeit? Im Völkerbund, 1920 nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, war Demokratie keine Vorbedingung für die Clubmitgliedschaft. Ebenso nach dem Zweiten Weltkrieg in der UN. Es tut nichts zur Sache, wie ein Staat regiert wird, ob von Monarchen, einem Einparteiensystem, einer religiösen Clique, einer Dynastie aus Kleptokraten oder von demokratisch gewählten Repräsentanten. Hauptsache ist die völkerrechtliche Anerkennung von Staatsgebieten. Bis heute nennen sich diese Gebiete „Nationen“.

In der Bezeichnung „Vereinte Nationen“ lag ein utopischer Vorgriff auf den Idealzustand des Austauschs aller mit allen, im Frieden vereint. Internationaler Austausch umfasst inzwischen in der Tat den gesamten Globus. Rasant steigert sich das Tempo der Waren- und Datenströme, längst haben Internet, Börsen und Handel Territorialgrenzen überwunden. Unsere Gattung kennt Techniken, von denen die Vorfahren nicht einmal ahnten. Und in ihrer digitalen Überproduktion verbreitet sie dabei Sinn wie Irrsinn ohne Gebrauchsanleitung.

Denn von sich selbst weiß die Gattung noch wenig. Sie versteht viel zu wenig von der psychischen Entwicklung und Kapazität der Individuen, traurig wenig von der Psychodynamik von Großgruppen, kaum im Ansatz das Verarbeiten transgenerationeller Traumata, wie sie überall auf der Welt durch die vergangenen mörderischen Konflikte um Glauben und Nationen existieren – und heute teils neu produziert werden. Emotionale und soziale Ignoranz verursacht Unruhe und Hilflosigkeit.

Die Kombination aus Hypermoderne und Hilflosigkeit verursacht Angst – und Angst ist ein Hauptauslöser regressiver Reaktionen. Wenn alles sich so schnell bewegt, was wird da aus dem gewohnten Nest Nation, dem Schutz für Haus, Familie, Arbeit, Sprache? Wer dann unzweideutig und laut genug „Amerika zuerst!“, „Frankreich den Franzosen!“ oder generell „Ausländer raus!“ ruft, der hat leichtes Spiel mit den Massen, für die – wie beim Brexit – im Begriff „Nation“ das Echo einer Geborgenheit mitschwingt. Auch wenn sie so nicht mehr existiert. Kommen reale, berechtigte Ängste hinzu – Angst vor Terror, sinkenden Reallöhnen, unsicheren Renten, sozialem Abstieg, dem Verlust des Erlangten, wie bei der weißen, unteren Mittelklasse in den USA –, können sich die aversiven Affekte zu Ressentiments potenzieren, die in den Wunsch nach der „harten Hand“ münden, nach dem Abstoßen der „Anderen“, die zur Bedrohung der eigenen Basis aufgebaut werden – Billigarbeiter aus Mexiko oder Rumänien, oder Muslime, Juden, Kurden oder generell die politische Opposition.

Demokratie steht dem Autoritarismus im Weg. „Erledigt“ werden können dessen Projekte nur, wenn Demokratie aufgeweicht oder aufgelöst wäre und allein „die Nation“ als Ordnungsprinzip übrig. Doch das ist weniger möglich denn je. Nationen konstruieren sich um einen fiktiven Ursprung herum, in dessen Zentrum eine mythische Wir-Gruppe rangiert. Mit der Realität einer interdependenten Welt des Austauschs von Waren, Daten, Wissenschaft und Kultur wird transnationales Handeln, interkulturelles Verhandeln normatives Desiderat: Wir als Gattung müssen das lernen. Und in der Praxis kann dieser Austausch nur friedlich bleiben, zwischen Demokratien, die diesen Namen verdienen.

Demokratien, das ist die Lektion aus der aktuellen Lage, brauchen flächendeckend gebildete, aufgeklärte Demokraten. Demokratien sind nicht zu haben mit Massen an Halbgebildeten, mit einem gefährlichen Mangel an medialer Konsumkompetenz, solange Bürger aus dem Delta der Datenströme unterschiedslos News und Gerüchte fischen. Demokratien sind nicht zu erhalten, solange Gesellschaften hinnehmen, dass es in der Erziehung künftiger Bürger eine „vorkonstitutionelle Haltung gegenüber privaten Gewaltverhältnissen“ gibt, wie der Rechtswissenschaftler Dirk Fabricius warnt, „die der Reifung und Entwicklung von Willenskraft und damit der politischen Mündigkeit diametral entgegengesetzt sind“. Das aber, so Fabricius, „bedeutet eine ständige, latente Bedrohung der Demokratie durch autoritäre Figuren“.

Demokratien müssen, um nachhaltig fortzuwirken, Milliarden in ihre Bildungssysteme investieren und massiv in das Durchsetzen der Menschenrechte künftiger Erwachsener, sprich, heutiger Kinder und Jugendlicher. Die Zeiten sind vorbei, in denen es ausreichte (wenn es denn je gereicht hat), dass Fähigkeiten wie Analyse, Kritikfähigkeit und Reflexion Monopole der Eliten waren. Die Fähigkeiten gehören, ebenso wie soziale und mediale Kompetenz, auf den Lehrplan aller Demokratien, wollen diese überleben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false