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Politik: Truppen unerwünscht

Die Türkei verschiebt den Beschluss über die Stationierung von US-Soldaten. Sie verlangt mehr Wirtschaftshilfen

Vom weltweiten Widerstand gegen einen Irak-Krieg ermutigt, bietet nun auch die kriegswichtige Türkei den USA offen die Stirn. Obwohl US-Präsident George W. Bush persönlich die türkische Regierung am Wochenende noch einmal beschwor, endlich grünes Licht für die US-Truppenstationierung in der Türkei zu geben, senkte Ministerpräsident Abdullah Gül am Montag den Daumen: Unter den gegenwärtigen Umständen könne er das Parlament nicht zur Zustimmung bewegen, sagte er – und wies damit das Ultimatum der Amerikaner zurück, die bis zu diesem Dienstag einen entsprechenden Parlamentsbeschluss haben wollten.

Die bereits in Marsch gesetzten US-Truppen können nun nicht in der Türkei landen, um eine Nordfront gegen den Irak zu eröffnen; die amerikanische Kriegsplanung gerät dementsprechend durcheinander. Bisher hatte die amerikanische Regierung die Türkei als Felsen in der europäischen Brandung betrachtet, wenn es um ihre Pläne für einen Angriff auf den Irak ging. Obwohl die Türken einen solchen Krieg mindestens ebenso vehement ablehnen wie die Deutschen und die Franzosen, blieb ihnen wegen ihrer politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von den USA bisher nicht viel anderes übrig, als sich dem Willen des mächtigen Bündnispartners zu fügen. Doch der Widerstand anderer Staaten im UN-Sicherheitsrat und in der Nato sowie die öffentlichen Proteste im eigenen Land und auf der ganzen Welt haben die Verhandlungsposition der Türkei gestärkt, auf die Washington nun verstärkt angewiesen ist. Ankara hat jetzt diese Chance ergriffen, die Regierung spielt auf Zeit und treibt den Preis entsprechend hoch.

Kabinett berät am Mittwoch

Am Montag verknüpfte Ministerpräsident Gül die Abstimmung mit Wirtschaftshilfen von Seiten der USA. „Wir haben weiterhin Bedenken zu einigen militärischen, politischen und wirtschaftlichen Fragen“, sagte der Ministerpräsident, „bevor es eine Einigung in diesen Fragen gibt, werden wir das Parlament kaum zur Zustimmung bewegen können.“ Dass das türkische Parlament die Durchmarscherlaubnis für US-Truppen an diesem Dienstag erteilen könnte, womit die USA fest gerechnet hatten, schloss Gül damit praktisch aus. Die türkischen Bedenken würden der US-Regierung nun erneut vorgelegt, kündigte er an, bevor er zum EU-Gipfel nach Brüssel reiste. Erst nach der Rückkehr des Ministerpräsidenten soll sich dann das Kabinett am Mittwoch wieder mit der Stationierungsfrage befassen. Parlamentssprecher Bülent Arinc bestätigte ebenfalls, dass die Abstimmung am Dienstag nicht stattfinden werde, „falls sich die Umstände nicht ändern“.

Ausweichen auf „Plan B“?

In Washington sorgt die türkische Vollbremsung für Entsetzen. Die für die Türkei und den Nordirak bestimmten US-Truppen seien doch schon unterwegs, hatte US-Präsident Bush den türkischen Außenminister Yasar Yakis am Wochenende beschworen, den er kurzfristig im Weißen Haus empfangen hatte. Wenn die türkische Durchmarscherlaubnis nicht am Dienstag erteilt werde, müssten die im östlichen Mittelmeer wartenden US-Schiffe in den Persischen Golf umgeleitet werden, sagte Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz. Dann könnten die USA nicht länger auf Ankara warten und müssten auf ihren „Plan B“ ausweichen, hieß es auch im US-Generalstab: Demnach sollen amerikanische Luftlandetruppen im Nordirak abgesetzt werden und zusammen mit den dortigen Kurdengruppen eine Nordfront eröffnen.

Schon jetzt ist es für eine solche Umgruppierung der Kräfte allerdings reichlich spät; eine türkische Verweigerung würde deshalb nicht nur den Angriff von Norden her erheblich erschweren, sondern könnte sogar den ganzen Kriegsbeginn um mehrere Wochen verzögern. So weit wird es voraussichtlich nicht kommen, weil Ankara nicht völlig mit Washington brechen kann und das Feld zudem nicht den nordirakischen Kurden überlassen wird. Angesichts des neuen türkischen Selbstbewusstseins haben sich die USA aber immerhin schon der Bedingung Ankaras gebeugt, dass der Oberbefehl im Nordirak zwischen türkischen und amerikanischen Generälen geteilt wird. Nun fordert Ankara schriftliche Garantien über zugesicherte US-Finanzhilfen in Milliardenhöhe – und hofft mit jedem gewonnenen Tag darauf, dass die Welt den Krieg noch abwenden kann.

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