zum Hauptinhalt

Tschechien: Prager Sturz

Per Misstrauensvotum zwingt Tschechiens Parlament die Mitte-Rechts-Regierung in die Knie.

Die tschechische Regierung von Premierminister Mirek Topolanek ist am Ende. Am Dienstagabend stimmten bei einem Misstrauensvotum im Prager Abgeordnetenhaus 101 von 200 Parlamentarier gegen sie – damit war die notwendige absolute Mehrheit exakt erreicht. In der Mitte der EU-Ratspräsidentschaft, die das Land derzeit turnusgemäß innehat, kann das auf europäischer Ebene für schwere politische Turbulenzen sorgen. Ob der konservative Premierminister Topolanek sein Amt bis zum Ende des EU-Vorsitzes im Juni kommissarisch weiter ausüben wird, ist noch unklar. „Ich nehme das zur Kenntnis und werde mich verfassungsgemäß verhalten“, sagte Topolanek nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses.

Bis zu den geplanten vorgezogenen Neuwahlen wird jetzt Staatspräsident Vaclav Klaus eine herausragende Rolle spielen. Bei allen politischen Entscheidungen hat seine Stimme nun ein erhebliches Gewicht. Das wird vor allem in Brüssel mit Sorge aufgenommen: Klaus gilt als profiliertester Europaskeptiker und macht aus seiner Ablehnung einer weiteren politischen Integration keinen Hehl. Entscheidend war, dass vier unabhängige Abgeordnete, die aus der Regierungskoalition ausgetreten waren, dem Misstrauensantrag der Opposition zustimmten. Von den anwesenden 197 Abgeordneten stimmten 96 für den 52-jährigen Regierungschef, Enthaltungen gab es keine.

Wann es in Tschechien zu Neuwahlen kommt, ist noch unklar. Die linksgerichtete Opposition hat sich bereits im Vorfeld des Misstrauensvotums dafür ausgesprochen, für eine Übergangszeit eine parteipolitisch nicht gebundene Expertenregierung ins Amt zu berufen. Eine Neuwahl ist frühestens im Sommer möglich, im Gespräch ist aber auch ein Termin im Frühjahr des kommenden Jahres.

Hinter dem Misstrauensantrag der Opposition stand ein langjähriger politischer Richtungsstreit, in dem sich die beiden größten Parteien mit teilweise diametral entgegengesetzten Positionen gegenüberstehen. Konkreter Anlass für den jetzigen Vorstoß der Opposition war der Versuch des Premierministers, die Ausstrahlung eines kritischen Nachrichtenbeitrags im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu verhindern. In dem Beitrag ging es um mutmaßlich zwielichtige Geschäfte eines Abgeordneten aus dem Regierungslager. Schon seit längerer Zeit beschuldigen sich in Tschechien die großen Parteien wechselseitig undemokratischer Praktiken und der unlauteren Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Weil sich die öffentlich bekannten Verdachtsfälle sowohl auf Seiten der Regierung als auch auf Seiten der Opposition häufen, zeigten sich Beobachter überrascht, dass die Sozialdemokraten ausgerechnet mit dieser Begründung ihre Gegner stürzen wollen.

Die Regierung von Topolanek verfügte seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2007 nur über eine hauchdünne Mehrheit. In der Vergangenheit war die Koalition aus der bürgerlich-demokratischen Partei ODS, den Grünen und der kleinen christdemokratischen Partei auf die Stimmen von Überläufern aus dem gegnerischen Lager angewiesen. „Wenn die Regierung jetzt fällt, bedeutet das keine Lösung des Problems, sondern im Gegenteil eine weitere Vertiefung“, sagte Topolanek vor der Abstimmung. Er lud die Opposition zu „konstruktiven Verhandlungen“ über den politischen Kurs ein. Er sei bereit, Abstriche bei seinen Reformprojekten zu machen. „Wir sollten staatsmännisch entscheiden“, sagte der Premierminister.

Kern des Streits sind die tiefgreifenden Reformen, die Topolanek umsetzen will. Besonders umstritten sind die Zuzahlungen im Gesundheitssystem, die vor einigen Monaten eingeführt wurden und trotz ihrer eher symbolischen Höhe von etwa einem Euro pro Arztbesuch auf harsche Ablehnung der Opposition stoßen. Für die Wirtschaftsreformen, die etwa die Einführung einer Einheitssteuer vorsehen und zu einer Konsolidierung des Haushalts führen sollen, fehlte der Regierung bislang die benötigte Mehrheit. Die sozialdemokratische Opposition will die Reformen rückgängig machen.

Topolanek warnte davor, die Sozialausgaben zu erhöhen, wie es die Opposition plane. „Ungarn ist ein ausreichend abschreckendes Beispiel, das zeigt, wohin so etwas führen kann“, sagte er mit Blick auf Budapest, wo Experten schon einen Staatsbankrott für möglich halten.

Kilian Kirchgeßner[Prag]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false