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Politik: Tschetschenien: Geheimdienst an die Front

Die Nachricht klingt nur auf den ersten Blick gut: Russland will seine militärische Präsenz in Tschetschenien reduzieren. Doch das bedeute nicht, dass damit die Anti-Terror-Operation zu Ende sei, bekräftigte Putin, als er einen entsprechenden Erlass unterzeichnete.

Die Nachricht klingt nur auf den ersten Blick gut: Russland will seine militärische Präsenz in Tschetschenien reduzieren. Doch das bedeute nicht, dass damit die Anti-Terror-Operation zu Ende sei, bekräftigte Putin, als er einen entsprechenden Erlass unterzeichnete. Sie werde "mit anderen Kräften und Mitteln fortgeführt und auch die Akzente werden anders gesetzt." Daher werde künftig Geheimdienstchef Nikolaj Patruschew die Kampfhandlungen koordinieren. Bisher lag die Verantwortung in den Händen von Verteidigungsminister Igor Sergejew.

Gegenwärtig stehen in Tschetschenien rund 80 000 Soldaten aus den regulären Einheiten der Armee. 15 000 davon gehören zur 42. motorisierten Schützendivision, die nun ständig in der Rebellenrepublik stationiert werden soll. Langfristig verbleiben soll in Tschetschenien auch eine 7000 Mann starke Brigade aus den so genannten "Truppen des Innenministeriums" - paramilitärische Polizei-Einheiten, die speziell für Unruhen und Bürgerkrieg ausgebildet und bewaffnet sind.

Kritische Beobachter bezeichneten die Truppenreduzierung allerdings bereits als grandioses Täuschungsmanöver. Zu Recht: Die abziehenden Armee-Einheiten werden durch Truppen des Innenministeriums und durch Sonderkontingente der Geheimdienste ersetzt, die auf Terrorismusbekämpfung spezialisiert sind. Die Spannungen werden dadurch kaum nachlassen. Die Zivilbevölkerung Tschetscheniens machte für Massenerschießungen, Plünderungen und andere Übergriffe stets vor allem Polizeikräfte verantwortlich. Gegen Einheiten der Armee dagegen gab es viel weniger Klagen.

Der Teilabzug geht auf einen Vorschlag zurück, den der von Moskau eingesetzte tschetschenische Verwaltungschefs, Ex-Mufti Ahmad Kadyrow, letzte Woche unterbreitet hatte. Die für russische Verhältnisse ungewöhnlich schnelle Reaktion dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass gestern in Straßburg die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates begann, auf deren Agenda auch die Situation in Tschetschenien steht. Wegen gravierender Menschenrechtsverletzungen war Russland dort im letzten Frühjahr das Stimmrecht entzogen worden. Ob die Sanktionen jetzt aufgehoben werden, hängt vor allem vom Bericht von Lord Frank Judd ab. Er leitete eine Beobachterdelegation des Europarates, die in der vergangenen Woche zu einer Inspektionsreise im Nordkaukasus war und keine substanziellen Verbesserungen feststellen konnte.

Der Truppenabzug soll daher, so das Kalkül des Kremls, vor allem Kompromissbereitschaft signalisieren. Der Westen hatte Moskau seit Beginn des nunmehr 16 Monate währenden zweiten Tschetschenienkrieges stets "Unverhältnismäßigkeit" der Kampfhandlungen vorgeworfen. Mit dem jetzt offiziell verkündeten Ende des militärischen Teils der Operation und Maßnahmen zum Wiederaufbau, wie sie gestern ebenfalls beschlossen wurden, hofft Moskau offenbar, weiteren Prestigeverlust abwenden zu können.

Dazu kommt, dass Putin mit ziemlicher Sicherheit auch durch die Armeeführung selbst zum Teilrückzug gedrängt wurde. Hochrangige Generale murrten immer lauter, sie müssten in Tschetschenien "wesensfremde Aufgaben" erledigen. In der Tat ist Russlands Armee, die noch immer einen großen Krieg mit der Nato probt, für innere Unruhen weder ausgebildet noch bewaffnet. Und so manchen braven Soldaten, der vor anderthalb Jahren auf einen schnellen siegreichen Krieg am anderen Ufer des Terek hoffte, treibt inzwischen die Furcht um, in Tschetschenien drohe ein zweites Afghanistan. Auch die Operation, die elf Jahre währte und 14 000 russische Soldaten das Leben kostete, hatte Moskau zunächst als "Krieg hinter dem Flüsschen" verharmlost.

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