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Türkei: 86 Anklagen wegen Putschversuchs

Der Fall hat es in sich – und nicht nur wegen der großen Zahl von Angeklagten und dem Bienenfleiß der Ermittler. Auf 2455 Seiten haben drei Istanbuler Staatsanwälte in mehr als einjährigen Ermittlungen schwere Vorwürfe zusammengetragen, die die Türkei erschüttern.

Mitglieder der rechtsnationalen Gruppe „Ergenekon“, darunter drei Ex-Generäle und andere ehemalige Soldaten, sollen versucht haben, die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu stürzen.

Bei der Vorstellung der Anklage am Montag sprach der Istanbuler Oberstaatsanwalt Aykut Cengiz Engin von einer „bewaffneten Terrororganisation“, die gegen die staatliche Ordnung gerichtet gewesen sei. „Ergenekon“ – der Name bezieht sich auf die mythische Heimat der Türken in Zentralasien – hatte demnach das Ziel, die Türkei durch Attentate und Massenproteste zu destabilisieren und auf diese Weise die Militärs zum Einschreiten gegen die ungeliebte Erdogan-Regierung zu bewegen.

„Ergenekon“ soll unter anderem hinter dem Mord an einem Richter des türkischen Verwaltungsgerichtshofs in Ankara im Jahr 2006 gesteckt haben. Damals wurde die Tat islamischen Extremisten zugeschrieben. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war der Mord aber eine jener Aktionen, mit der die Öffentlichkeit gegen die islamisch geprägte Erdogan-Regierung aufgehetzt werden sollte. „Ergenekon“ war demnach nicht nur gegen Erdogan gerichtet, weil sie diesen als Islamisten betrachtete. Die „Ergenekon“- Nationalisten wollten auch den türkischen Staat vor dem ihrer Meinung nach zersetzenden Einfluss der EU schützen.

Engins Staatsanwälte haben in den vergangenen Monaten fast 50 Verdächtige in Untersuchungshaft nehmen lassen; insgesamt richtet sich die Mammutanklage gegen 86 Beschuldigte.

Für die Türkei ist es ungewöhnlich, dass sogar ehemalige Vier-Sterne-Generäle in Haft genommen wurden. Das sei für die demokratische Reife des Landes sehr wichtig, kommentierte die Zeitung „Sabah“. Regierungsgegner werfen Erdogan vor, die Ermittlungen zu benutzen, um kurz vor dem bis Mitte August erwarteten Urteil im Verbotsverfahren gegen seine Regierungspartei AKP die Opposition einzuschüchtern. Thomas Seibert

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