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Türkei: Armee droht Regierung

Nach den Querelen um die Wahl von Außenminister Gül zum Staatspräsidenten hat die türkische Armee unverhohlen vor einer Islamisierung des Landes gewarnt. Als Hüterin der laizistische Ordnung sei sie gegen die derzeitigen "Diskussionen".

Ankara - Kurz nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hat die türkische Militärführung eine scharfe Warnung an die politischen Kräfte im Land ausgesprochen. Der Generalstab warf der islamistisch geprägten Regierungspartei AKP auf seiner Hompage vor, bei der Eindämmung der anti-säkularen Aktivitäten im Land versagt zu haben. Die Armee würde ihre Position und ihre Einstellungen offen zeigen, wenn es notwendig würde. Daran solle niemand zweifeln. Zuvor hatte bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl der einzige Kandidat, Außenminister Abdullah Gül von der AKP, keine ausreichende Mehrheit erhalten.

Die Armee verfolge die mit der Präsidentenwahl verbundenen Debatten um die säkulare Ordnung des Landes mit Sorge. "Die türkischen Streitkräfte sind gegen diese Diskussionen", hieß es weiter. Es dürfe nicht vergessen werden, dass die türkischen Streitkräfte die Hüter der laizistischen Ordnung seien, teilte der Generalstab mit. Die türkische Armee hatte mehrmals per Putsch - 1960, 1971 und 1980 - in die politischen Entwicklungen des Landes eingegriffen. Sie sieht sich als Wahrerin der Prinzipien von Staatsgründer Kemal Atatürk, die eine strikte Trennung von Kirche und Staat beinhalten.

Opposition will Wahl für ungültig erklären lassen

Politische Analysten in der Türkei interpretierten die Statements der Armee als "Ultimatum". "Das war die stärkste Äußerung der Armee seit langer Zeit - und sie zeigt, dass die Kandidatur von Gül nicht begrüßt wird", sagte Kommentator Cengiz Candar. Die Statements der Militärführung bedeuteten, dass sie nicht wolle, dass Gül Präsident wird, sagte Faruk Bildirici dem Sender NTV und forderte Neuwahlen.

Die führende Oppositionspartei CHP rief das Verfassungsgericht an, um die erste Runde der Präsidentschaftswahl für ungültig erklären zu lassen. Beim ersten Wahldurchgang hatte es erwartungsgemäß keinen Sieger gegeben - obwohl nur die Regierungspartei AKP einen Kandidaten aufgestellt hatte. Für Außenminister Gül reichte es nicht zu einem Sieg. Gül bekam 357 Stimmen, gebraucht hätte er mindestens 367 - zwei Drittel der insgesamt 550 Abgeordneten. Viele waren bei der Wahl aber gar nicht zugegen, weshalb die Opposition nun vor das Verfassungsgericht ziehen will, das den Wahlgang für ungültig erklären könnte.

"Letzte Bastion des Säkularismus"

Die Präsidentschaftswahl solle solange ausgesetzt werden, bis ein Urteil gefällt sei, forderte der CHP-Vertreter Onder Sav. Seiner Partei zufolge wurden Verfahrensregeln verletzt. Zur Wahl des Präsidenten müssen demnach mindestens zwei Drittel der 550 Abgeordneten anwesend sein. Am Freitag fanden sich aber nur 361 Parlamentarier ein. Die AKP behauptet, dass nur 184 Abgeordnete zur Wahl anwesend sein müssen, das ist ein Drittel der Parlamentarier.

Die Opposition hatte im Vorfeld der Wahl betont, die Präsidentschaft sei "die letzte Bastion des Säkularismus" und könne deshalb nicht der AKP von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan überlassen werden. Viele Türken fürchten, dass die islamistisch geprägte Regierungspartei die strenge Trennung von Kirche und Staat aufweichen will. Wenn das Verfassungsgericht die Wahl für ungültig erklären würde, müsste das Parlament binnen 45 bis 90 Tagen neu gewählt werden.

EU mahnt Armee zur Zurückhaltung

EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn mahnte das türkische Militär unterdessen zur Zurückhaltung. Es sei wichtig, dass sich auch die Armee an die Spielregeln der Demokratie und an ihre eigene Rolle in diesem Spiel halte, sagte Rehn am Samstag in Brüssel. Diese Prinzipien seien das Herzstück der Europäisierung der Türkei. (tso/AFP/dpa)

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