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Türkei: Armeechef hetzt gegen Abgeordnete

General Basbug gibt ein merkwürdiges Interview, in dem er gegen Abgeordnete hetzt und mutmaßliche Mörder in Schutz nimmt. Führende Politiker applaudieren.

Der Armeechef eines Landes gibt ein längliches Fernsehinterview, in dem er gegen frei gewählte Abgeordnete hetzt, mutmaßliche Mörder in den Reihen der Armee in Schutz nimmt und mit einer absurden Rechnung versucht, das Scheitern seiner Streitkräfte im Kampf gegen eine Rebellengruppe schönzureden. In Europa oder in den USA würde dieser Armeechef sofort nach der Sendung entlassen. In der Türkei erhält er Unterstützung aus der Politik.

Mit seinem Interview im Privatsender Star demonstrierte Ilker Basbug, Generalstabschef der türkischen Streitkräfte, vor einigen Tagen, wie weit die Armee des EU-Bewerberstaates von demokratischen Normen entfernt ist. Schwerpunkt der Sendung war der in jüngster Zeit wieder aufgeflammte Kurdenkonflikt. Seit 26 Jahren versucht die zweitstärkste Armee der Nato vergeblich, die kurdische Rebellengruppe PKK zu besiegen.

Doch Basbug rechnete den Zuschauern vor, dass die Armee eigentlich längst gesiegt habe. Seit 1984 seien 30.000 PKK-Kämpfer getötet worden, verkündete er. Bei einer durchschnittlichen Mannstärke von rund 6000 PKK-Kämpfern bedeute das: "Mathematisch gesehen haben wir die Terrororganisation PKK in den letzten 26 Jahren schon fünfmal ausgelöscht." Während das Interview ausgestrahlt wurde, tötete die angeblich ausgelöschte PKK bei einem neuen Angriff in Südostanatolien drei Soldaten.

Nicht nur Basbugs Body Count war merkwürdig. Der General beschimpfte Parlamentsabgeordnete der Kurdenpartei BDP - immerhin frei gewählte Volksvertreter in einer Demokratie - offen als Terrorhelfer und Landesverräter, weil sie an der Beisetzung von PKK-Kämpfern teilnahmen. Gleichzeitig verteidigte er Offiziere, die vor Gericht stehen, weil sie nach Ansicht der Staatsanwaltschaft in illegale Morde verwickelt waren.

Über Konsequenzen muss sich Basbug keine Sorgen machen. Vom Gesetz her ist der türkische Generalstabschef zwar dem Ministerpräsidenten unterstellt. In einem Land, in dem seit 1960 vier Regierungen von den Militärs gestürzt wurden und in dem die letzte offene Putschdrohung gerade einmal drei Jahre zurückliegt, bedeutet das aber nicht viel. Basbug geht in wenigen Wochen in Rente - sein designierter Nachfolger, Isik Kosaner, steht seit langem fest. Kosaner wurde nicht etwa von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ausgewählt, sondern von den Generälen selbst. Erdogan darf nur noch abnicken.

Basbugs Armee war in den vergangenen Monaten wegen diverser Putschpläne gegen die Regierung in Bedrängnis geraten. Nun ist der General wieder obenauf und auch deshalb vor Kritik führender Politiker sicher, weil diese befürchten, ein Rüffel für die Armee könnte ihnen in Zeiten einer neuen PKK-Offensive gegen die Armee als Beweis für mangelnden Patriotismus ausgelegt werden. Seit Anfang Juni hat es bei PKK-Angriffen mehrere Dutzend Tote gegeben.

Die Gewalt stärkt die Militärs auch, was die Strategie im Kurdenkonflikt angeht: Lange Zeit setzte Erdogans Regierung im Kurdenkonflikt auf politische Reformen - jetzt redet sie wie Basbug von militärischem Druck auf den Nachbarn Irak, wo die PKK ihr Hauptquartier unterhält. Die sozialen und wirtschaftlichen Wurzeln des Kurdenkonflikts geraten aus dem Blickfeld.

Scharfe Kritik musste sich Basbug nur von Kurdenpolitikern und einem Teil der Presse anhören. Selahattin Demirtas, der Vorsitzende der Kurdenpartei BDP, forderte den Rücktritt oder die Amtsenthebung des Generalstabschefs. Der Armeechef habe den Abgeordneten keine Weisungen zu erteilen. Demirtas rief die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen gegen Basbug auf, weil er offen gegen die Kurdenpolitiker gehetzt habe. Auch die Zeitung "Taraf", die Basbug im vergangenen Jahr mit der Veröffentlichung mutmaßlicher Putschpläne der Armee geärgert hatte, warf dem Militärchef vor, er habe vor laufender Kamera und ohne jeden Beweis seine Beschimpfungen und Verleumdungen verbreitet.

Doch viel Unterstützung erhalten die Armee-Kritiker nicht. Parlamentspräsident Mehmet Ali Sahin, der sich kraft Amtes eigentlich schützend vor die kurdischen Abgeordneten stellen müsste, gab zu Protokoll, er sei ganz einer Meinung mit dem Herrn Generalstabschef.

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