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Türkei-Besuch: Schröder fordert "Mentalitätswandel"

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat unmittelbar vor seinem Türkei-Besuch von dem EU-Bewerberland ein Umdenken gefordert. Grundfreiheiten wie Menschen- und Minderheitenrechte müssten gewährleistet und eine Umkehr der Reformen ausgeschlossen werden.

Berlin (02.05.2005, 15:22 Uhr) - Ein solcher «Mentalitätswandel» sei zwar nicht über Nacht möglich, aber unverzichtbar, damit die Veränderungen im täglichen Leben von allen angenommen würden, sagte Schröder am Montag der Zeitung «Milliyet». Der Kanzler bekräftigte, dass die am 3. Oktober beginnenden EU- Beitrittsverhandlungen «auf jeden Fall lang und schwierig» sein würden. Der Verlauf werde in hohem Maße vom Fortgang des Reformprozesses abhängig sein.

Anders als geplant wird beim Kanzler-Besuch kein Abkommen über eine Rechtspartnerschaft vereinbart. Von türkischer Seite wurde die Unterzeichnung kurzfristig abgesagt. Nach der eigentlich fertig gestellten Vereinbarung sollen türkische Richter und Staatsanwälte mit deutscher Hilfe mit modernen rechtsstaatlichen Methoden vertraut gemacht werden. Als Grund für die Absage wurden formale Gründe angegeben.

Nach einem Abstecher in Bosnien-Herzegowina wird Schröder am Dienstagabend in Ankara zu einem Gespräch mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zusammenkommen. Ein weiteres Treffen ist am Mittwoch vorgesehen. Dabei dürften noch bestehende Hindernisse im Blick auf die EU-Beitrittsverhandlungen im Vordergrund stehen. In Berlin und anderen EU-Ländern wachsen Besorgnisse über schleppende Fortschritte im türkischen Reformprozess sowie über ein Wiedererstarken nationalistischer Kräfte. Die Regierung Erdogan hat sich EU- Ermahnungen nach einem höheren Reformtempo strikt verbeten.

Schröder trifft in Istanbul demonstrativ auch mit dem Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus I., zusammen, um die Erwartung nach mehr Rechten für die Christen und anderen Religionsgemeinschaften im Lande zu unterstreichen. Von offizieller Seite wird der Status des Kirchenführers als symbolisches Oberhaupt der Welt-Orthodoxie nicht anerkannt und die Ausbildung von Priestern blockiert. Bei Schröders Gesprächen dürfte auch die Tötung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern unter osmanischer Herrschaft zur Sprache kommen. Der Bundestag hatte fraktionsübergreifend anlässlich des 90. Jahrestags des Massakers am 24. April 1915 die Türkei aufgefordert, sich zu der historischen Verantwortung zu bekennen. Dies lehnt Ankara bislang weiter strikt ab. Schröder erhält in Istanbul einen Ehrendoktorhut und spricht vor einem Wirtschaftskongress.

Bei seinem rund fünfstündigen Aufenthalt in Sarajewo geht es um die Annäherung des Westlichen Balkans an Europa. Die EU will in Kürze über die Aufnahme von Verhandlungen über ein Stabilierungs- und Assoziierungsabkommen mit Bosnien-Herzegowina entscheiden. Eine Bedingung dafür ist die bessere Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Nach Ansicht der EU müssen die als Kriegsverbrecher weiter gesuchten ehemaligen Serben-Führer Radovan Karadzic und General Ratko Mladic rasch gefasst werden.

Schröder wird das Bundeswehr-Feldlager in Rajlovac besuchen und mit dem Vertreter der internationalen Gemeinschaft, dem Briten Paddy Ashdown zusammenkommen. Bosnien-Herzegowina wird nach dem Bürgerkrieg von 1995 mit über 200 000 Toten und zwei Millionen Flüchtlingen de facto als internationales Protektorat geführt. Die Zentralregierung kann die Interessen des aus der bosnisch-kroatischen Föderation und der serbischen Republik bestehenden Gesamtstaats bislang kaum durchsetzen. (tso)

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