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Verkehrsminister Binali Yildirim soll neuer Ministerpräsident in der Türkei werden.

© Reuters

Türkei: Binali Yildirim - Ministerpräsident von Erdogans Gnaden

In der Türkei soll Verkehrsminister Binali Yildirim dem geschassten Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu nachfolgen. Ihn zeichnet vor allem seine "perfekte Unterordnung" unter den Willen des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aus.

„Perfekte Koordination“ ist ein neuer Modebegriff der Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Sie umschreiben damit das künftige Verhältnis zwischen dem Staatsschef und dem neuen Vorsitzenden der Regierungspartei AKP, der am kommenden Sonntag auf einem Sonderparteitag gewählt werden und anschließend auch den Posten des Ministerpräsidenten übernehmen soll.

Gemeint ist eigentlich „Perfekte Unterordnung“ des Premiers unter den Willen des Präsidenten – eine Eigenschaft, die dem vor zwei Wochen von Erdogan geschassten Premier Ahmet Davutoglu fehlte. Nun Erdogan hat den perfekten Nachfolgekandidaten dafür gefunden.

Binali Yildirim heißt der Auserkorene. Der 60-jährige Verkehrsminister ist seit langem einer der engsten Vertrauten Erdogans und hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er für seinen Chef alle Aufgaben übernimmt, auch undankbare. So gab er vor zwei Jahren seinen Ministerposten auf und zog in den für die islamisch-konservative AKP aussichtslosen Kampf um das Bürgermeisteramt der Großstadt Izmir, einer Hochburg der Säkularisten.

Nach der verlorenen Schlacht erhielt Yildirim einen Posten als Berater in Erdogans Umgebung im Präsidentenpalast, bevor er im vergangenen Herbst wieder Verkehrsminister wurde. Yildirim sei der aussichtsreichste Kandidat für den AKP-Sonderparteitag, wurde unserer Zeitung in türkischen Regierungskreisen bestätigt. In ersten Befragungen der AKP-Provinzchefs in den vergangenen Tagen lag er laut Pressemeldungen klar vor seinen Mitbewerbern, Justizminister Bekir Bozdag und Regierungssprecher Numan Kurtulmus.

Zunächst war spekuliert worden, Erdogan werde seinen Schwiegersohn Berat Albayrak an die Spitze von Partei und Regierung hieven. Dies wurde in Regierungskreisen jetzt dementiert. Laut Medienberichten könnte der 38-jährige Albayrak, derzeit Energieminister, im neuen Kabinett jedoch mit einem führenden Posten bei der Lenkung der Wirtschaftspolitik weiteres Profil gewinnen.

Erdogan dürfte auch das letzte Wort bei der Verteilung der Ministerposten haben

Unter der „Perfekten Koordination“ dürfte Erdogan – und nicht Yildirim – das letzte Wort bei der Verteilung der Ministerposten bei der Bildung der neuen Regierung haben. Abdulkadir Selvi, Kolumnist der „Hürriyet“ mit exzellenten Kontakten in der türkischen Führung, schrieb am Dienstag, die Kandidatenliste aus Yildirim, Bozdag und Kurtulmus lasse sich auch anders lesen: „Nummer Eins Erdogan, Nummer Zwei Erdogan, Nummer Drei Erdogan.“

Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu spottete, Unterwürfigkeit sei in der AKP mittlerweile eine Grundvoraussetzung für einen Spitzenposten. Der Kandidat mit dem niedrigsten Eigenprofil sei der aussichtsreichste Bewerber für den Parteivorsitz, sagte Kilicdaroglu. Inzwischen ließen sich vormals glattrasierte prominente AKP-Politiker sogar wie Erdogan einen Schnurrbart stehen, um dem großen Chef zu gefallen, fügte er hinzu. Tatsächlich tragen Justizminister Bozdag und andere seit kurzem einen Schnäuzer.

Yildirim hat schon lange einen Schnurrbart und aus Sicht des Präsidenten zwei weitere große Vorteile: Er ist bedingungslos loyal und hat keine eigenen politischen Ambitionen. Mit Yildirim an der Spitze der Regierung wandelt sich die Türkei faktisch zu einer Präsidial-Republik. Großartige Veränderungen seien von Yildirim weder in der Außen- noch in der Innenpolitik zu erwarten, schrieb der US-Türkeiexperte Howard Eissenstat auf Twitter.

Schon unmittelbar nach Davutoglus Ablösung hatte Erdogan mit der Ablehnung einiger EU-Bedingungen für die Gewährung von Visfreiheit für türkische Reisende gezeigt, dass ab sofort nur noch sein Wort gilt. Einen Ministerpräsidenten, einen Außenminister und einen EU-Minister wird es zwar weiter in Ankara, doch werden deren Aufgaben vor allem darin bestehen, die Wünsche Erdogans umzusetzen.

Der brennendste davon ist die baldige Einführung eines Präsidialsystems. Erdogan und seine Anhänger argumentieren, mit der Einführung der Direktwahl des Staatschefs vor einigen Jahren sei eine „Doppel-Spitze“ aus Ministerpräsident und Präsident entstanden, die viele Reibungsverluste mit sich bringe und das Regieren erschwere. Die beste Lösung besteht laut Erdogan darin, dem Präsidenten die meisten Vollmachten zu geben - um so ein harmonisches Durchregieren von oben nach unten zu ermöglichen. Das wäre erst recht eine perfekte Koordination.

Die Opposition spricht von einem Marsch in einen autoritären Staat und verweigert Erdogan im Parlament die notwendigen Mehrheiten zur Änderung der Verfassung in seinem Sinne. Yildirims vordringliche Aufgabe als Premier wird darin liegen, dieses Problem zu lösen und eine baldige Volksabstimmung über das Präsidialsystem zu ermöglichen. Dazu braucht die AKP im Parlament mindestens 330 von 550 Stimmen; derzeit ist sie 14 Stimmen von diesem Ziel entfernt.

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