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Zwischen türkischen Flaggen: Präsident Recep Tayyip Erdogan im Präsidentenpalast von Ankara.

© REUTERS

Türkei: Die Aufhebung des Ausnahmezustands ist kein Befreiungsschlag

Eine wirkliche Rückkehr zu normalen rechtsstaatlichen Verhältnissen kommt für Erdogan nicht in Frage. Der Präsident fühlt sich von inneren und äußeren Feinden umringt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Güsten

Der türkische Präsident Erdogan steht vor einem Dilemma. Er hat den Ausnahmezustand in seinem Land beendet, will ihn gleichzeitig aber in wichtigen Teilen per Gesetzesänderung wieder einführen. Einerseits möchte Erdogan zwei Jahre nach dem Putschversuch vom Juli 2016 wieder zu einer gewissen Normalität zurückkehren, besonders mit Rücksicht auf die Wirtschaft. Andererseits aber will der türkische Präsident den Druck auf tatsächliche oder angebliche Gegner seiner Regierung aufrechterhalten. Beides geht nur schwer zusammen.

Eine wirkliche Rückkehr zu normalen rechtsstaatlichen Verhältnissen kommt für Erdogan nicht in Frage. Der Präsident fühlt sich von inneren und äußeren Feinden umringt, die nach seiner Ansicht nur auf ein Zeichen der Schwäche warten, um einen neuen Umsturzversuch zu starten. In der Weltsicht, die sich nach dem Schock des Putschversuches in den Regierungszirkeln in Ankara durchgesetzt hat, erscheinen demokratische Zustände wie in westlichen Staaten als gefährlicher Luxus, den sich die Türkei nicht leisten kann.

Der Westen wolle die Türkei schwächen, so die Annahme

Die Wagenburgmentalität speist sich aus mehreren Quellen. Zu den bestehenden terroristischen Bedrohungen durch die kurdische PKK oder durch religiöse Extremisten wie den Islamischen Staat treten Verschwörungstheorien. Diese prägten schon die Reaktion der Regierung auf die Gezi-Proteste im Jahr 2013 und auf das Strafverfahren gegen den Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner im vergangenen Jahr.

Der Westen strebe in der Tradition des Kolonialismus nach einer Schwächung der Türkei und bediene sich mitunter türkischer Handlanger, argumentieren die Regierenden. Selbst gewaltlose Kritik lässt sich so ohne weiteres als Terror-Unterstützung umdeuten, der Abbau demokratischer Rechte als notwendige Abwehrmaßnahme verkaufen.

Das macht eine Entspannung im Verhältnis zwischen der Türkei und der EU schwierig. In Ankara herrscht mittlerweile ein so tiefes Misstrauen dem Westen gegenüber, dass Reformforderungen aus Brüssel nicht mehr als Ansporn, sondern als unangebrachte Einmischung empfunden werden. Die Aufhebung des Ausnahmezustands ist deshalb nicht der Befreiungsschlag, den die türkisch-europäischen Beziehungen dringend benötigen.

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