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Türkei: Erdogan profitiert von Krise mit Israel

Ein Jahr vor der nächsten Wahl hilft der israelische Angriff auf einen pro-palästinensischen Hilfstransport dem türkischen Premier Erdogan. Dennoch hat er kein Interesse daran, im Streit mit Israel zu übertreiben.

Recep Tayyip Erdogan hat ein paar gute Tage hinter sich. Mit seiner scharfen Kritik an Israel nach der Erstürmung der Schiffe mit Hilfsgütern für den Gaza-Streifen ist das Renommee des türkischen Ministerpräsidenten in Gaza selbst und in anderen Ländern des Nahen Ostens beträchtlich gestiegen. Auch innenpolitisch konnte Erdogan ein Jahr vor der nächsten Wahl neue Pluspunkte sammeln. Mit ihren Bemühungen um eine Bestrafung Israels durch die internationale Gemeinschaft hat die Türkei zudem ihren Anspruch auf eine Führungsrolle in der Region unterstrichen. Doch Erdogan macht Politik mit hohem Risiko. Die politischen Gewinne der letzten Tage könnten für ihn selbst und für die Türkei schon bald in Verluste umschlagen.

Dass Erdogan die Israelis so heftig angegangen ist, wundert nicht. Auch die Regierungschefs anderer Staaten hätten deutliche Worte gefunden, wenn eine unbewaffnete Gruppe ihrer Landsleute von Soldaten eines anderen Landes in internationalen Gewässern getötet worden wären. Bei einem so emotialen Thema, wie es die Lage der Menschen im Gaza-Streifen für die türkische Öffentlichkeit nun einmal ist, muss ein türkischer Premier ohnehin Klartext reden. Laut einer Umfrage sind fast zwei von drei Türken der Meinung, Erdogans Regierung sei in ihren Reaktionen noch zu sanft gewesen.

Diesen Druck aus der Bevölkerung spüren alle politischen Akteure in der Türkei. So einigten sich die sonst hoffnungslos zerstrittenen Parteien im türkischen Parlament auf eine gemeinsame Erklärung zum israelischen Angriff. Das ist in der stark polarisierten politischen Szene in Ankara schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen.

Für Erdogan bot sich die Chance, mit Blick auf die spätestens im Sommer 2011 anstehenden Parlamentswahlen für seine Regierungspartei AKP zu punkten. Die türkischen Beziehungen zu Israel waren ohnehin bereits stark belastet, und es gibt im türkischen Parlament keine Partei, die Erdogan deshalb unter Druck setzt. Die Abberufung des türkischen Botschafters aus Tel Aviv und die Absage einiger Militärmanöver bilden aus diesem Blickwinkel aus betrachtet gerade einmal das Minimum türkischer Reaktionen.

Auf den ersten Blick scheint des deshalb so, als könne Erdogan überhaupt nicht zu viel Populismus an den Tagen legen. Die islamistische Partei SP, die mit der AKP bei Bemühungen um die Gunst streng-religiöser Wähler konkurriert, wirft Erdogan schon vor, er habe die Mitarbeiter der islamischen Hilfsorganisation IHH nicht genügend geschützt. Einige Zeitungskommentatoren kritisierten, die türkische Armee hätte die IHH-Mission schützen müssen. Israel hat in diesen Tagen kaum Fürsprecher in der Türkei. Selbst die Jüdische Gemeinde im Land kritisierte den israelischen Angriff.

Und doch achtete Erdogan in seinen Reden seit dem Angriff auf zwei Dinge. Er verkündete nicht den Abbruch der Beziehungen zu Israel; insbesondere bleibt die Türkei stark interessiert an unbemannten Überwachungsflugzeugen aus israelischer Fertigung, die in wenigen Wochen geliefert und im Kampf gegen die PKK-Kurdenrebellen eingesetzt werden sollen.

Außerdem warnte Erdogan seine Landsleute mehrmals davor, ihre Wut an den Juden oder israelischen Diplomaten in der Türkei auszulassen. Nicht mit den Juden oder dem israelischen Volk habe die Türkei ein Problem, sondern mit der israelischen Regierug, unterstrich er mehrmals. Antisemitische Ausschreitungen in der Türkei würden Erdogans Bemühungen zunichte machen, die Türkei auf der Weltbühne als zivilisierte Nation zu präsentieren.

Erdogan hat also kein Interesse daran, im Streit mit Israel zu übertreiben. Mittelfristig braucht die Türkei einigermaßen intakte Beziehungen zu Israel, wenn sie sich im Nahen Osten als Regionalmacht etablieren will, die in den vielen Konflikten dieser Weltgegend mit allen Seiten reden kann. Die Regierung Ankara weist den Vorwurf zurück, dass sich das Land unter Erdogan vom Westen ab- und dem islamischen Osten zuwendet, und argumentiert, die Türkei sei zu einem eigenständigen Machtzentrum geworden. Wenn die Türkei nun auf Dauer und einseitig gegen Israel Partei ergreift, kann sie diese angestrebte zentrale Rolle vergessen.

Es wird für Erdogan nicht leicht sein, die richtige Balance zu finden, denn diplomatisches Fingerspitzengefühl gehört nicht zu den Stärken des türkische Premiers. Darin liegt eine Gefahr für die Türkei.

So werden sich Skeptiker im In- und Ausland durch Erdogans Bemühungen zur Verhinderung von Sanktionen gegen den Israel-Feind Iran und durch seine öffentliche Weigerung, Hamas als Terrororganisation anzuerkennen, bestätigt sehen. Sie erinnern daran, dass sich Erdogan merkwürdig still verhielt, als die iranische Regierung nach der umstrittenen Präsidentenwahl des vergangenen Jahres die Opposition niederprügeln ließ. Damals war von türkischem Zorn über eine Gewaltanwendung gegen Unbewaffnete nichts zu sehen.

Für die Türkei und für Erdogan selbst wird es in den kommenden Tagen und Wochen darauf ankommen, bei aller Kritik an Israel das rechte Maß nicht zu verlieren. Wenn die Türkei von sicht sagt, sie sei eine Regionalmacht, die mitreden und mitgestalten will, dann wird sie auch an diesem Anspruch gemessen werden. Bloß den Wählern nachzulaufen oder den eigenen Gefühlen freien Lauf zu lassen, reicht da nicht mehr.

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