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Geht in die politische Offensive: der frühere türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, hier auf einem Foto vom Mai dieses Jahres.

© Ilyas Akengin/AFP

Türkei: Erdogans Fundament wankt

Der türkische Ex-Premier Davutoglu gründet die islamisch-konservative Zukunftspartei. Unterstützung erhält er ausgerechnet von der Frau eines AKP-„Märtyrers“.

Nihal Olcok sollte eine Vorzeige-Frau für die türkische Regierungspartei AKP sein. Sie trägt das Kopftuch der frommen Musliminnen, ihr Mann Erol Olcok war ein enger Berater von Präsident Recep Tayyip Erdogan; er starb beim Widerstand gegen den Putschversuch von 2016 und gilt deshalb als „Märtyrer“. Doch seine Witwe hat sich nun dem früheren Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu angeschlossen, der an diesem Freitag seine Zukunftspartei als Konkurrentin der AKP vorstellen will.

Olcok ist eine von 25 Frauen unter den 130 Gründungsmitgliedern von Davutoglus islamisch-konservativer Zukunftspartei, deren Logo das grüne Blatt einer Platane zeigt; die Platane ist in der Türkei ein Symbol von Größe und Überlegenheit. Davutoglu will enttäuschte AKP-Anhänger um sich sammeln, die von Erdogans autokratischem Kurs und der Korruption der Regierungspartei die Nase voll haben. Auch die schlechte Wirtschaftslage hat die Zustimmung zur AKP sinken lassen. Davutoglu und der ehemalige Vizepremier Ali Babacan, der noch vor Jahresende eine liberal-konservative Partei gründen will, könnten von der Verbitterung vieler Wähler profitieren. Nach einer neuen Umfrage fühlt sich derzeit jeder dritte Türke politisch heimatlos.
Für Olcok äußert sich der moralische Bankrott der AKP vor allem in der Verlogenheit über deren langjährige Partnerschaft mit der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen. AKP und Gülen-Bewegung hatten gemeinsam gegen die Vorherrschaft der alten säkularen Eliten in der Türkei gekämpft, sich dann aber überworfen. Heute gilt Gülen als Drahtzieher des Putschversuches von 2016 und als Staatsfeind Nummer Eins. Von der früheren Zusammenarbeit will die Regierung nichts mehr wissen, hat aber zehntausende Menschen unter dem Verdacht der Sympathie mit Gülen ins Gefängnis werfen lassen.

Der Tod von Olcoks Mann hatte Erdogan schwer getroffen

Mit drastischen Worten klagt Olcok die AKP an: Die Partei habe sich von Gülen „schwängern lassen“, beim Putschversuch eine „Abtreibung mit dem Blut der Märtyrer“ vollzogen und stolziere heute wieder als „Jungfrau“ durchs Land. Diese Worte treffen die AKP schwer. Olcoks Mann Erol war einer der Architekten von Erdogans vielen Wahlerfolgen; sein Tod erschütterte Erdogan auch persönlich. Dass ausgerechnet Nihal Olcok jetzt auf die Seite der Kritiker gewechselt ist, wird ihr nicht verziehen. Erdogans Gefolgsleute werfen ihr unter anderem vor, die Putschnacht in der Sicherheit der eigenen vier Wände verbracht zu haben, während ihr Mann auf der Straße kämpfte. Erol Olcok wurde zusammen mit seinem Sohn Abdullah Tayyip getötet.

Der Präsident wirft seinem ehemaligen Vertrauten Korruptheit vor

Erdogan richtet seine Angriffe auf Davutoglu selbst. Der Präsident warf seinem ehemaligen Außenminister und Ministerpräsidenten vor einigen Tagen vor, er sei korrupt und habe eine Staatsbank um viel Geld betrogen. Davutoglu reagierte mit der Forderung, die Privatvermögen aller noch lebenden Präsidenten, Ex-Präsidenten und Regierungschefs überprüfen zu lassen. Kritiker haben Erdogan und seine Familie schon lange im Verdacht, viel Geld in die eigene Tasche zu stecken. Dass Erdogan, der Davutoglus Austritt aus der AKP und dessen Vorbereitung zur Gründung einer neuen Partei lange ignoriert hatte, jetzt zum Frontalangriff übergehe, zeige vor allem eines, sagt der Journalist Rusen Cakir, einer der besten Kenner der AKP: „Der Krieg hat begonnen.“ Dieser Krieg könnte zur Schlammschlacht werden. Erdogan und Davutoglu haben jahrelang zusammengearbeitet und verfügen wahrscheinlich über Dokumente, die für den jeweiligen Gegner unangenehm werden könnten. „Die beiden Lager wissen viel übereinander“, sagte Cakir im Internet-Sender Medyascope. Erdogan fühle sich offenbar in einer Sackgasse, sagte Cakir: Der Staatspräsident könne weder die Parteigründungen von Davutoglu und Babacan verhindern noch Übertritte aus der AKP zu den beiden neuen Konkurrenten. „Nach diesem Bruch werden aus der AKP drei Parteien entstehen, die aber zusammen nicht die Stärke der AKP zu ihren Glanzzeiten erreichen dürften: Die neuen Parteien werden den Niedergang der AKP beschleunigen.“

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