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Türkei: Flugzeug war doch über syrischem Gebiet

Peinliche Kehrtwende für Ankara im Streit um den abgeschossenen Militärjet: Das Flugzeug wurde offenbar doch im syrischen Luftraum getroffen, der türkische Hauptvorwurf gegen Damaskus lässt sich damit nicht aufrechterhalten.

Türkischer Generalstab, Geheimdienst und Regierung sind laut Presseberichten zu dem Schluss gekommen, dass der türkische Aufklärungsjet wohl doch im syrischen Luftraum getroffen worden ist – und nicht über internationalem Gewässer, wie Ankara bisher behauptet hatte. Damit muss die Türkei offenbar eingestehen, dass sich ihr Hauptvorwurf gegen den Nachbarn Syrien im Streit um den Abschuss der Maschine nicht halten lässt.

Fotostrecke: Syrien schießt türkischen Jet ab

Dies dürfte die Kritik an der türkischen Syrien-Politik wachsen lassen. Gegner werfen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor, mit markigen Worten von der eigenen Handlungsunfähigkeit ablenken zu wollen. Nach dem Abschuss des unbewaffneten Jets am 22. Juni erklärten zunächst Außenminister Ahmet Davutoglu und anschließend Erdogan selbst, die Phantom F-4 sei etwa 15 Minuten nach einer irrtümlichen und sofort korrigierten Verletzung des syrischen Luftraums etwa 13 Seemeilen vor der syrischen Küste getroffen worden; Hoheitsgewässer und Luftraum Syriens enden bei 12 Seemeilen. Dann trudelte die Phantom laut Ankara ins syrische Hoheitsgebiet, wo sie rund acht Seemeilen vor der Küste ins Meer stürzte. Die beiden Piloten starben.

Syrien wies die türkische Version zurück und erklärte, der Jet habe sich in niedriger Flughöhe und mit hoher Geschwindigkeit der Küste des Landes genähert und sei deshalb beschossen worden. US-Regierungsvertreter sollen sich ähnlich geäußert haben.

Nun wird deutlich, dass Damaskus möglicherweise tatsächlich näher an der Wahrheit lag als Ankara. Eine entscheidende Rolle in der Debatte spielt die Art und Weise, wie die Phantom abgeschossen wurde. Ein Sprecher des türkischen Generalstabs erklärte jetzt in einem Zeitungsinterview, es gebe keinerlei Hinweise auf einen Raketenbeschuss: Das Raketen-Warnsystem des Flugzeugs schlug nicht an. Auch die bisher ausgewerteten Radar-Daten und Unterwasserfotos des Jets auf dem Meeresboden haben keine Spur einer Rakete erkennen lassen. Dies könnte bedeuten, dass die Maschine ins Feuer der syrischen Luftabwehr geriet – deren Geschütze aber keine Ziele in einer Entfernung von 13 Seemeilen angreifen können. Bleibt noch die Möglichkeit, dass der Jet von einem Schiff aus beschossen wurde. Aber bisher ist nichts über die Anwesenheit eines Kriegsschiffes in der Gegend bekannt.

Bergung des Wracks soll Klarheit bringen

„Von der Raketen-These zurück zur Realität“, überschrieb die Zeitung „Radikal“ am Dienstag einen Bericht, nach dem auch der türkische Geheimdienst MIT inzwischen eingestanden hat, dass die Phantom wohl nicht mit einer Rakete vom Himmel geholt wurde. Die noch ausstehende Bergung des Flugzeugwracks aus mehr als einem Kilometer Tiefe soll letzte Klarheit bringen. Laut „Radikal“ hat sich die türkische Regierung aber schon jetzt für eine neue Linie im Streit mit Syrien entschieden. Demnach soll betont werden, dass der türkische Jet ohne jede Warnung abgeschossen wurde. Bei Luftraumverletzungen wird die Flugzeugbesatzung normalerweise zunächst gewarnt, dann können Kampfflugzeuge des betroffenen Landes aufsteigen, um den Eindringling abzudrängen. Ein Beschuss ist das letzte Mittel. Doch auch wenn die Türkei in diesem Punkt im Recht ist: Sollte sich der Vorwurf des Abschusses im internationalen Luftraum als falsch erweisen, hätte sich Ankara blamiert.

Erdogan ordnete als Reaktion auf den Zwischenfall an, alle syrischen Militäreinheiten, die sich der 900 Kilometer langen Grenze auch nur nähern, als militärische Bedrohung zu bekämpfen. Mehrmals schickte die türkische Luftwaffe seitdem bewaffnete Kampfflugzeuge zur Grenze, weil sich syrische Hubschrauber genähert hatten. Militärische Zusammenstöße sind möglich.

Hat Erdogan den Flugzeugabschuss womöglich als Gelegenheit benutzt, um eine Intervention gegen die syrischen Regierungskräfte und zugunsten der von Ankara unterstützten Assad-Gegner vorzubereiten? Innenpolitische Gegner des Regierungschefs glauben eher, dass sich Erdogan in der Episode als Papiertiger entlarvt hat, der zwar den Mund sehr voll nimmt, dann aber keine Taten folgen lässt. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu lenkte den Blick auf Erdogans heftige Reaktion nach dem Tod von neun Türken beim israelischen Angriff auf das Gaza-Schiff „Mavi Marmara“ vor zwei Jahren. „Sehen sie sich die Rede des Ministerpräsidenten nach der Ermordung von neun türkischen Staatsbürgern durch israelische Soldaten in internationalen Gewässern an und dann seine Rede nach dem Abschuss unseres Flugzeugs durch Syrien – es ist dieselbe Rede“, sagte Kilicdaroglu. „Wenn ein Land sich einmal auf der Nase herumtanzen lässt, dann ist seine Sicherheit dahin.“

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