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Ein Gruß an die Unterstützer: Erdogan am Sonntagabend in Ankara

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Türkei: Hetze Erdogans nach Kommunalwahl: CSU-Generalsekretär: Erdogan-Türkei gehört nicht zu Europa

Erdogan präsentierte sich nach der gewonnenen Kommunalwahl als Triumphator und Scharfmacher. Der CSU-Generalsekretär fordert jetzt Konsequenzen: "Es dämmert, dass die Türkei nicht zu Europa gehört."

Der Auftritt des Siegers war eine einzige Kampfansage. Als der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in der Nacht zum Montag auf den Balkon der AKP-Parteizentrale in Ankara trat, um nach der gewonnenen Kommunalwahl seine Siegesrede zu halten, war seine Botschaft schon klar, bevor er auch nur ein Wort gesprochen hatte. Denn Erdogan hatte seinen Sohn Bilal an seiner Seite – eben jenen Sohn, mit dem er nach Oppositionsangaben kürzlich besprochen hatte, wie illegal angehäufte Millionensummen der Familie am besten vor der Justiz zu verstecken seien. Die Korruptionsvorwürfe sind durch den Wahlsieg vom Tisch, lautete Erdogans Botschaft. Und: Die Gegner des Premiers können sich warm anziehen.

Gezi-Unruhen, Korruptionsskandal, Twitter-Verbot – nichts scheint dem 60-jährigen Erdogan und seiner seit 2002 regierenden AKP etwas anhaben zu können. Mit rund 43 Prozent der Stimmen legte die AKP im Vergleich zu den Kommunalwahlen von 2009 noch einmal vier Prozentpunkte zu. Die Metropolen Istanbul und Ankara blieben in der Hand der Regierungspartei, auch wenn die Opposition dort Zugewinne verzeichnen konnte: Viele türkische Großstädter haben sich von Erdogan abgewandt.

Auf seine Kritiker geht der Regierungschef nicht zu

Doch wer erwartet hatte, dass Erdogan angesichts dieser Entwicklung auf seine Kritiker zugehen würde, der sah sich getäuscht. Bei früheren „Balkon-Reden“, wie die Siegesansprachen des Ministerpräsidenten genannt werden, hatte er sich als Landesvater präsentiert, der auch diejenigen umarmen wollte, die ihn nicht gewählt hatten. Diesmal war es anders. Nicht der Versöhner trat vor das jubelnde AKP-Fußvolk in Ankara, sondern der Triumphator, der Scharfmacher, der Wahlkämpfer, der den nächsten Urnengang – und das Präsidentenamt – schon fest im Blick hat.

Der Premier habe gesprochen, „als hätte er den Krieg erklärt“, schrieb der Kommentator Hasan Cemal nach der Rede im Internetportal T24. Genau das hatte Erdogan getan – ab sofort will er noch rigoroser gegen die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen vorgehen, den er als Drahtzieher der Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung betrachtet.

„Eine osmanische Ohrfeige“ hätten die Gegner der Regierung kassiert, rief der Ministerpräsident aus. Seine Widersachen würden Rechenschaft ablegen müssen für ihre angeblichen Untaten. „Bis in ihre hinterletzten Verstecke werden wir sie jagen. Sie werden bezahlen.“ Schon vor der Wahl hatte er den Chefredakteur einer Gülen-nahen Zeitung wegen Beleidigung verklagt. Jetzt dürfte Erdogans Regierung bald einen neuen Feldzug gegen die Gülen-Bewegung starten.

Die CSU fordert nach den Drohungen Erdogans gegen seine Kritiker den Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara. „Allmählich dämmert es, dass die Erdogan-Türkei nicht zu Europa gehört“, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer am Montagabend in München. „Ein Land, in dem die Regierung ihren Kritikern droht und demokratische Werte mit Füßen tritt, kann nicht zu Europa gehören. Die CSU fordert den sofortigen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen.“ Mehr als eine privilegierte Partnerschaft komme für die Türkei nicht infrage.

Was die EU sagt, ist Erdogan egal

Was der Westen, und besonders die EU, zu all dem sagen, ist Erdogan egal. Vor allem, da er keinerlei Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien seiner Regierung erkennen kann. „Wir haben die Demokratie, nach der sich der Westen sich sehnt“, erklärte er. Der Politologe Murat Somer von der Istanbuler Koc-Universität sieht deshalb eine schwierige Phase voraus. „Leider sieht es so aus, als seien die türkische Demokratie und der Rechtsstaat die Hauptleidtragenden“, sagte Somer dem Tagesspiegel. Die Kommunalwahlen hätten keinen Ausweg aus der Krise der vergangenen Monate gewiesen, die Konfrontation zwischen Erdogan und Gülen werde weitergehen.

Zufrieden mit Erdogan und dem Wahlergebnis: AKP-Anhängerin in Istanbul
Zufrieden mit Erdogan und dem Wahlergebnis: AKP-Anhängerin in Istanbul

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Erdogan triumphierte nur zum Teil aus eigener Kraft. Die AKP-Stammwählerschaft steht angesichts der guten Wirtschaftslage und den als Befreiung empfundenen Reformen Erdogans wie der Abschaffung des Kopftuchverbots im öffentlichen Dienst fest zu dem Ministerpräsidenten. Zudem hat die Regierung viele Medien auf ihre Seite gebracht. Der Premier räumte bei der Kommunalwahl aber auch deshalb ab, weil die Opposition in einem jämmerlichen Zustand ist.

Die Opposition hat kaum Zeit, sich neu zu formieren

Nicht einmal in einer Zeit, in der die Regierung wegen Korruption unter schwerem Beschuss stehe, schaffe es die säkularistische CHP als größte Oppositionspartei, nennenswerte Zugewinne einzufahren, schrieb der Kolumnist Rusen Cakir am Montag in der Zeitung „Vatan“. Der Politologe Hüseyin Yayman von der Gazi-Universität in Ankara sprach bei CNN-Türk von einem „Sandsturm“ von Vorwürfen, der auf Erdogan und die AKP niedergeprasselt sei – und dennoch habe der Premier gewonnen. „Da muss man nicht nach der AKP fragen, sondern nach der Opposition.“ Erdogan selbst höhnte, angesichts der Dauerschwäche seiner Gegner brauche er wohl eine neue Opposition.

Viel Zeit, sich neu zu formieren, hat die erneut geschlagene CHP nicht. Mit der Kommunalwahl vom Sonntag hat in der Türkei der Präsidentschaftswahlkampf begonnen, gewählt wird am 9. August. Erdogan dürfte sich zu einer Kandidatur ermuntert sehen, auch wenn es Anzeichen dafür gibt, dass selbst AKP-Wähler den polarisierenden Ministerpräsidenten als überparteilichen Staatspräsidenten ablehnen. Nach einer Umfrage schließen 55 Prozent der Türken ein Votum für Erdogan bei der Präsidentschaftswahl aus.

Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum Erdogan und die AKP partout nicht zu schlagen sind, verweisen viele Gegner des Premiers auf angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Wahl am Sonntag. Im Internet kursierten angebliche Beweise für einen groß angelegten Wahlbetrug der AKP. So seien in einem Wahllokal der Hauptstadt Ankara nur 297 Stimmen abgegeben worden – doch im Protokoll wurden demnach 728 Stimmen für die Erdogan-Partei verzeichnet. Die Wahlbehörde äußerte sich nicht dazu; offizielle Zahlen lagen am Montag noch nicht vor. Schon jetzt ist abzusehen, dass Einzelergebnisse wie die in Ankara vor Gericht landen werden.

Am Ende werden die Erdogan-Gegnern aber zugeben müssen, dass die AKP wesentlich stärker ist, als sie gehofft hätten. Resignation mit einem Schuss Wählerbeschimpfung machte sich breit. „Schade, sehr schade“, schrieb der als Erdogan-Kritiker bekannte Starpianist Fazil Say im – offiziell immer noch gesperrten – Kurznachrichtendienst Twitter. „Sehr schade für die guten Menschen dieses Landes."

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