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Kurdische Kämpfer feuern auf von IS-Milizen besetzte Stellungen nahe Abyad an der syrisch-türkischen Grenze.

© Rodi Said/Reuters

Türkei ist besorgt: Ankara befürchtet Kurdenstaat in Syrien

Eigentlich ist jeder Sieg über den IS im Westen eine gute Nachricht - aber in der Türkei wächst damit die Sorge, die Kurden könnten ihren Traum von einem eigenen Staat in Syrien wahrmachen.

Die syrische Kurdenmiliz YPG hat nach heftigen Kämpfen die nordsyrische Stadt Tal Abyad an der Grenze zur Türkei von der Dschihadisten-Gruppe Islamischer Staat (IS) erobert. Damit verlieren die islamischen Extremisten eine wichtige Verbindung zwischen der Türkei und ihrem Hauptquartier in Rakka; der Nachschub an Kämpfern, Waffen und Munition könnte gestört, der IS erheblich geschwächt werden. Doch in der Regierung des Nachbarn Türkei freut sich niemand, im Gegenteil.

In den vergangenen Tagen waren Kämpfer der YPG und verbündeter Milizen mit Unterstützung durch Kampfjets der US-geführten Syrien-Koalition auf die 15.000-Einwohner-Stadt Tal Abyad vorgerückt. Nach türkischen Angaben sind in den vergangenen zwei Wochen wegen der Kämpfe rund 21.000 Menschen aus Tal Abyad und den Dörfern der Umgebung in die Türkei geflohen.

Mit der Niederlage in Tal Abyad verliert der IS die Kontrolle über den Grenzübergang von Tal Abyad ins türkische Akcakale. Für die Dschihadisten ist das ein schwerer Schlag. Der IS kontrolliert nun nur noch einen Grenzübergang zur Türkei, was den Nachschub schwieriger macht. Zudem haben die Kurden und die US-Allianz wie schon bei der gescheiterten Belagerung der Stadt Kobane im vergangenen Winter gezeigt, dass der IS durchaus besiegbar ist. 

Doch obwohl der IS durch den kurdischen Sieg in Tal Abyad von der türkischen Grenze zurückgedrängt wird, reagiert die türkische Regierung verschnupft. Regierungssprecher Bülent Arinc sprach von „Anzeichen für eine ethnische Säuberung“ der Gegend um Tal Abyad zugunsten der Kurden. Arinc sieht die US-Allianz hinter der angeblichen Vertreibung von Turkmenen und Arabern aus der Region: Einige der Flüchtlinge, die sich in den letzten Tagen in die Türkei retteten, seien aus Dörfern gekommen, die von den US-Jets bombardiert worden seien.

Die YPG gehört zur Kurdenpartei PYD, dem syrischen Ableger der türkisch-kurdischen Rebellengruppe PKK. Ankara befürchtet, dass die Kurden in Syrien ihren lang gehegten Traum eines eigenen Staates wahrmachen könnten. Dies wiederum könnte separatistischen Bestrebungen unter den Kurden in der Türkei Auftrieb geben, lautet die Sorge.

Mit dem YPG-Sieg in Tal Abyad haben die Kurden zwei bisher voneinander getrennte Siedlungsgebiete vereinigt. Die türkische Zeitung „Cumhuriyet“ sagte voraus, nun werde sich das Interesse der Kurden der weiter westlich ebenfalls an der türkischen Grenze gelegenen Region Afrin zuwenden.

Aus Sicht von Serdar Erdurmaz, Politologe an der Hasan-Kalyoncu-Universität im südosttürkischen Gaziantep, zeigt sich in Tal Abyad der grundsätzliche Widerspruch zwischen der türkischen und der amerikanischen Haltung im Syrien-Konflikt. Während die Türkei vor allem den syrischen Präsidenten Bashar al Assad stürzen wolle, sehe Washington den IS als Hauptziel, sagte Erdurmaz dem Tagesspiegel. Deshalb unterstützten die USA die syrischen Kurden, obwohl dies den türkischen Interessen zuwiderlaufe.

Bei einigen Regierungsanhängern in der Türkei schrillen deshalb die Alarmglocken. Ibrahim Karagül, Chefredakteur der regierungsnahen Zeitung „Yeni Safak“, forderte am Dienstag eine türkische Militärintervention in Nordsyrien. Nur so könne der vom Westen ausgeheckte Plan durchkreuzt werden, durch die Bildung einer Kurdenzone entlang der türkischen Südgrenze die „Türkei zu vernichten“.

Ein anonymes Mitglied der türkischen Führung, das unter dem Namen „Fuat Avni“ auf Twitter regelmäßig Interna aus dem engsten Zirkel der Macht ausplaudert, warnte am Dienstag, die Regierung habe bereits beschlossen, die Armee nach Syrien zu schicken. „Fuat Avni“ bezeichnet sich als Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan und lag bereits häufig mit Voraussagen über Regierungsaktionen richtig. Diesmal betonte „Avni“, der Einsatzbefehl sei gegen den Widerstand der Militärs erteilt worden. Von der Regierung lag zunächst keine Stellungnahme vor.

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