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Türkei: Kleinkriegen

„Wer die Beziehungen zwischen Polizei und Bürgern versteht, versteht ein Land“, sagt der junge türkische Autor Emrah Serbes. Seine Krimis sind Gesellschaftskritik – und Kult. Nun drohen ihm bis zu zwölf Jahre Haft. Er machte einen Witz über Premierminister Erdogan.

Angst? Emrah Serbes wiederholt die Frage ein wenig entrüstet. Er lacht kurz, ein raues, herausforderndes Lachen. Dann zündet er sich eine Zigarette an, es ist die zwölfte in einer Stunde. Tief inhaliert er den Rauch, schließt die Augen, lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und schüttelt heftig den Kopf.

Emrah Serbes ist 32 Jahre alt und Schriftsteller. Er hat Behzat Ç. erfunden, den rüpelhaften, brutalen, grundehrlichen Kriminalhauptkommissar aus Ankara. Jeder in der Türkei kennt Behzat, ob aus den Büchern oder der gleichnamigen Fernsehserie. Und jeder kennt Serbes, der doch allen Grund hätte, Angst zu haben. In Istanbul beginnt am Donnerstag ein Prozess gegen ihn. Der Vorwurf: Majestäts- und Beamtenbeleidigung. Die höchste zu erwartende Strafe: zwölf Jahre Haft.

Tatsächlich hat er in diesem Mai in einer Fernsehtalkshow ein wenig humorvoll die Regierenden kritisiert. Premierminister Recep Tayyip Erdogans mittleren Namen verwandelte er im Gespräch in „Tazyik“, was Druck bedeutet und eine Anspielung auf die bei Demonstrationen zum 1. Mai 2013 eingesetzten Wasserwerfer war. Denselben Spitznamen gab er auch dem Gouverneur von Istanbul und dem türkischen Innenminister, beide verantwortlich für die Istanbuler Polizei.

Der Ausgang des Prozesses ist ungewiss. Türkische Journalisten halten alles für möglich: einen sofortigen Freispruch, eine langwierige Verhandlung, eine schnelle Verurteilung. Mit der türkischen Regierung ist nicht zu scherzen.

Eine gute Woche vor dem Prozessauftakt sitzt Serbes im ersten Stock seines Stammcafés, das an einem zentralen Platz im Istanbuler Stadtteil Besiktas liegt, und zuckt, immer noch zurückgelehnt auf seinem Kaffeehausstuhl, mit den Schultern. Serbes trägt einen Dreitagebart und einen dicken Schnauzer, der weit über die Oberlippe reicht; die strähnigen Haare sind halblang, seine schwarze Lederjacke ist speckig. Ein bisschen sieht er so selber aus wie Behzat Ç.

„Keine Ahnung, was passiert. Aber Angst habe ich nicht. Wer Angst hat, gibt seinem Gegenspieler Macht.“ Er nimmt einen Schluck tiefschwarzen Kaffee und erklärt, „die haben Angst“, mit Betonung auf „die“. Er meint den Staat. Die Regierung, die Justiz, die Polizei. „Die haben Angst vor uns, vor ihrem eigenen Volk. Würden sie sonst so viel Polizei auf die Straße schicken? Am höchsten Feiertag der Republik? An dem wir Türken uns selbst feiern?“

Es ist der 90. Jahrestag der Gründung der türkischen Republik. Die Straßen in Istanbul sind rot, weil viele Menschen die türkische Flagge tragen – als T-Shirt, als Umhang –, und dunkelblau. Das ist die Farbe der Polizeiuniformen. Hunderte Polizisten sind unterwegs. Auch an dem Platz vor dem Café steht eine Gruppe. Serbes könnte sie sehen, wenn er sich ein wenig nach vorne beugen würde. Doch er beugt sich nicht nach vorne. Er sagt: „Die können ja nicht mal rechnen: Auf diese Beleidigung stehen drei Jahre Haft, und ich soll drei Politiker beleidigt haben. Macht neun und nicht zwölf Jahre.“ Er lacht. Er findet das tatsächlich lustig.

Im Viertel Besiktas, nordöstlich vom Taksim-Platz, wo Emrah Serbes auch lebt, fanden während der Gezi-Proteste im Juni die heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten statt. Besiktas ist einer von drei Istanbuler Stadtteilen, in denen die kemalistisch-sozialdemokratische Partei CHP die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat. In den übrigen 36 Stadtteilen hat die Regierungspartei AKP das Sagen. Es ist ein aufmüpfiges Viertel. Hier ist der Fußballverein Besiktas zu Hause und auch sein Fan-Klub Çarsi, dessen Mitglieder während der Proteste auf dem Taksim-Platz Aufsehen erregten, als sie einen Bagger kaperten und damit auf die Wasserwerfer der Polizei zufuhren.

„Wir, das Volk, sind nicht machtlos. Das hat sich während der Gezi-Proteste gezeigt“, sagt Serbes und zündet sich noch eine Zigarette an. „Wir haben erfahren, dass wir der Staatsgewalt nicht ausgeliefert sind.“

Ehrlich und kein bisschen scheinheilig

Serbes weiß natürlich, dass er in einer schwierigen Lage steckt. Er weiß, dass hunderte Menschen in der Türkei ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis sitzen, auf unbestimmte Zeit, weil sie Mitglieder einer terroristischen Vereinigung sein sollen. Das türkische Anti-Terror-Gesetz erlaubt dem Staat, Menschen auf Verdacht und ohne Gerichtsverfahren in Untersuchungshaft festzuhalten. Allein 50 türkische Gewerkschafter sitzen heute aufgrund dieses Vorwurfs im Gefängnis und 61 Journalisten. Schon im März 2013 kritisierte Amnesty International, dass das Anti-Terror-Gesetz vor allem und verstärkt angewendet werde, um „politische Reden, kritische Schriften und Demonstrationen“ zu verhindern. Deshalb sind besonders viele Journalisten, Aktivisten und Schriftsteller unter den angeblichen Mitgliedern terroristischer Vereinigungen.

Serbes sieht sich nicht in erster Linie als Autor, eher als Aktivist. Er schreibt Krimis, weil er durch sie viel über die Türkei erzählen kann. „Wer die Beziehungen zwischen Polizei und Bürgern versteht, versteht ein Land“, sagt er. „Solange die Menschen Angst haben vor der Polizei, ist eine Gesellschaft wenig demokratisch.“

Seine Geschichten über die Arbeit von Behzat Ç. und seinen Kollegen spiegeln ein schonungslos realistisches Bild der türkischen Gesellschaft – und der Polizeiarbeit. Es ist deswegen gar nicht merkwürdig, dass die Türken Behzat Ç., den Polizisten, lieben; den mit Gesetzen und Kollegen hadernden Outlaw. Gerade ist der zweite, langersehnte große Film über den Kommissar im Kino gestartet, die Bücher werden mittlerweile auch ins Deutsche übersetzt.

Er möge Behzat so gern, weil er so ehrlich und kein bisschen scheinheilig sei, sagt beispielsweise einer von drei Männern, die während des Gesprächs an den Tisch treten, weil sie ein Autogramm von Emrah Serbes haben möchten.

Es war für Serbes im Sommer keine Frage, dass er bei den Protesten im Gezi-Park dabei sein würde. Er wollte sehen, wie seine Mitbürger die Angst ablegten. Gerade schrieb er in seinem Elternhaus in Yalova, etwa 170 Kilometer von Istanbul entfernt, an seinem neuen Behzat-Ç.-Roman, als ihn die SMS eines Freundes erreichte: „Komm nach Istanbul. Hier ist Revolution.“ Es war der 31. Mai, der Tag, an dem die Polizei das erste Mal gewaltsam gegen die Menschen vorging, die friedlich gegen den Umbau des Parks demonstrierten. Serbes setzte sich sofort in seinen Wagen und fuhr zum Taksim-Platz. Dort nahm die Polizei gerade eine Barrikade aus Tischen und Stühlen auseinander. Er fuhr sein Auto einfach in die Lücke. „Mein Wagen war da gerade ein Jahr alt“, sagt Serbes. „Heute sieht er aus, als hätte er schon zehn Jahre auf dem Buckel.“ Er lacht wieder, diesmal zufrieden.

Der Prozess wegen Majestätsbeleidigung ist auch nicht die erste Gelegenheit, bei der er selbst die Willkür der türkischen Justiz erfährt. Die Ausstrahlung der Behzat-Ç.-Fernsehserie wurde schon häufig kurzfristig verlegt, auf eine spätere Uhrzeit, zu der nur noch wenige Türken den Fernseher einschalten. Einmal musste seine Produktionsfirma außerdem eine Geldstrafe in Höhe von 550 000 Dollar zahlen, weil der Protagonist in einer Folge ein Bier trinkt, was im türkischen Fernsehen nicht gezeigt werden darf. Nur weil ein reicher Spender der Produktionsfirma kurzfristig Geld lieh, konnten die weiteren Folgen gedreht werden.

Emrah Serbes ist überzeugt, dass sich die türkische Zivilgesellschaft die Demokratie ganz alleine erarbeiten muss. „Demokratie kann man nicht importieren“, sagt er. Auch nicht aus der EU. Ob die Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen sich da vielleicht positiv auswirkt? Er schüttelt den Kopf.

„Dieser Mann belügt uns nach Strich und Faden. Herr Hauptkommissar, was soll ich bloß mit ihm machen?“, fragt ein Mitarbeiter Behzat Ç. in Serbes’ erstem Roman. Der antwortet: „Wirf ihn mitsamt seinem Stuhl aus dem Fenster.“

„Nicht dass er dann krepiert und wir den Ärger haben. Wegen der Europäischen Union und so.“

„Die kann mich mal, die Europäische Union.“

Vor dem Café in Besiktas ist es so dunkel geworden, dass die Polizisten kaum mehr zu erkennen sind. „Es hat sich viel verändert in den vergangenen Monaten“, sagt Emrah Serbes noch, bevor er geht. „Das erfüllt mich mit Stolz. Nicht mit Angst.“

Erschienen auf der Dritten Seite.

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