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Der neue Präsident, Recep Tayyip Erdogan (links), und der neue Regierungschef, Ahmet Davutoglu.

© dpa

Türkei kontrolliert das Netz stärker: Internet-Sperren im Schnellverfahren

Die türkische Regierung weitet per Gesetz ihre Kontrolle über Internet-Inhalte in ihrem Land aus - ein weiterer Angriff auf die Meinungsfreiheit.

Ein in der Nacht zum Mittwoch verabschiedetes neues Gesetz der türkischen Regierung sieht die Sperrung unliebsamer Websites innerhalb von vier Stunden ohne richterlichen Beschluss vor. Mit dem vagen Hinweis auf die „nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung“ darf die Internetbehörde TIB ab sofort Websites sperren, ohne vorher einen Richter zu fragen. Kritiker sind entsetzt und sprechen von Zensur. 

Mit welcher Mentalität die Regierung an das Thema Meinungsfreiheit im Netz herangeht, hat sie bereits mit mehreren Verboten regierungskritischer Seiten gezeigt. Im Frühjahr ließ der heutige Präsident Recep Tayyip Erdogan Twitter und YouTube sperren, nachdem dort Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung aufgetaucht waren. Damals wurde Erdogan vom Verfassungsgericht in die Schranken verwiesen, das die Verbote wieder aufhob. Erdogan fügte sich widerwillig. 

Als Präsident wird Erdogan das neue Gesetz, das von der Regierung seines loyalen Nachfolgers Ahmet Davutoglu im Parlament durchgesetzt wurde, deshalb wahrscheinlich nun ohne Zögern in Kraft setzen. Damit zeichnet sich der erste Konflikt zwischen dem neuen Präsidenten und dem Verfassungsgericht ab – denn wie schon bei Twitter und YouTube dürften auch diesmal wieder Verfassungsklagen erhoben werden. 

Doch das Verfassungsgericht werde sich nicht unbedingt sofort einschalten, befürchtet Mustafa Akgül, Vorsitzender des Verbandes Internet-Technologie. „Ich denke schon, dass das Verfassungsgericht das Gesetz kassieren wird, aber die Frage ist wann“, sagte Akgül in Istanbul. Akgül sprach von einem Zensur-Gesetz, weil die Regelung zur gerichtlichen Kontrolle der Internet-Sperren sehr wolkig gehalten sei. Das Gesetz sieht vor, dass die Internetbehörde innerhalb von zwei Tagen nach einer Sperrung eine gerichtliche Bestätigung des Verbots einholen muss. „Aber niemand weiß, was passiert, wenn der Richter das Verbot für ungerechtfertigt erklärt“, sagte Akgül. Möglicherweise fechte die Behörde dann den Richterspruch an und gehe durch alle Instanzen – während die gerichtlich beanstandete Sperre bestehen bleibe. 

Das neue Gesetz bringt zudem eine Datenvorratsspeicherung durch die Internetbehörde. Damit können die Bewegungen jedes Nutzers im Internet erfasst, zwei Jahre lang gespeichert und auf richterlichen Beschluss an die Sicherheitsbehörden weitergegeben werden. „Der Staat sagt uns: Ich beobachte dich“, sagte Akgül. Nachdem Erdogan und andere Regierungspolitiker seit den Gezi-Unruhen des vergangenen Jahres besonders die sozialen Medien als Instrumente von Aufrührern und Staatsfeinden verteufelten, wird diese Überwachungsmöglichkeit das Misstrauen vieler Türken gegenüber Ankara stärken. 

Noch vor wenigen Tagen hatte die Regierung Davutoglu ihr Bekenntnis zur EU-Bewerbung der Türkei erneuert. Das neue Internetgesetz wird jedoch die Kritik aus Brüssel an Ankara weiter anfachen. Kurz vor Verabschiedung des neuen Internetgesetzes hatte die EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, Neelie Kroes, die Türkei darauf hingewiesen, dass die Garantie von Presse- und Meinungsfreiheit ein „Muss“ für jeden EU-Bewerber sei. Die Sperrung von YouTube und Twitter im Frühjahr war von der EU scharf kritisiert worden. 

Die US-Regierung äußerte bereits ihre Bedenken gegen das neue Gesetz. Außenamtssprecherin Marie Harf sagte, Washington habe die Türkei schon mehrmals auf die amerikanischen Bedenken hinsichtlich der Pressefreiheit und des freien Zugangs zu sozialen Medien hingewiesen. Diese Unterhaltung mit Ankara werde auch künftig geführt.

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