zum Hauptinhalt

Türkei: Kurdenfrage: Warten auf den entscheidenden Schritt

Verstreicht die Chance für eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts ungenutzt? Trotz hoffnungsvoller Ansätze für eine Lösung geht die Gewalt weiter. Die Zeichen werden nicht erkannt.

Es war nur eine winzige Meldung, dabei wäre das Ereignis noch vor wenigen Jahren als Sensation gefeiert worden: Zum ersten Mal kommt in einem staatlichen Theater der Türkei ein Stück in kurdischer Sprache auf die Bühne. "Rese Seve" - Alptraum - heißt das Stück, in dem es um die Lage der Frauen geht und das am Freitagabend auf dem Spielplan des Staatstheaters der osttürkischen Provinzhauptstadt Van stand. Dass niemand in der Türkei viel Aufhebens um diese Premier macht, zeigt, wie sehr sich die Haltung des Landes in der Kurdenfrage gewandelt hat. Doch trotz hoffnungsvoller Entwcklungen und einer neuen Debatte über eine friedliche Lösung der Kurdenfrage in Ankara ist nicht sicher, dass die Chance auf Frieden auch genutzt wird.

In den vergangenen Wochen hatte sich in der türkischen Hauptstadt ein noch nie dagewesener Konsens in der Kurdenfrage herausgeschält. Regierung, Opposition, Armee, Geheimdienst - zum ersten Mal sind sich die Hauptakteure in Ankara darüber einig, dass der Kurdenkonflikt möglichst rasch beigelegt werden soll und dass dazu nicht nur militärische Mittel nötig sind, sondern auch kulturelle, wirtschaftliche und soziale Reformen.

Neue Lösungsvorschläge

Über Jahrzehnte betonte die offizielle Ideologie der Türkei die Unteilbarkeit der Republik so stark, dass Forderungen nach kulturellen Rechten für die Kurden als Separatismus verfolgt wurden - und ein Theaterstück in kurdischer Sprache schlicht unmöglich war. Nun werden die verschiedensten Lösungsvorschläge diskutiert. Von der Wiedereinführung kurdischer Ortsnamen ist die Rede, von der Aufhebung von Zeitbegrenzungen für kurdische Sendungen in Rundfunk und Fernsehen, von der Berufung Kurdisch sprechender Imame.

Als Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan jetzt ein Maßnahmenpaket zur Ankurbelung der türkischen Wirtschaft vorstellte, bedachte er die Kurdenregionen im Osten und Südosten des Landes mit ganz besonders attraktiven Steueranreizen und Investitionshilfen - schließlich ist die bittere Armut im Kurdengebiet einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Kurdenrebellen von der PKK auch 25 Jahre nach dem Beginn ihres bewaffneten Aufstandes noch Zulauf erhalten.

Doch der Weg zum Frieden ist noch weit. So ist nicht erkennbar, dass die PKK bereit sein könnte, sich endgültig vom bewaffneten Kampf zu verabschieden. Eine solche Entscheidung würde dem türkischen Staat weitere Reformen für die Kurden wesentlich erleichtern, aber die PKK will auf die Waffen nicht verzichten. Anfang der Woche verlängerten die Kurdenrebellen zwar einen Waffenstillstand bis zum 15. Juli, betonten aber gleichzeitig ihr "Recht auf Selbstverteidigung".

Karayilan Aussagen werden mit Skepsis aufgenommen

Murat Karayilan, seit der Festnahme von PKK-Gründer Abdullah Öcalan vor zehn Jahren der starke Mann in der Organisation, sorgte vor einigen Wochen für Aufsehen, indem er in einem türkischen Zeitungsinterview den Tod von neun Soldaten bei einem PKK-Anschlag in Südostanatolien bedauerte. Es habe sich um eine Aktion lokaler PKK-Kräfte gehandelt, die nicht mit dem Oberkommando der Rebellen abgesprochen gewesen sei. Zugleich beteuerte Karayilan, die PKK wolle keinen eigenen Kurdenstaat, sondern lediglich mehr demokratische Rechte für die Kurden.

Karayilans Erklärungen wurde in der Türkei mit erheblicher Skepsis aufgenommen. Entweder sei der PKK-Anführer ein Lügner, oder er habe seine Organisation nicht im Griff, kommentierte eine Zeitung nach einem weiteren PKK-Anschlag auf Soldaten. Ein endgültiger Gewaltverzicht der Kurdenrebellen sei unwahrscheinlich, sagte der Ankaraner PKK-Experte Nihat Ali Özcan unserer Zeitung. Auch Sedat Laciner glaubt nicht an einen Sinneswandel bei der PKK: Die Rebellen könnten nur dann weiterexistieren, wenn der Konflikt weitergehe.

Diese Logik könnte dazu führen, dass die Chance auf eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts ungenutzt verstreicht. Die türkische Armee und auch Erdogan machten in den vergangenen Tagen bereits deutlich, dass der Staat nicht auf die militärische Option verzichten wird, solange die PKK ihre Waffen behält.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false